Sebastian Gehrig: Legal Entanglements. Law, Rights and the Battle for Legitimacy in Divided Germany, 1945-1989, New York / Oxford: Berghahn Books 2021, XIII + 327 S., 10 Abb., ISBN 978-1-80073-083-0, GBP 107,00
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Als 1967 eine Maschine der tschechoslowakischen Fluggesellschaft ČSA über Kanada abstürzte, geschah etwas aus unserer heutigen Sicht Ungewöhnliches. Unter den Verletzten befanden sich nämlich zwei DDR-Bürger, das kanadische Außenministerium verweigerte aber den Vertretern aus der DDR, die die Opfer unterstützen wollten, die Einreise ins Land. Das kanadische Außenministerium ließ nur Vertreter aus der Bundesrepublik vor Ort zu und unterstützte damit den Rechtsstandpunkt der damaligen Bundesregierung, dass es sich bei den Verunglückten nicht um DDR-Bürger, sondern um deutsche Staatsbürger handelte, die wiederum nur die Bundesrepublik diplomatisch vertreten durfte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die alliierten Siegermächte eine Besatzungsordnung für das besiegte Deutschland geschaffen. Diese hielt einen rechtlichen Rahmen bereit, in dem die Bundesrepublik und die DDR gegründet wurden, an dem diese beiden Teilstaaten in den nächsten 45 Jahren ihr Handeln orientieren mussten, den sie in ihrem Sinne verändern wollten und in dem sie später die Wiedervereinigung vollzogen. Auf diese Weise waren DDR und Bundesrepublik während der Zeit des Kalten Kriegs eng aufeinander bezogen, konkurrierten aber zugleich miteinander und um die internationale Anerkennung ihres jeweiligen Standpunktes, wie das Beispiel der verunglückten DDR-Bürger deutlich macht. Teilweise besaß dieser Konflikt um die rechtliche Legitimität geradezu existenzielle Züge. Es ist das Verdienst der Arbeit von Sebastian Gehrig, diese Zusammenhänge erstmals aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive für den gesamten Zeitraum von 1949 bis 1989 in den Blick zu nehmen. Dabei zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie auf eine Vielzahl rechtlicher Phänomene auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zu sprechen kommt, darunter Gesetze, Gerichtsentscheidungen, Regierungserklärungen auf internationalem Parkett, internationale Juristentreffen, juristische Vorträge und Publikationen. Gehrigs Studie zeigt, welche anregenden, teilweise sogar überraschenden Ergebnisse sich zutage fördern lassen, wenn wir die deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte durch die Untersuchung rechtlicher Aspekte erweitern.
Die Studie schreitet chronologisch voran und behandelt meist in längeren Abschnitten die Entwicklungen in Ost- oder in Westdeutschland, um sie dann am Ende eines Kapitels direkt aufeinander zu beziehen. Laut Gehrig gab es bei der deutsch-deutschen Auseinandersetzung um das Recht drei längere Phasen. Die erste, welche die 1950er Jahre umfasste, wurde von der Bundesrepublik dominiert, die durch Rückgriff auf das traditionelle Staatsrecht die These von der fortbestehenden Souveränität des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937 vertrat und daraus den Alleinvertretungsanspruch und die Hallstein-Doktrin ableitete. Die im Aufbau befindliche DDR drängte sie damit in die Defensive.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre entwickelte die DDR ein Konzept sozialistischer Gesetzlichkeit und die Zwei-Staaten-Theorie, die die Voraussetzungen dafür schufen, sich von der Reichstradition und von der Bundesrepublik vollständig abzugrenzen. Vor diesem Hintergrund setzte nach Gehrig in den 1960er Jahren die zweite Phase ein. Die DDR begann durch Bezugnahme auf das Völkerrecht allgemein, auf das Selbstbestimmungsrecht der Staaten, auf die sozialistischen Menschenrechte und auf den Kontext der Dekolonialisierung eine Werbekampagne auf internationaler Ebene, um die eigene Reputation zu erhöhen und letztlich eine Aufnahme in die Vereinten Nationen zu erreichen. Vor diesem Hintergrund fühlte sich die Bundesrepublik international zunehmend isoliert und sah sich gezwungen, sich ebenfalls stärker völkerrechtlichen Argumenten zuzuwenden. Große Unsicherheit verursachte hier die Einführung einer DDR-Staatsbürgerschaft im Jahr 1967, weil damit auch eine Kriminalisierung von Flüchtlingen aus Ostdeutschland einherging, schließlich hatten sie das Land illegal verlassen. Die Flüchtlinge wurden von der DDR nun weiterhin als eigene Bürger angesehen, so dass im Westen die Befürchtung bestand, diese - wenn sie etwa in Länder des Ostblocks reisten - nicht genügend vor dem Zugriff der DDR schützen zu können.
Die dritte Phase ab den 1970er Jahren war zunächst vom Willen beider Seiten zur Verständigung trotz unterschiedlicher Positionen in rechtlichen Fragen geprägt, was besonders im Grundlagenvertrag von 1972 zum Ausdruck kam. Im folgenden Jahr durften beide deutsche Staaten endlich vollwertiges Mitglied der UNO werden. Innerhalb der Bundesrepublik traten zwischen unterschiedlichen Institutionen verstärkt Differenzen des Rechtsstandpunkts hervor. Speziell das Bundesverfassungsgericht versuchte, durch Rückgriff auf traditionelle staatsrechtliche Argumente der Bundesregierung beim Umgang mit der DDR Grenzen zu setzen. Dabei nutzte die Bundesregierung ab den späten 1970er Jahren zunehmend die Menschenrechte als Argument, um sie gegen die DDR zu wenden, was diese wiederum in eine Abwehrstellung drängte und zu einem restriktiveren Kurs im Innern bewog. Gehrig spricht nun von einer vollständigen Trennung der ost- und westdeutschen Rechtskulturen und von deren umfassender Integration in das jeweilige Blocksystem.
Trotz dieser bemerkenswerten Ergebnisse kann die Arbeit von Gehrig nicht vollständig überzeugen. Es fehlt vor allem eine genauere Festlegung des Untersuchungsgegenstandes, so dass die Auswahl der behandelten Themen nicht immer nachvollziehbar ist. Für die zweite Hälfte der 1980er Jahre wird beispielsweise eine Konferenz der sozialistischen obersten Gerichte in Ost-Berlin ausführlich behandelt, während die Auseinandersetzungen um die rechtliche Einordnung des Arbeitsbesuchs von Erich Honecker in Bonn mit keinem Wort erwähnt werden. Genauso hätte die Frage, inwieweit die USA und die Sowjetunion den jeweiligen Rechtsstandpunkt der Bundesrepublik und der DDR beeinflussten, generell mehr Aufmerksamkeit verdient. Zu wenig betont wird zudem der Bruch im Recht der DDR, der nicht erst Mitte der 1950er Jahre einsetzte, sondern von Anfang an zu beobachten ist. Recht hatte dort für den Staat einen viel weniger herrschaftsbeschränkenden, sondern eher legitimierenden Charakter. Recht war dem Primat der Partei untergeordnet und konnte im Zweifelsfall einfach außer Kraft gesetzt werden. Folglich darf die von der innerstaatlichen Rechtspraxis weitgehend abgekoppelte, propagandistische Dimension von völkerrechtlichen Diskussionsbeiträgen der DDR in der UNO nicht unterschätzt werden, während solche Wortmeldungen der Bundesrepublik vor internationaler Kulisse für die Rechte des Einzelnen ganz handfeste Konsequenzen haben konnten - selbst wenn hier ein werbendes Moment natürlich ebenfalls vorhanden war.
Doch diese Einwände sollen die Verdienste von Sebastian Gehrigs Pionierstudie nicht grundsätzlich infrage stellen. Der Boden ist nun bereitet für weitere Forschungsarbeiten, die sich der Verflechtung der beiden deutschen Staaten aus rechtlicher Perspektive genauer zuwenden.
Frieder Günther