Rezension über:

Stephanie Moser: Painting Antiquity. Ancient Egypt in the Art of Lawrence Alma-Tadema, Edward Poynter and Edwin Long, Oxford: Oxford University Press 2020, XXV + 596 S., ISBN 978-0-19-069702-0, GBP 64,00
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Rezension von:
Doris H. Lehmann
Fachbereich Kunst, Bergische Universität Wuppertal
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Doris H. Lehmann: Rezension von: Stephanie Moser: Painting Antiquity. Ancient Egypt in the Art of Lawrence Alma-Tadema, Edward Poynter and Edwin Long, Oxford: Oxford University Press 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 7/8 [15.07.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/07/34297.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Stephanie Moser: Painting Antiquity

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Eine beeindruckende Fundgrube an qualitativ hochwertigem Material steckt in Stephanie Mosers dritter Monografie zur Ägyptenrezeption im langen 19. Jahrhundert. Die detailreiche Studie behandelt ihre These einer Symbiose zwischen viktorianischer Malerei und Archäologie am Beispiel der Gemälde mit Darstellungen des Alten Ägypten von Lawrence Alma-Tadema (1836-1912), Edward Poynter (1836-1919) und Edwin Long (1829-1891). Die Relevanz und Brisanz dieser Gemälde bestehen darin, dass ihre Bildwelten unsere Vorstellungen bis heute prägen, da die scheinbare Genauigkeit der darin verarbeiteten archäologischen Funde die Werke in die Nähe von illustrativen Rekonstruktionen rückt, die nicht von allen Betrachtenden als kreative Bilderfindungen und individuelle und fantasievolle Interpretationen entlarvt werden. Ganz gleich welche Antike von den behandelten Malern im Bild verlebendigt wird: Allen diesen Gemälden ist es gemein, dass sie Konstruktionen einer gegenwartsbezogenen und hierfür idealisierten, Fiktion und Fakten kunstreich miteinander vermischenden Vergangenheitsillusion vor Augen stellen (311). [1]

Jedes einzelne Beispiel zeugt von dem Anspruch der Künstler: "create not imitate a world" (484). In diesem Sinne zeigen ihre Bilderfindungen viel mehr als die Summe gelehrter archäologischer Studien: Die im besten Sinne eklektischen Novitäten nutzen die umfangreichen Kenntnisse über die archäologisch rekonstruierte Alltagswelt als variable Kompositionselemente zur Einführung neuer Sujets (Edwin Long, The Gods and Their Makers, 1878) wie auch zur Neugestaltung tradierter Themen etwa aus biblischen Kontexten (Szenen aus Josefs Zeit in Ägypten; Auffindung des Moses-Knaben). Einen Grenzbereich mit Sonderstellung markieren Bildgegenstände mit Szenen aus dem Leben der Kleopatra, speziell ihre Beziehung zu Marc Anton, wegen der mehrfachen Aneignung Ägyptens. Dass für das von Moser bearbeitete Feld eine umfangreiche kolonialgeschichtliche Aufarbeitung noch zu leisten ist, lässt darauf hoffen, dass auf ihrer Studie aufgebaut und diese nicht nur ausgebeutet wird. [2]

Die Vielfalt der Objekte und Quellen, die Moser kenntnisreich ein- und aufeinander bezieht, wird veranschaulicht durch mehr als 200 qualitativ hochwertige, überwiegend farbige Abbildungen. Die Kombination zeigt, wie zahlreiche erhaltene altägyptische Realien in Sammlungen und das Bildgedächtnis des viktorianischen Publikums Eingang fanden und die Künstler einen lebensnahen Zugang zur Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gestalteten. Zur Einordnung werden Vorläufer seit dem 18. Jahrhundert sowie bildliche Auseinandersetzungen mit anderen Zivilisationen des Altertums einbezogen. Gerahmt von Einführung (1-30) und Zusammenfassung (478-490) gliedert sich der in zwei Spalten gesetzte Text in neun Kapitel, die ausgehend von biografischen Grundlagen verschiedene Phasen der Entwicklung, Etablierung und Veränderung der archäologischen Genremalerei und ihrer zeitgenössischen sowie der späteren Rezeption behandeln. Weitere Kapitel thematisieren objektbasierte Bezüge zu Ägyptologie und Archäologie und die kritische Rezeption.

Die inhaltliche Spannweite resultiert aus dem interdisziplinären Ansatz der Archäologin, der darauf abzielt, die mit den angeeigneten Artefakten und ihrer Musealisierung verbundene Wirkungsgeschichte auf mehreren Ebenen nachzuvollziehen und zu kontextualisieren.

Wichtig ist Moser das Lebendigwerden der verlorenen Alltagswelt durch die Integration zahlreicher Funde in viktorianische Bildwelten mit den unterschiedlichen Akzentuierungen der jeweiligen Künstler verständlich zu machen. Die Exempla werden dafür quellenkritisch und unter Berücksichtigung der Forschungsstände vorgestellt, so dass auch Informationen über Museumspublikationen, Ausstellungsbesprechungen und jeweilige Reproduktionen erfasst sind. Dies vollzieht die sich ab den 1850er-Jahren entwickelnde Imagebildung durch die Gemälde nach. Mit dieser verbindet Moser die Entwicklung eines neuen Verständnisses von Kleinfunden, speziell Realia, die einerseits durch Ausgräber nun größere Wertschätzung erfuhren und andererseits durch ihre Ausstellung und Aneignung in Gemälden stärkere Aufmerksamkeit auf sich zogen und auslösten. Die von den Malern entfaltete Pracht der eigentlich kleinen und gewöhnlichen Objekte betont Moser als das besondere Vermächtnis Poynters, Longs und Alma-Tademas. Dies ist eine wichtige Abgrenzung, denn die Schaulust und Faszination des Publikums wird meist auf spektakuläre Entdeckungen bezogen (311). Moser informiert über damalige Forschungsstände und Neufunde und berührt zudem die Kommerzialisierung ägyptischer Altertümer und eine durch archäologische Genregemälde geweckte Nachfrage entsprechender Luxusgüter (335-337). Diesbezüglich ließen sich die Auswirkungen auf die häusliche Welt auch außerhalb der Künstlerhäuser und Ateliers nachweisen.

Mosers der Chronologie der behandelten Werke verpflichteter Zugang zum Thema bietet als Binnenstruktur innerhalb der Kapitel und für die intendierte Dokumentation der Entwicklung eine klare Ordnung ab. Zugleich erschwert diese Sortierung andere relevante Einordnungen, wie sie unmittelbare thematische Kombinationen mit entsprechenden Gegenüberstellungen ermöglicht hätten. So bleiben die behandelten Werke der künstlermonographischen Erschließung verhaftet und der Zwang zu Wiederholungen beeinträchtigt die Lesbarkeit. Im Fall des Hauptwerks Der Tod des Erstgeborenen werden wie in einem Werkverzeichnis die beiden Fassungen getrennt behandelt (64-72, 195-203), gleiches gilt für die in anderen Kapiteln zur Übersicht gebrachten Publikationen der zugehörigen Reproduktionen (297, 299, 334). Bereits in ihrer Einleitung ruft Moser sämtliche Facetten der Wahrnehmung Alma-Tademas als Archäologe seit 1866 auf, indem sie Quellenlage und Forschungsperspektiven in eine Übersicht bringt (6-9) und seine bedeutendere Expertise im Vergleich mit anderen "archaeological painters" wie Poynter und Long betont (8). Nicht aufgelöst wird mit dieser Akribie die Frage nach der sich bietenden Option künstlerischer Freiheiten, die sich gerade die drei Künstler im Umgang mit ihren Vorbildern nehmen konnten, um ihre pseudorealen Bildwelten des Alten Ägypten zu schaffen und zu gestalten (72). Hieran ließe sich aufzeigen, dass Detailstudien nicht zwingend als Feind der künstlerischen Freiheit eingeordnet und infolgedessen grundlegend kunstkritisch in Frage gestellt werden müssen, wie es in Bezug auf Werke des Historismus oft abwertend geschieht. [3] Moser hat Grundlagen geschaffen und Lücken kunsthistorischer Forschungen gefüllt. Auch für die Designgeschichte ist die Studie wegen der enthaltenen Beispiele für Brückenschläge vom archäologischen Objekt zur inzwischen selbst musealisierten patentierten "Artistic Furniture" (Liberty's Furnishing and Decoration Studio; 335-337, 532 Anm. 143) und anderem Design nützlich. An diese Anregungen gilt es nun anzuknüpfen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Ekaterini Kepetzis: Vergegenwärtigte Antike. Studien zur Gattungsüberschreitung in der französischen und englischen Malerei (1840-1914), Frankfurt am Main [u.a.] 2009.

[2] Vgl. Stephanie Pearson: European manipulations of Egypt. Rezension von: Stephanie Moser: Painting antiquity. Ancient Egypt in the art of Lawrence Alma-Tadema, Edward Poynter and Edwin Long, 2020 / Miguel John Versluys (Hg.): Beyond Egyptomania. Objects, style and agency, 2020, in: Art history, 44, 5 (November 2021), 1071-1074.

[3] Vgl. Pierre Bourdieu: Eine symbolische Revolution. Manet, Berlin 2015, 179.

Doris H. Lehmann