Rezension über:

Christoph Neumaier: Hausfrau, Berufstätige, Mutter? Frauen im geteilten Deutschland (= Die geteilte Nation. Deutsch-deutsche Geschichte 1945-1990; Bd. 4), Berlin: be.bra verlag 2022, 199 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-89809-202-9, EUR 22,00
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Rezension von:
Gunilla Budde
Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Gunilla Budde: Rezension von: Christoph Neumaier: Hausfrau, Berufstätige, Mutter? Frauen im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra verlag 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37134.html


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Christoph Neumaier: Hausfrau, Berufstätige, Mutter?

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Zu den hartnäckigsten Mythen im deutsch-deutschen Vergleich nach 1945 gehört die Vorstellung einer früheren und weiterreichenden Emanzipation der Frauen in der DDR. Viele komparative Betrachtungen zeichnen ein kontrastierendes Bild, auf dem erst seit den 1970er Jahren die Konturen zu verschwimmen begannen und sich eine Annäherung weiblicher Lebensverläufe in Ost und West abzeichnete. Mit seiner "essayistische[n] Zusammenschau aktueller Forschungspositionen" (8) verfolgt Christopher Neumaier das Anliegen, hier stärker zu differenzieren. Ihm geht es darum, auch die Ähnlichkeiten aufzuzeigen und damit den Emanzipationsmythos ein Stück weit zu entzaubern. Dazu gehört, wie er in der Einleitung betont, die starke Gemeinsamkeit - im Osten früher, im Westen später - des primär den Frauen auferlegten Balanceaktes zwischen Familienleben und Arbeitsleben. In zwei daran orientierten thematischen Abschnitten, die in sich chronologisch gegliedert sind, verfolgt er seine vergleichende Untersuchung.

Zu einer weiteren großen Gemeinsamkeit gehört, wie Kapitel 2 deutlich macht, sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR die Rolle der Familie als zentrale gesellschaftliche Institution. Doch ungeachtet der in beiden Verfassungen verankerten "Gleichberechtigung", schränkte das Grundgesetz noch viele Jahre durch den väterlichen Stichentscheid und das Bestimmungsrecht des Ehemanns über die Berufstätigkeit seiner Frau deren Rechte empfindlich ein. Auch das 1965 erlassene "Familiengesetzbuch" der DDR sicherte nicht uneingeschränkt eine partnerschaftliche Ehebeziehung. So sehr Diskurse, Gesetze und politische Eingriffe in die Familie in Ost und West zumindest in den ersten Dekaden in sehr unterschiedliche Richtungen gingen, so ähnlich zeigte sich das Familienideal und die Zuweisung der Familienverantwortung an die Frauen. Dass Mütter zumindest in den ersten Jahren zu Hause bleiben sollten, galt in weiten Teilen beider Gesellschaften als Konsens. Obschon in der DDR die Definition der Familie deutlich früher weniger eng gefasst wurde und die große Zahl der alleinerziehenden Mütter zumindest gesetzlich mehr Akzeptanz fand, hielt man fest an dem Wunschbild der traditionellen Familienform, bestehend aus Vater, Mutter und ihren gemeinsamen Kindern. Insofern rüttelten beide deutsche Gesellschaften, ungeachtet zunehmender Pluralisierungvarianten des familialen Zusammenlebens, nur wenig an dem überkommenen Familienideal. Erziehung und Haushalt blieben, ungeachtet der seit den 1970er Jahren einsetzenden Diskussionen, Frauensache; erst seit den 1960er Jahren richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf die Väter und auf eine eher partnerschaftliche Aufgabenverteilung.

Mit Blick auf die weibliche Berufsarbeit, der sich Christopher Neumaier in seinem 3. Kapitel zuwendet, überwogen lange und deutlicher eher die Kontraste. Einer frühen Einbindung ins Arbeitsleben der Ostfrauen stand die lange verpönte Müttererwerbsarbeit im Westen gegenüber. Dort waren es nicht zuletzt Vertreter der Kirchen, die auf die Restauration der "Normalfamilie" drangen. Geriet die "Nur-Hausfrau" in der DDR früh unter Beschuss, redete man mit der Schlüsselkinddebatte den bundesrepublikanischen Müttern, die einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgingen, ein schlechtes Gewissen ein. Erst seit den 1970er Jahren gerieten Nur-Hausfrauen auch im Westen unter Rechtfertigungsdruck. Obwohl der SED-Staat die Kinderbetreuung zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Arbeit früh in die Hand nahm, verlief sie deutlich schleppender und holpriger als von der SED propagiert. Im Westen allerdings hinkte sie bis zum Mauerfall aussichtslos hinterher. Auch andere Erleichterungen wie das "Babyjahr" sucht man in der Bundesrepublik vergeblich. Ähnlichkeiten wiederum zeigten sich bei der schlechteren Bezahlung und den lange verwehrten Karrierechancen weiblicher Berufstätiger hüben wie drüben. Auch in der DDR blieb dem Gros der Frauen Spitzenpositionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft verwehrt. Das 1961 erlassene Kommuniqué "Die Frau, der Frieden und der Sozialismus" schuf hier zahlenmäßig wenig Abhilfe, stärkte aber das Selbstbewusstsein der ostdeutschen Frauen erheblich.

Christopher Neumaier räumt gründlich auf mit dem langlebigen, in Wissenschaft und Gesellschaft gepflegten Vorurteil der qua Beruf emanzipierten Ostfrauen und der lange auf die Mutterschaft reduzierten Westschwestern. Damit ist er mittlerweile nicht mehr allein, doch eindrucksvoll akzentuiert er das enge Zusammenspiel von staatlichen Vorgaben, gesellschaftlichen Diskursen und weiblichen Lebenskonzepten. Auch der punktuelle Blick auf sprechende semantische Verschiebungen erweist sich als geglückt, um die Nachhaltigkeit von gesellschaftlichen Veränderungen aufzudecken. Konsequent spielt er die Ähnlichkeiten und Unterschiede ost- und westdeutscher Frauenbiographien durch und verweist auf eine Vielzahl deutsch-deutscher Kontinuitäten. Indem er im Ansatz auch in das familiäre Innenleben hineinleuchtet - allerdings ohne hier weibliche und männliche Erfahrungsberichte heranzuziehen - zeigt er eine ähnliche Unbeweglichkeit in der Frage der Familienverantwortlichkeit und die Stabilität der Mutterrolle. Stellenweise hätte man sich gewünscht, dass er nicht nur die komparative Brille aufgesetzt, sondern auch die beziehungsgeschichtliche Perspektive eingenommen hätte. Die hätte zur Erklärung beitragen können, warum, wie er abschließend zu Recht konstatiert, "der gesellschaftliche Wandlungsprozess hin zu Partnerschaft, Chancengleichheit und Emanzipation" bis heute "sein Ziel offenkundig noch nicht erreicht" (161) hat.

Gunilla Budde