Steffen Höhne (Hg.): Kulturpolitik in Ostmittel- und Südosteuropa (1945-2015), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, 236 S., ISBN 978-3-447-11347-2, EUR 49,00
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Mit Kulturpolitik in Ostmittel- und Südosteuropa (1945-2015) hat Steffen Höhne den ersten Band der Reihe Ostmitteleuropa interdisziplinär herausgestellt, die zukünftig im Anschluss an die Jahrestagungen des Johann Gottfried Herder-Forschungsrats erscheinen soll. Die Reihe will einen Beitrag zur interdisziplinären Erforschung Ostmitteleuropas leisten, wobei laut Höhne (angelehnt an Oskar Halecki, Jenő Szűcs und Klaus Zernack) ein bewusst weit gefasster Regionalbegriff dieser "offenen Geschichtsregion" (8) Anwendung finden soll. Der vorliegende erste Band trägt dazu bei, ein vermeintlich peripheres Politikfeld wie die Kulturpolitik für die historische Ostmitteleuropaforschung zu vermessen. Entscheidend für das Gelingen dieses Vorhabens ist zweifellos die begriffliche Eingrenzung von Kulturpolitik, die Höhne eingangs in seinem Beitrag "Sozialistische Kulturpolitik und Moderne. Eine Fallstudie zur Semantik von 'Formalismus'" vornimmt. Er plädiert dafür, Kulturpolitik nicht nur auf der Ebene rechtlicher Strukturen und Institutionen in den Blick zu nehmen (cultural polity), sondern gleichfalls Akteurshandeln (cultural politics) und öffentliches Handeln (cultural policy) einzubeziehen. Kulturpolitik rückt in dem Band entsprechend als Feld des staatlichen, intermediären und privaten Handelns in den Fokus, wobei insbesondere kulturpolitische Entwicklungen im Staatssozialismus beziehungsweise an den Rändern staatssozialistischer Systeme beleuchtet werden.
Die Ankündigung, Ostmitteleuropa nicht als "gefüllte" (8) - das heißt als eine auf die Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn festgelegte - geografische oder politische Größe zu verstehen, setzt dieser Band in Fallstudien zu Rumänien, Griechenland und der SBZ/DDR um sowie auch in Beiträgen, die sich ländervergleichend mit Ostmittel- und Südosteuropa befassen. Erfreulich sind dabei die Bemühungen, Ostdeutschland in einen ostmitteleuropäischen Kontext zu setzen: Der einleitende Beitrag des Herausgebers bezieht sich auf die Kulturpolitik der SED. Im Anschluss folgen Beiträge von Sebastian Schlegel zum Handeln sowjetischer Besatzungsoffiziere in der SBZ (1945-1949) und Rüdiger Ritter, der ausgehend von der Jazzkulturpolitik in der DDR einen Vergleich zu Polen und der Tschechoslowakei bietet. Wolf-Georg Zaddach schließt hier mit seinem Beitrag zu Heavy Metal als posttraditionaler Jugendkultur in der DDR der 1980er Jahre an, bevor Thomas Höpel im vorletzten Beitrag erneut Ostdeutschland zum Gegenstand eines Vergleichs mit Polen macht, indem er die Transformation der Kulturpolitik nach 1989 in den beiden Städten Leipzig und Krakau untersucht.
In eindrucksvoller Weise zeichnet der Band die sich wandelnden Funktionen von Kulturpolitik im 20. Jahrhundert nach. Diese reichten von einer ideologischen "Gleichschaltung" von Kunst und Kultur in den 1930er Jahren (33), der Disziplinierung und Kontrolle von Kulturschaffenden (43), über Machterhalt (49) und sozialistische Erziehung (195), bis hin zur "Abfederung des Transformationsprozesses" in den 1990er Jahren (217). Wie Augusta Dimou am Beispiel des Urheberrechts im kommunistischen Südost- und Ostmitteleuropa argumentiert, bestand eine "relative Kontinuität" (144) zwischen der Vorkriegs- und Nachkriegszeit, sodass als wichtigste Zäsur in der Region vielmehr das Jahr 1989 hervortritt, mit dem sich Idealvorstellungen und normative Denksysteme veränderten. Dass Kulturpolitik nicht nur ein staatliches Machtinstrument war, sondern auch in den Händen einzelner Entscheidungsträger lag, erläutert Schlegel mit Blick auf besatzungspolitisches Handeln in der SBZ, das sich in "Gutdünken" ausdrücken konnte (57). Gleichfalls stellt Ritter für die sowjetische Jazzpolitik fest, dass sie von "Willkür und Unberechenbarkeit" gekennzeichnet sein konnte (91). Etwas zu kurz kommen leider die Kunst- und Kulturschaffenden selbst, was vermutlich damit zu begründen ist, dass die Verfasserinnen und Verfasser vornehmlich die Methode der historischen Diskursanalyse gewählt haben.
Auf die Rezipienten von Kulturpolitik in der Gegenwart verweisen abschließend die Beiträge von Anke Pfeifer zur "Kulturideologie" (181) des Protochronismus in Rumänien (mit dem vor allem in der Ceauşescu-Ära versucht wurde, Teile der europäischen Kultur auf die rumänische zurückzuführen) und von Olga Kolokytha zur Kulturpolitik in der griechischen Staatsschuldenkrise. Mit ihrer Beobachtung, dass sich Menschen besonders in schwierigen Zeiten der Kunst und Kultur zuwenden würden, (233) unterstreicht Kolokytha noch einmal das Plädoyer des Bandes, Kulturpolitik nicht weiter als Randthema zu behandeln, sondern auch als "Ermächtigung zur kulturellen Teilhabe" (13) zu verstehen.
Insgesamt bietet der vorliegende Band eine abwechslungsreiche Lektüre, die nicht nur für einen ersten Einblick in dieses Forschungsfeld sehr zu empfehlen ist.
Maren Hachmeister