Rezension über:

Ernst Wolff: Mongameli Mabona. His Life and Work, Leuven: Leuven University Press 2020, 202 S., ISBN 978-94-6270-255-4, EUR 19,50
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Rezension von:
Christoph Marx
Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Paul Blickle
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Marx: Rezension von: Ernst Wolff: Mongameli Mabona. His Life and Work, Leuven: Leuven University Press 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 11 [15.11.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/11/37500.html


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Ernst Wolff: Mongameli Mabona

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Seit dem Ende der Apartheid erschienen zahlreiche Lebenserinnerungen, Autobiographien und Biographien über schwarze Südafrikaner, wodurch der Geschichtswissenschaft viel neues und wichtiges Material zugänglich wurde. Häufig handelte es sich um Angaben zu Leben und Werk prominenter politischer Aktivisten der unterschiedlichsten Couleur, gelegentlich auch zu unabhängigen Intellektuellen. Zu letzteren zählt Mongameli Mabona, dessen außergewöhnlicher Lebensweg in dem Buch von Ernst Wolff erstmals erschlossen wird. Das Buch ist im hauseigenen Verlag der Universität Leuven veröffentlicht und gleichzeitig im Open Access auch für interessierte Leser im fernen Südafrika leicht zugänglich, was ihm hoffentlich eine große Leserschaft und Mabona die verdiente Bekanntheit eintragen wird. [1] Mongameli Mabona, geboren im Jahr 1929, entkam dem üblichen Lebenszyklus eines schwarzen Südafrikaners im 20. Jahrhundert, der von Wanderarbeit und einem kurzen Leben als Bergarbeiter geprägt war. Mabona stammt aus der heutigen südafrikanischen Provinz Eastern Cape, genauer aus dem Xhosaland, wo er die Gelegenheit erhielt, eine katholische Missionsschule zu besuchen. Ernst Wolff, Philosoph an der Universität Leuven und zuvor etliche Jahre in Pretoria tätig, kommt das Verdienst zu, in langjähriger Arbeit das Leben Mabonas rekonstruiert zu haben. Da dessen Schriften an oft sehr entlegenen Orten publiziert wurden und nur unter großem Zeitaufwand aufzufinden waren, betont Wolff selbst den vorläufigen Charakter seiner Forschungen, die er in diesem Buch über Leben und Werk Mabonas zusammengestellt hat. Darin sind auch Gespräch mit Mabona und seiner Frau Marta sowie dem ältesten Sohn Themba eingeflossen.

Wolff nimmt sich selbst sehr zurück, er sieht seine Aufgabe primär darin, Informationen anzubieten und den Lesern die Interpretation selbst zu überlassen. Dabei ist ihm bewusst, dass seine Inhaltsangaben der Schriften Mabonas bereits eine Interpretation enthalten und er benutzt auch die erste Person Singular, um seine eigenen Einschätzungen gelegentlich einfließen zu lassen und sie gleichzeitig als solche zu kennzeichnen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, deren erster und längerer Mabonas Leben beschreibt, während der zweite die Inhalte seiner Schriften zusammenfassend wiedergibt und damit Interesse weckt, diese im Original zu lesen. In einem 20 Seiten umfassenden Überblickskapitel zur Geschichte des Xhosalandes gelingt es Wolff, die Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert so konzentriert und auch für diejenigen, die die Geschichte Südafrikas nicht kennen, verständlich darzustellen, dass die "history of confrontations", die die Kapitelüberschrift verspricht, in ihrer ganzen Komplexität präsentiert wird.

Das zweite Kapitel schildert den historischen Kontext, in dem der junge Mabona aufwuchs, die Zeit von der Gründung der Union von Südafrika im Jahr 1910 bis zur Mitte der 1950er Jahre, als die Apartheid in ihrer bürokratischen Brutalität bereits auf dem Land lastete. Wolff erläutert religiös inspirierten Widerstand gegen die Rassentrennung ebenso wie die verschiedenen politischen Gruppierungen und Gewerkschaften dieser Jahre.

Der junge Mabona wuchs in der ländlichen Transkei südlich der Stadt Queenstown auf, in einer Gegend, in der schon seit geraumer Zeit katholische Missionare aktiv waren. Während Mabona über seine Großmutter und andere Vertreter der älteren Generation die traditionelle Kultur der Xhosa kennenlernte, die für ihn später nach seiner Hinwendung zur Sozialanthropologie so wichtig werden sollte, wurde sein eigenes schulisches Umfeld vom katholischen Glauben geprägt und von den europäischen Sitten, wie sie die Missionare praktizierten und verbreiteten. Da Mabonas Vater katholisch war und für die Kirche arbeitete, lag es nahe, dass auch der Sohn eine Missionsschule besuchte. Er lernte bereits in jungen Jahren Deutsch und bald darauf Latein. Er wechselte dann zu einer höheren Schule in Ixopo, wo der begabte Junge eine individuelle Förderung durch die deutschsprachigen Missionare erfuhr und in das Seminar aufgenommen wurde. Mabona entwickelte früh einen beträchtlichen Bildungshunger, der sich aber nicht primär auf das erstreckte, was am Seminar gelehrt wurde, sondern auf aktuelle philosophische Entwicklungen in Europa, etwa Sartre und Heidegger. 1954 wurde er zum Priester geweiht und arbeitete danach als solcher an verschiedenen Orten in der Diözese von Queenstown.

Die kirchlichen Autoritäten wurden auf ihn aufmerksam und schickten ihn zur weiteren Ausbildung an die päpstliche Universität Urbaniana in Rom. Die Vorlesungen wurden dort in lateinischer Sprache gehalten, was für Mabona kein Problem darstellte, er brachte sich sogar selbst während seines Aufenthaltes Italienisch bei. Er schrieb seine Dissertation über die Stellung des Katechisten in der Kirche auf Latein, obwohl er sie auch in englischer Sprache hätte verfassen können, womit er erfolgreich zum Doktor der Theologie promoviert wurde.

Neben seinen theologischen Studien nutzte er den Aufenthalt in Europa, um zahlreiche Kontakte zu anderen afrikanischen Intellektuellen zu knüpfen. Dies wurde ihm durch seine Teilnahme an verschiedenen Konferenzen erleichtert, unter denen der Zweite Kongress schwarzer Autoren und Künstler 1959 die wichtigste war. Dort lernte Mabona den Senegalesen Alioune Diop kennen, der ihn als Autor für seine einflussreiche, 1947 gegründete, Zeitschrift "Présence Africaine" gewann, in der die wichtigsten afrikanischen Intellektuellen, insbesondere auf dem Umfeld der "négritude", publizierten. Seit Mitte der 1950er Jahre hatte die Zeitschrift eine deutlich panafrikanistische Ausrichtung und hat sicher Mabonas spätere Hinwendung zur Black Consciousness beeinflusst.

1963 kehrte Mabona nach Südafrika zurück, wo die Polizei schnell auf ihn aufmerksam wurde, ihn als gefährlich einstufte und schikanierte. Wolff stellt ähnlich wie im Italienkapitel zunächst den historischen Kontext vor, beschränkt sich dabei aber auf die Jahre, die Mabona in Südafrika verbrachte, bevor er das Land in den frühen 1970er Jahren erneut verließ. Nach einer einjährigen Tätigkeit an einer Ausbildungsstätte für Katechisten belegte ihn der südafrikanische Staat mit einer Beschränkung seiner Freizügigkeit und seiner Kontakte. Trotz der äußerst prekären Datenlage konnte Wolff rekonstruieren, dass Mabona, der sich in seiner Mitarbeit an Présence Africaine intensiv mit afrikanischer Kultur und Tradition befasst hatte, nun aktiv ethnographische Forschungen insbesondere zur Religion der Xhosa durchführte, die er später für seine zweite Dissertation fruchtbar machen konnte. Außerdem betätigte er sich als Autor auf einem ganz anderen Gebiet, als er erstmal eigene Gedichte veröffentlichte. 1967 nahm er eine Dozententätigkeit an einem katholischen Seminar in der Nähe von Pretoria auf, was ihm erneut Überwachung und Drohungen von den staatlichen Behörden einbrachte, weil er aus seiner Ablehnung der Apartheid keinen Hehl machte. Er half Studenten, sich zu organisieren und kam in diesem Kontext erstmals mit Vertretern der gerade entstehenden Black Consciousness-Bewegung (BC) zusammen. Offenbar übte Mabona sogar einen bedeutenden Einfluss auf die Black Theology aus, die für die Entwicklung der Black Consciousness-Bewegung wichtig war. Mabona brachte bei seiner Rückkehr nach Südafrika Ausgaben von "Présence Africaine" mit, die Artikel von Frantz Fanon enthielten, dessen Gedanken dadurch im Eastern Cape verbreitet wurden und Eingang fanden in die Black Consciousness-Bewegung um Steve Biko. Tatsächlich war Mabona der "missing link" zwischen Fanon und Aimé Cesaire und den jungen südafrikanischen Studenten. Ein Black Priests' Manifesto, als dessen führenden Kopf Wolff Mabona vermutet, kritisiert aus der Perspektive des schwarzen Bewusstseins das Verhalten der katholischen Kirche. Die folgenden Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche und besonders an dem Seminar führten dazu, dass Mabona auf eigenen Wunsch aus dem Dienst der Kirche entlassen wurde.

Die Bedrohung durch die Polizei waren der Hauptgrund, warum Mabona ins Exil ging, diesmal nach Großbritannien und später in die Schweiz. Sein fast zehn Jahre dauernder Aufenthalt in Südafrika und seine Verbindung mit der entstehenden Black Consciousness-Bewegung stellten einen Wendepunkt in Mabonas Leben dar, denn er ließ die bisherige Beschäftigung mit theologischen und philosophischen Fragen weitgehend hinter sich und wandte sich nun der Sozialanthropologie zu, ein Fach, das er 1972 und 1973 an der School of Oriental and African Studies in London zu studieren begann. Zunächst arbeitete er noch einige Zeit als Priester, dann beendete er diese Tätigkeit, ohne dass deutlich wird, ob er sich offiziell laisieren ließ. Sein Geld verdiente er fortan als Angestellter in Hotels, war aber auch politisch tätig, indem er einige Zeit exilierte Black Consciousness-Aktivisten unterstützte. Er traf eine alte Bekannte aus seiner Zeit in Rom wieder, eine Schweizer Aktivistin, mit der er in Kontakt geblieben war und der er 1977 in die Schweiz folgte, wo die beiden heirateten und sich dauerhaft in Luzern niederließen. Sein Geld verdiente er als Pförtner in einem Krankenhaus. In seiner freien Zeit arbeitete er als Doktorand an der Universität Bern an einem Forschungsprojekt über die traditionelle Religion der Xhosa und konnte im Jahr 2000 ein zweites Mal promovieren. Die Arbeit erschien 2004 im Druck unter dem Titel "Diviners and Prophets among the Xhosa (1593-1856). A study in Xhosa cultural history". Trotz der weit voneinander entfernten Themen von Mabonas beiden Dissertationen sieht Wolff eine Verwandtschaft darin, dass beide die Vermittlung zwischen unterschiedlichen Kulturen thematisierten. Nach Südafrika kehrte Mabona mehrfach zurück, aber ohne Absicht, sich dauerhaft im Land seiner Ahnen niederzulassen.

Im zweiten Teil führt Wolff durch die bisher bekannten Schriften Mabonas, wobei er auf Kontinuitäten und Besonderheiten aufmerksam macht und eine hervorragende Einführung in das Werk gibt. Dabei wird deutlich, wie sehr afrikanische Themen, insbesondere die Beschäftigung mit der Kultur der Xhosa, Mabona schon beschäftigten, als er sich noch primär theologischen Fragen und seiner Arbeit als Priester widmete. Mabonas Leben, das scheinbar in Phasen und Tätigkeiten zerfällt, die völlig unterschiedlich sind, erhält damit über das Werk und sein immer mehr in den Vordergrund tretendes Interesse an sozialanthropologischen Fragen seine innere Einheit. Denn Mabona entwickelte eine eigenständige afrikanische Philosophie, die aus seiner Lehrzeit in der Schule und am katholischen Seminar entstand und durch die Black Consciousness nur eine andere Grundierung erhielt. Wolff sieht in ihm den ersten südafrikanischen schwarzen Philosophen, in dessen Beschäftigung mit Theologie bereits die Frage einer Humanisierung der Gesellschaft, eines Zusammenführens von Menschen, im Mittelpunkt stand. Die Hinwendung zur Sozialanthropologie veranlasste Mabona auch zu einer Aufgabe seines bisherigen essentialistischen Kulturverständnisses zugunsten historischer Differenzierung und einer Annahme wechselseitiger kultureller Beeinflussung von Xhosa und Khoisan. Wolff kommt in seiner Übersicht über Mabonas Leben zur Schlussfolgerung: "It is in anthropology that Mabona seems to have found his voice" (186).

Neben einem Portraitphoto Mabonas im Frontispiz des Buches enthält es mehrere Karten, eine Bibliographie aller bekannten Schriften Mabonas sowie eine nützliche Chronologie seines Lebens, auch wenn viele der Daten nicht ganz gesichert sind. Wolff beendet seine Bemerkungen zu den Quellen mit einem Aufruf, seine eigene Arbeit weiterzuführen. Es wäre in der Tat wünschenswert, würden die zahlreichen kleineren Schriften Mabonas in einem Band ediert, wie das etwa mit dem Werk eines anderen wichtigen südafrikanischen Intellektuellen, Sol Plaatje, vor einigen Jahren geschehen ist. Ernst Wolff hat mit diesem Buch eine wichtige afrikanische Stimme neu entdeckt, einen faszinierenden Lebensweg rekonstruiert und einen bedeutsamen Beitrag zur intellektuellen und politischen Geschichte Südafrikas geleistet.


Anmerkung:

[1] Die Open Access-Version ist auf der Website der Leuven University Press erhältlich: https://lup.be/products/152445.

Christoph Marx