Elisabeth Ruffert: Das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburgisch-preußischen Hofes um 1700 (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte; Bd. 55), Berlin: Duncker & Humblot 2022, 728 S., ISBN 978-3-428-18327-2, EUR 119,90
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Als 1494 der französische König Karl VIII. (1470-1498) ein Kriegsheer ins Königreich Neapel führte, um Erbansprüche geltend zu machen, begann eine Serie von kriegerischen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf sich ein europäisches Staatensystem herauszubilden begann. Der Westfälische Frieden von 1648 etablierte eine vorläufig, aber noch keineswegs endgültig konsolidierte Friedensordnung in Europa, die auf einer prinzipiellen, aber keineswegs faktischen Gleichrangigkeit der noch unfertigen Staaten aufbaute. Das Ringen der Staaten Europas auf den Kriegsschauplätzen um Macht, Herrschaft und ihren spezifischen Platz im Staatensystem spiegelte sich in gewisser Weise in den Rivalitäten auf dem diplomatischen Parkett wider, in denen die Gesandten als Repräsentanten ihrer Fürsten und Regierungen um Ansehen, Vorrang und Ehren in der höfischen Öffentlichkeit rangen.
Mittels des volatilen und kreativ handhabbaren Gesandtschaftszeremoniells, das ein beredtes symbolisches Kommunikations- und Zeichensystem darstellte, war es dem jeweiligen Fürsten möglich, Positionen fremder Mächte anzuerkennen, in Frage zu stellen oder abzulehnen, zugleich aber auch sich der eigenen Position im europäischen Machtgefüge zu vergewissern, bestehende Zweifel daran zurückzuweisen oder seine Stellung perspektivisch zu verbessern. Auch in der Diplomatie manifestierte sich die Konfliktintensität und von Johannes Burkhardt konstatierte Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit, als vieles noch im Werden begriffen war.
Den Ausdifferenzierungsprozessen auf diplomatischer Ebene, das heißt dem "Funktionieren der gesandtschaftlich-zeremoniellen Praxis" (14) am Beispiel des Gesandtschaftszeremoniells des brandenburgisch-preußischen Hofes von 1648 bis 1740, ist die umfangreiche Dissertation von Elisabeth Ruffert gewidmet. Das Gesandtschaftszeremoniell, "dessen generelle Entwicklung [...] noch immer als Desiderat der Forschung anzusehen" (15) ist, war Teil des Staatszeremoniells und konstituierte - im Anschluss an André Krischer - "ein soziales, interpersonales Verhältnis zwischen den europäischen Potentaten, war ein sichtbarer Ausweis einer Rangordnung derer und funktionierte damit letztlich wie eine Art Hofzeremoniell im Großen" (62). In komparatistischer Perspektive sucht die Autorin die Spezifika des brandenburgisch-preußischen Gesandtschaftszeremoniells und den jeweiligen Anteil der drei im Untersuchungszeitraum regierenden Herrscher daran - Friedrich Wilhelm (1620-1688), der Große Kurfürst, Friedrich III./I. (1657-1713) und Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), der Soldatenkönig - herauszuarbeiten, wie aus der Einleitung (Kap. I, 9-26) hervorgeht. Die Untersuchung selbst gliedert sich in drei Kapitel. Der mit "Grundlagen" überschriebene Block (Kap. II, 27-105) informiert über die breite Quellengrundlage der Studie, zugleich aber auch über die praktische Nutzung dieser Zeugnisse an den Höfen im 17. und 18. Jahrhundert, nimmt Begriffsdefinitionen vor (Ritual, Zeremoniell) und skizziert knapp die allgemeine Entwicklung des Gesandtschaftswesens, die administrativen Strukturen brandenburgisch-preußischer Außenpolitik und verschiedene organisatorische Aspekte des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens.
Im dritten Kapitel (106-297) erörtert die Autorin "grundlegende Problematiken" des Gesandtschaftszeremoniells am Berliner Hof. Zeremoniell- und Rangkonflikte - insbesondere zwischen fast gleichrangigen Repräsentanten - charakterisierten die gesamte Epoche der Frühen Neuzeit. Dies zeigt sich etwa bei der in sich differenzierten, aber gemeinsam um ihre Präeminenz besorgten Gruppe der Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Ungeachtet dieser gemeinsamen zeremoniellen Interessen kam es immer wieder zu Konflikten untereinander, in Ausnahmefällen aber auch zur temporären Zusammenarbeit, so 1680 bei einem Zeremoniellvergleich zwischen den Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, der "eine Gleichbehandlung von königlichen, kurfürstlichen und republikanischen Diplomaten vor(sah)" (116). Mit der Übernahme der polnischen Krone durch Kurfürst Friedrich August I. (1670-1733) zerbrach diese Kooperation. Brandenburg-Preußen konkurrierte am Kaiserhof, Reichstag und andernorts nicht nur mit Republiken, namentlich mit Venedig und den Vereinigten Provinzen der Niederlande, um Rang, Präzedenz und honores regii, sondern auch mit deutschen und auswärtigen Fürsten (zum Beispiel mit den Herzögen von Lothringen und Savoyen).
Nachdem konkurrierenden Reichsständen Ende des 17. Jahrhunderts Rangerhöhungen gelungen waren, brachte der Erwerb der preußischen Königskrone im Januar 1701 auch Brandenburg-Preußen die ersehnte zeremonielle Aufwertung in der höfischen Öffentlichkeit Europas. Die neue Königswürde, Resultat eines langfristigen dynastischen Gesamtprojekts der Hohenzollern vom Großen Kurfürsten bis zum Soldatenkönig, machte nicht nur am Berliner Hof die Umwandlung des kurfürstlichen in ein königliches Gesandtenzeremoniell notwendig, sondern musste auch von den preußischen Gesandten an auswärtigen Höfen zur Geltung gebracht werden. Die spezifische Ausgestaltung von Gesandtschaftszeremoniellen orientierte sich in Brandenburg-Preußen - aber auch andernorts - an Tradition und Herkommen sowie am Beispiel anderer Höfe im Reich (Dresden, Hannover, Wien), in Europa und darüber hinaus (Russland) - im Rahmen des Möglichen und Durchsetzbaren, ganz im Sinne des Großen Kurfürsten die jeweiligen Konjunkturen ausnutzend und eher auf Chancen reagierend als vorpreschend. Das in Berlin von 1648 bis 1740 praktizierte Gesandtschaftszeremoniell weist über die Zäsuren der Herrschaftswechsel von 1688 und insbesondere auch von 1713 hinaus eine relative Kontinuität und Kohärenz auf und spiegelt im Anschluss an Barbara Stollberg-Rilinger die allgemeinen Entwicklungstendenzen des höfischen Zeremoniells dieser Zeit wider: Verrechtlichung, Verfeinerung, Verschriftlichung und Ausdifferenzierung (518f.)
Im vierten Kapitel (298-517) werden schließlich einzelne Elemente des Gesandtschaftszeremoniells - Abschied, fürstliche Familie, Gesandtin, Geschenke, Gestik und Gegenstände, Hofstaat, Militär und Musik, Raum, Sprache, Tafelhalten, Zeit - abgehandelt, ehe dann ein Resümee der Untersuchung gezogen wird (518-534). Abgerundet wird die Arbeit durch ein umfangreiches "Literatur- und Quellenverzeichnis" (sic!) (534-719) sowie ein Personenverzeichnis (720-728).
Die vorliegende Arbeit bewegt sich weitgehend im Rahmen des bekannten Wissenshorizonts zur Geschichte Brandenburg-Preußens, des höfisch-diplomatischen Zeremoniells und der symbolischen Kommunikation. Mit dem Blick auf andere Höfe, an denen sich brandenburgisch-preußische Gesandte behaupten mussten, verschwimmt der eigentliche Themenschwerpunkt der Arbeit ein wenig: der Berliner Hof um 1700. In sprachlich-stilistischer Hinsicht gibt es manche unschöne Formulierung oder manchen allzu komplizierten Satz (17, 21, 25). Und bei Norbert Elias handelt es sich natürlich nicht um einen "französischen Soziologen" (11). Auch wenn der in der Einleitung geäußerte Anspruch, einen Beitrag zur Geschichte des Gesandtschaftszeremoniells in der Frühen Neuzeit zu leisten, nicht in jeder Hinsicht erfüllt wird, vermag die Studie am konkreten Beispiel des Gesandtschaftszeremoniells des kurfürstlichen, ab 1701 königlichen Hofes Brandenburg-Preußens wertvolle, quellengestützte Einblicke in die Geschichte der modernen Diplomatie im (geburts-)ständisch und hierarchisch strukturierten Europa der Frühen Neuzeit zu liefern, als Zeremonielle und Rangfragen von enormer Bedeutung waren.
Peter Mainka