Erica Charters / Marie Houllemare / Peter H. Wilson (eds.): A Global History of Early Modern Violence, Manchester: Manchester University Press 2020, XIII + 302 S., 4 Kt., ISBN 978-1-5261-4060-9, GBP 80,00
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Wulf Oesterreicher / Gerhard Regn / Winfried Schulze (Hgg.): Autorität der Form - Autorisierung - Institutionelle Autorität, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2003
Joëlle Rollo-Koster (ed.): Medieval and Early Modern Ritual. Formalized Behavior in Europe, China and Japan, Leiden / Boston: Brill 2002
Kristiane Hasselmann: Die Rituale der Freimaurer. Zur Konstitution eines bürgerlichen Habitus im England des 18. Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2009
Die Geschichte der Gewalt zählt zweifellos zu den Gegenständen, bei denen eine globale Perspektive von vornherein besonders evident ist. Dies gilt nicht nur aufgrund ihres welthistorisch ubiquitären Auftretens, sondern gerade auch aufgrund der Gewalt von frühmodernen wie modernen Globalisierungsprozessen. [1] Wie die Herausgeberinnen in ihrer umsichtigen Einleitung überzeugend darlegen, handelt man sich jedoch mit einem solch weiten Zuschnitt auch einige definitorische Grenzarbeit ein: So wird erörtert, was unter 'frühneuzeitlich', was unter 'Gewalt' und was unter 'global' verstanden werden soll. Ein Unterfangen, das den schmalen Grat zwischen integrativer Ausweitung und begrenzender Präzision zu bewältigen hat. Der gewählte Epochenzuschnitt von der Mitte des 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert stellt weniger eine Herausforderung dar als die vielen, sich zum Teil widersprechenden Narrative von Zu- oder Abnahme von Gewalt. [2] Unter Gewalt soll in erweiterter Form nicht nur tatsächliche körperliche Verletzung, sondern auch deren Androhung verstanden werden. Ziel der globalen Perspektive ist nicht die enzyklopädische Synthese, sondern ein gleichrangiges Nebeneinander von dreizehn Fallstudien.
Die erste Sektion zu "Kohärenz und Fragmentierung" eröffnet ein Überblick von Richard Reid über militärische Gewalt im frühneuzeitlichen Afrika, in dem er argumentiert, dass neben der mit der globalen Verflechtung zunehmenden Gewalt auch eine stetig ansteigende autochthone Militarisierung afrikanischer Gesellschaften mit zahlreichen strukturellen Parallelen zu europäischen Entwicklungen existierte. Michael Charney und Vū Đűc Liêm liefern Lokalstudien zu Burma (dem heutigen Myanmar) und Vietnam und heben beide auf das Spannungsverhältnis von Zentralmacht und Provinzen ab. Manu Sehgal beleuchtet die politische Ökonomie der East India Company als para-staatlichem Akteur hegemonialer militärischer Expansion, während Brian Sandberg ausgehend vom frühneuzeitlichen Frankreich die Bedeutung von Raubzügen (raids) als militärischen Praktiken hervorhebt und sich gegen die Vorstellung einer 'primitiven' Vorform 'moderner' Kriegführung wendet. Es fällt auf, dass alle Beiträge zunächst im 19. Jahrhundert ansetzen, sei es um erinnerungskulturelle Dynamiken zu betonen (Reid), den Großteil ihrer Empirie tatsächlich im frühen 19. Jahrhundert zu finden (Charney, Liêm, Sehgal) oder historiographische Verzerrungen anzuzeigen (so mit Rekurs auf das 20. Jahrhundert Sandberg).
Mechanismen der Kontrolle und Eindämmung von Gewalt sind Gegenstand der zweiten Sektion. Anthony McFarlane schildert die Entwicklung kollektiver Gewalt in Lateinamerika im Zeichen der Pax Hispanica, während Alexander Osipian die Kontrolle der Steppenrouten zwischen Russland, Polen-Litauen und dem Osmanischen Reich behandelt. Hier kam eine auch als Türsteher-Mechanismus bekannte Logik zum Tragen, die die Kosaken sowohl in der Rolle als Beschützer der Routen wie ihre Gefährder agieren ließ. Adam Clulow und Xing Hang zeigen, wie es einer reinen Landmacht, wie dem Japan der Tokugawa, gelang, Aggressionen von maritimen Akteuren wie der niederländischen VOC oder dem chinesischen Zheng-Netzwerk zu befrieden. Der militärischen Gewalt-Logik des Mogul Imperiums geht Pratyay Nath nach, der argumentiert, dass eine Ideologie der Gerechtigkeit zu einer militärischen Mentalität beitrug, die nicht auf die totale Vernichtung der Gegner zielte, sondern auf eine Strategie der Inklusion und Bündnisoffenheit.
Etwas lockerer geknüpft ist das Band der dritten Sektion zu "Differenzierung und Identifikation". Michel van Duijnen bedient sich als einer der wenigen Beiträger eher eines exemplarischen und kulturhistorischen Zugangs. Er untersucht die Gewaltbilder des niederländischen Künstlers Romeyn de Hoghe (1645-1708) vom großen Türkenkrieg, die mit Bildtopoi wie den enthaupteten Osmanen auch der Heiligen Liga ein ambigues Image verschafften. Trevor Burnard nutzt seinen Überblick über Gewaltlogiken innerhalb des atlantischen Sklavenhandels für eine grundlegende Kritik an der geradezu "pornographischen Qualität" (203) exzessiver Gewaltrepräsentation in der Sklavereiforschung, die Evidenzstrategien des Abolitionismus fortschrieben. Demgegenüber plädiert er für einen stärker analytischen Blick, ohne dabei den konstitutiven und ubiquitären Charakter von Gewalt in der Plantagenwirtschaft in Abrede zu stellen. Am Beispiel der Niederschlagung der Revolte von Kairo 1798 zeigt Joseph Clark, wie die Revolutionsarmee ihre Gewaltpraktiken im Spiegel der Gewaltkultur der französischen Religionskriege realisierte, während Wayne E. Lee ein komplexes Strukturmodel zum Zusammenhang von Logistik und Eroberung entwirft. Im Vergleich unterschiedlicher Gesellschaftstypen und Subsistenzsysteme plädiert er für die Berücksichtigung materieller Determinanten von Gewalt im Kontext der Absicherung von Eroberungen.
Die Vielfalt der Fallbeispiele und Perspektiven des Bandes bietet eine gewinnbringende Lektüre. Indes führt die Europa konsequent dezentrierende Perspektive dazu, dass z.B. das Alte Reich als Gegenstand und weite Teile der deutschen Gewaltforschung überhaupt nicht vorkommen. Ist das ein Problem? Man könnte aus postkolonialer Perspektive berechtigt einwenden, dass ja viel zu lang in anderer Richtung asymmetrisch publiziert wurde. Man könnte sich allerdings auch fragen, ob "global history" hier nicht auch selbst eine hegemoniale Area-Optik beinhaltet, die eher einem ausgewählten Nebeneinander und damit letztlich additivem Globalgeschichtsverständnis huldigt, als Prozesse der Ver- und Entflechtung in den Fokus zu rücken. Methodisch nicht minder diskussionswürdig erscheint mir der damit ausbleibende Dialog mit einer theoretisch elaborierten historischen Gewaltforschung und Gewaltsoziologie jenseits der Strukturgeschichte. [3] Der gewählte methodische Zugang ist meist der einer Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, über konkrete Praktiken der Gewalt erfährt man vergleichsweise wenig; Vertreter einer Mikrosoziologie der Gewalt wie Randall Collins sind keine Referenz, dafür jedoch Autoren wie Steven Pinker oder Charles Tilly. [4] Die "large scale"-Perspektive der meisten Beiträge, die zum Teil ganze Kontinente über mehr als drei Jahrhunderte abhandeln, führt zu einem Historisierungs-Paradox, das man ähnlich auch aus der Mikrogeschichte kennt: Während sich bei extremer Nahblende Gewaltpraktiken immer mehr ähneln, gilt das auch für den extrem weiten Fokus, der manche strukturellen Homologien zu Tage fördert. Dennoch rentiert sich der vergleichende Blick des Bandes, indem es ihm gelingt, die vermeintlichen europäischen Sonderwege der Gewaltgeschichte zu relativieren.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415-2015, München 2016.
[2] Ferdinand Sutterlüty u.a. (Hgg.): Narrative der Gewalt: interdisziplinäre Analysen, Frankfurt a. M. / New York 2019.
[3] Vgl. als konzisen Überblick Teresa Koloma-Beck / Klaus Schlichte: Theorien der Gewalt zur Einführung, 3. überarb. Aufl. Hamburg 2020, 122-160; zur Weiterführung der situationistischen Gewaltsoziologie vgl. Thomas Hoebel / Wolfgang Knöbl: Gewalt erklären! Plädoyer für eine entdeckende Prozesssoziologie, Hamburg 2019.
[4] Randall Collins: Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie, Hamburg 2011; Steven Pinker: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit, Frankfurt a. M. 2011.
Marian Füssel