Rezension über:

Aaron Donaghy: The Second Cold War. Carter, Reagan, and the Politics of Foreign Policy (= Cambridge Studies in US Foreign Relations), Cambridge: Cambridge University Press 2021, XIII + 389 S., ISBN 978-1-108-83803-0, GBP 47,99
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Rezension von:
Gerhard Altmann
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Gerhard Altmann: Rezension von: Aaron Donaghy: The Second Cold War. Carter, Reagan, and the Politics of Foreign Policy, Cambridge: Cambridge University Press 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 10 [15.10.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/10/36341.html


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Aaron Donaghy: The Second Cold War

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"Turning on the Charm". Mit diesen Worten charakterisierte das US-Nachrichtenmagazin Newsweek am 14. Oktober 1985 den Besuch des neuen sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow in Paris. Während seine Vorgänger als dröge, gesundheitlich angeschlagene Apparatschiks der westlichen Öffentlichkeit allenfalls den maroden Zustand des "Vaterlands der Werktätigen" vor Augen führten, vermochte der neue Mann im Kreml die Phantasie der politisch Verantwortlichen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu beflügeln. Als "critical agent of change" (253) traf er auf einen amerikanischen Präsidenten, der seinerseits die Kunst des öffentlichkeitswirksamen Auftritts aus dem Effeff beherrschte. Aaron Donaghy zufolge verdankte Ronald Reagan es nicht zuletzt dieser Eigenschaft, dass er - anders als Jimmy Carter - die sicherheitspolitische Wende im vierten Jahr seiner Präsidentschaft zu einer Erfolgsgeschichte im Vorfeld der angestrebten Wiederwahl stilisieren konnte. Da im politischen System der Vereinigten Staaten "campaigning never stops" (8), interpretiert Donaghy den Zweiten Kalten Krieg aus einer dezidiert innenpolitischen Perspektive, was keine komplett neuen Einsichten zutage fördert, aber den Blick schärft für den Einfluss inneramerikanischer Faktoren auf die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen in der Spätphase des Ost-West-Konflikts. Dass die Geschichte, die Donaghy erzählt, verblüffende Parallelen zu den Entwicklungen im Verhältnis zwischen Putins Russland und dem Westen aufweist, sei nur am Rande erwähnt.

Eine hohe Inflation, steigende Leitzinsen und Ölpreise sowie Benzinknappheit kennzeichneten die volkswirtschaftliche Lage im Amerika Jimmy Carters, dessen Demokratische Partei im Clinch zwischen Liberalen und Neokonservativen zu zerreißen drohte. War Carter - ausweislich seiner programmatischen Rede an der Universität von Notre Dame im Mai 1977 - angetreten, um die Politik der Entspannung fortzusetzen und dabei der Beachtung der Menschenrechte eine besondere Bedeutung zuzumessen, so formierte sich etwa im Committee on the Present Danger der neokonservative Widerstand jener Politiker, denen Détente als "dirty word" (23) galt. Der einflussreiche demokratische Senator Henry Jackson, der wie kaum ein Zweiter das gesteigerte Selbstbewusstsein des Kongresses nach Vietnam personifizierte, brandmarkte Carters Bemühen um eine Neuauflage des SALT-Abkommens. Carter - "disinclined to stroke egos" (52) - tat sich schwer mit den Usancen auf Capitol Hill, konnte außenpolitisch jedoch punkten, als er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China mit dem "Taiwan Relations Act" koppelte und den Abzug vom Panamakanal mit der Kautel versah, dass die USA auch über das Jahr 2000 hinaus Truppen in der Kanalzone stationieren dürften. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan an Weihnachten 1979 avancierte dann aber zum eigentlichen "watershed moment" (78) in Carters Sicherheitspolitik. Die harschen Strafmaßnahmen gegen die UdSSR überraschten den Kreml und Carters innenpolitische Kritiker gleichermaßen. Dass Leonid Breschnew "an avoidable, ill-conceived, and largely undesired conflict" (86) vom Zaun brach, während die US-Administration die historisch-religiösen Besonderheiten Afghanistans sowie die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion ausblendete, folgte einem eigentlich hinlänglich bekannten Muster zahlreicher Konflikte seit 1945. Die Kehrtwende Carters, die die Prinzipien von Notre Dame konterkarierten, aber ganz nach dem Geschmack der Hardliner in der eigenen Regierung, allen voran Zbigniew Brzezinskis, waren, konnten indes seine Präsidentschaft nicht mehr retten. Die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran schien all jene zu bestätigen, die Carter seit jeher mangelndes Geschick und fehlende Fortune in sicherheitspolitischen Krisen attestierten.

Donaghy porträtiert Reagan, der Carter im Januar 1981 ablöste, mithilfe weithin bekannter Epitheta: begnadeter Kommunikator, geschmeidiger Menschenfischer, wenig detailversessen, Meister der Vereinfachung. Dass Reagan das Getreideembargo gegen die Sowjetunion aufhob, um den heimischen Landwirten einen Gefallen zu tun, während er die Erdgasgeschäfte der Westeuropäer mit der UdSSR zu torpedieren versuchte, zeigt, so Donaghy, die Bedeutung innenpolitischer Faktoren bei der Verwirklichung außenpolitischer Ziele. Reagan, der trotz seiner Ablehnung der Entspannungspolitik seit Richard Nixon den nuklearen Overkill fürchtete und das dazu bereitstehende Arsenal für amoralisch hielt, wurde von der Kampagne zum Einfrieren der Atomrüstung auf dem falschen Fuß erwischt und unter erheblichen Druck gesetzt. Demokraten im Kongress um Edward Kennedy nutzten dieses Momentum, um Reagan vor sich herzutreiben. Als Instinktpolitiker erkannte der Präsident die Gefahr und lancierte die START-Initiative sowie zahlreiche PR-Maßnahmen. Donaghy ordnet die Evil-Empire-Rede Reagans in diese Bemühungen ein, denn sie wurde vor einer Versammlung evangelikaler Geistlicher gehalten, denen Reagan ins Gewissen redete, um sie von ihrer Unterstützung der Freeze-Bewegung abzubringen. Unterdessen verschoben sich in der Administration die Gewichte: Der Falke Caspar Weinberger, dem Reagan persönlich tief verbunden war, verlor Anfang 1983 zugunsten des pragmatischeren Außenministers George Shultz an Einfluss. Der Präsident wollte im Wahljahr seine ökonomischen Erfolge mit sicherheitspolitischen Initiativen flankieren, die der Vertrauensbildung gegenüber dem Kreml ebenso wie gegenüber der amerikanischen Bevölkerung dienten. Deshalb sei auch das - nicht zuletzt in Westeuropa heftig angefeindete - SDI-Programm (Strategic Defense Initiative) als Vorstoß zu bewerten, der darauf zielte, das Gleichgewicht des Schreckens zu durchbrechen. Die vergleichsweise moderate Reaktion auf den Abschuss einer Maschine der Korean Air Lines durch sowjetische Abfangjäger im September 1983 und die Ernennung Robert McFarlanes zum Nationalen Sicherheitsberater waren geeignet, "to inject some adaptability into U.S. policy" (207), und folgten zugleich der "logic of the intermestic" (214), also der Schnittstelle zwischen Außen- und Innenpolitik (domestic and international), die im Zentrum von Donaghys Studie steht. Nach dem Erdrutschsieg Reagans im Herbst 1984 und der Ernennung Gorbatschows zum Generalsekretär im März 1985 eröffneten sich neue Perspektiven in den Ost-West-Beziehungen. Dabei sei Amerika zu keinem Zeitpunkt Gefahr gelaufen, seine militärische Hegemonie zu verlieren, während umgekehrt nicht die Aufrüstung unter Reagan Gorbatschow, der die Bevölkerung der Sowjetunion als politischen Faktor ignorieren konnte, an den Verhandlungstisch gezwungen habe. Die Kehrtwende Reagans sei, so Donaghy, insgesamt weniger drastisch ausgefallen als die seines Vorgängers. Freilich verbinde alle Präsidenten während des Kalten Kriegs eine Neigung zum Alarmismus, die den Blick auf die Tatsachen oft verstellte.

Die fokussierte Darstellung Donaghys verspricht zu Beginn wichtige Einsichten in das internationale Krisenmanagement. Zwei davon stechen hervor. Erstens profitierte das politische System der Vereinigten Staaten unter den Präsidenten Carter und Reagan trotz ideologischer Zuspitzungen von dem Willen, in zentralen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik über Parteigrenzen hinweg gemeinsame Lösungen zu finden. Selten wurden im Kongress Entscheidungen strikt entlang einer weltanschaulich zementierten Parteilinie getroffen. Zweitens nahm die US-Administration Rücksicht auf die Empfindlichkeiten der Partner in Westeuropa. Das ständige Bemühen um Ausgleich in den transatlantischen Beziehungen stärkte die Allianz und verhalf ihr so zu einer komfortableren Verhandlungsposition gegenüber dem Kreml, was letztlich auch den kühnen Reformbemühungen Gorbatschows zugutekam.

Gerhard Altmann