Sebastian Teupe: Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923, Frankfurt/M.: Campus 2022, 336 S., 6 Abb., 5 Tbl., ISBN 978-3-593-51499-4, EUR 32,00
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Die deutsche Inflation gehört bis heute zu den mental prägenden Ereignissen. Gerade in den aktuellen Diskussionen schwingt der Schrecken einer Hyperinflation angesichts hoher Inflationsraten zumindest subkutan mit. Dieses erinnerungskulturell sehr deutsche Phänomen fand in der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung breite Aufmerksamkeit. [1] In seinem Buch "Zeit des Geldes" wendet sich auch Sebastian Teupe diesem historischen Ereignis zu. Seinen Anspruch formuliert er gleich zu Beginn: "Zeit des Geldes soll ein Überblickswerk zur deutschen Inflation sein" (10), das den Leserinnen und Lesern den aktuellsten Forschungsstand allgemeinverständlich präsentiert, ohne eine grundlegende Neuinterpretation zu beanspruchen. Ein Schwerpunkt liegt auf den sozialen Folgen der Hyperinflation, denen ein eigenes Kapitel gewidmet ist und die auch bei der anschließend behandelten Frage nach Gewinnern und Verlierern der Inflation die Leitlinie bilden. Pointiert warnt Teupe dabei im letzten Kapitel sowie im Fazit auch vor einem Missbrauch der Geschichte. Dies gelingt ihm, indem er die späteren Narrative zur deutschen Inflation mit der Wahrnehmung der Zeitgenossen kontrastiert. Die Geldentwertung steht vor allem in den Kapiteln zwei und fünf Pate, die den Weg in und aus der Hyperinflation behandeln. Damit verbunden ist sein Ansatz, die Bedeutung der Zeit-Dimension für die Funktionsweise des Geldes zu betonen.
Vor die Schilderung des Inflationsablaufs setzt Teupe zunächst eine Skizze ihrer Ursachen. Darin verfolgt er insbesondere die Abhängigkeit der konkreten Handlungsspielräume der Akteure vom historischen Kontext. Dazu gehören einerseits die vorherrschenden Geldtheorien der Zeit bis 1922, die er in einem kompakten Überblick zusammenfasst. Andererseits gilt dies für das nach dem Ersten Weltkrieg weltweit anzutreffende Phänomen Inflation. Die hier durchscheinende Einbettung der deutschen Inflation in den internationalen Entwicklungskontext durchzieht die gesamte Darstellung und erweist sich als eine Stärke des Buches. Als die wichtigsten Inflationsursachen werden die Geldmenge, die Wechselkurse, das Haushaltsdefizit und das Verhalten der ökonomischen Akteure mit ihren Inflationserwartungen benannt. Insbesondere dem letzten Aspekt misst Teupe große Bedeutung bei, da die zeitgenössischen Erwartungen aufgrund der wellenartig verlaufenden Inflationsentwicklung viel positiver gewesen seien, als dies in der Rückschau oft angenommen werde.
Den größten Raum widmet er im zweiten Kapitel der historischen Entwicklung, die in der deutschen Hyperinflation kulminierte. Ausgangspunkt sind die Folgen des Ersten Weltkriegs in ihren innen- und außenpolitischen Dimensionen. Für letztere steht prominent die Reparationsfrage, wobei er der eigentlichen Reparationssumme nur eine geringe Bedeutung beimisst. Als entscheidender hebt er die innenpolitische Instrumentalisierung hervor, um allzu oft in einem "bittere[n] Schauspiel [...] patriotischer Selbstgenügsamkeit" (162) Interessenpolitik zu betreiben. Wichtige interne Weichenstellungen wie eine Haushaltskonsolidierung seien nicht zuletzt aus diesem Grund unterblieben. Angelpunkte der Inflationsentwicklung identifiziert Teupe in der Aufhebung der alliierten Blockade nach der Ratifizierung des Versailler Vertrags, in politischen Krisen wie dem Kapp-Lüttwitz-Putsch und schließlich im Einmarsch französischer und belgischer Truppen in das Ruhrgebiet, der durch die Finanzierung des passiven Widerstands mittels Notenpresse zum endgültigen Dammbruch geworden sei.
Einen interessanten Akzent setzt er mit Blick auf die politisch motivierten Morde. Mit ihnen verbindet er die Rolle von Vertrauen und Erwartung der internationalen Finanzmärkte und die Bedeutung des Außenwerts der Mark. Die Ermordung Walther Rathenaus avanciert so zur "wohl prägnanteste[n], auf ein einzelnes Ereignis zurückzuführende[n] Zäsur in der Geschichte der deutschen Inflation" (135). Sie markiert bei Teupe letztlich den Beginn der deutschen Hyperinflation - ein ungewöhnlicher interpretativer Schwerpunkt. Er folgt aus der hohen Gewichtung der internationalen Finanzmärkte. Diese hätten der deutschen Währung infolge des Mordes das lange bestehende Vertrauen endgültig entzogen, das zuvor immer wieder für eine Stabilisierung des Wechselkurses der Mark gesorgt hatte. Dies wiederum wirkte sich unmittelbar auf das Verhalten der Bevölkerung aus, da diese den Wechselkurs der Mark zu einem immer wichtigeren Orientierungspunkt für den Stand der Geldwertentwicklung machte.
Im Anschluss richtet sich der Blick auf die sozialen Folgen der Inflation. Um diese für die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und wirtschaftlichen Akteure zu beleuchten, folgt die Darstellung exemplarisch dem fiktiven Geldkreislauf eines 100.000 Mark Scheins. Dieser beginnt bei der physischen Herstellung in der Reichsdruckerei und durchläuft stufenweise die Hände von Reichsbank, Privatbanken, (Groß-)Unternehmen, Lohnempfängern, Einzelhandel, Großhandel und Landwirtschaft, ehe die Reise bei der Rückkehr in eine Geschäftsbank endet. An jeder Station erläutert Teupe die praktischen Auswirkungen der Inflationsentwicklung auf die einzelnen Gruppen und deren Reaktionen. Einen Schwerpunkt legt er auf die abhängig Beschäftigten, zu denen ein Großteil der unteren Bevölkerungsschichten zählte. Diese Gruppe benennt er als die großen Leidtragenden.
Die Verortung von Gewinnern und Verlierern in anderen gesellschaftlichen Gruppen beurteilt er hingegen differenziert. Zum einen seien die spezifischen Folgen der Inflation nur schwer zu bestimmen. Dies gelte insbesondere für die langfristigen Probleme des Ersten Weltkriegs, die in der Inflationszeit fortwirkten und sehr oft ursächlich für die verheerende Entwicklung gewesen seien. Auch die sehr unterschiedliche Anpassung an die Erfordernisse im Umgang mit der immer schnelleren Geldentwertung sei ein entscheidender Faktor für die individuelle Lage während der Inflation gewesen. Zum anderen habe der Zeitpunkt der Bilanzierung eine entscheidende Rolle gespielt, da die sozialen Folgen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Inflation massiv variierten.
Im letzten Kapitel wendet sich Teupe dem Ende der Inflation zu und betont dessen prozesshaften Charakter. Als wichtige Akteure hebt er entgegen der Selbststilisierung Carl Helfferichs und Hjalmar Schachts die Politiker Hans Luther und Gustav Stresemann hervor. Diese hätten die zentralen Entscheidungen getroffen, die das Ende der Inflation einleiteten. Dazu gehöre unter anderem die Einführung der Rentenmark, die von weiteren Prozessen wie der Stabilisierung des Wechselkurses zum Dollar begleitet worden seien. Nur in Verbindung miteinander erzeugten diese Maßnahmen hinreichend Vertrauen, um die Währung dauerhaft zu stabilisieren. Nachdem auf diese Weise zunächst die Binnenstabilisierung erreicht worden war, folgte in einem zweiten Schritt die Einführung der Reichsmark als neuer, international konvertibler Währung 1924.
Teupe hat mit "Zeit des Geldes" eine instruktive und gut lesbare Einführung in die Geschichte der deutschen Inflation vorgelegt. All denjenigen, die einen inhaltlichen Einstieg in das komplexe Thema mit seinen zahlreichen Facetten und gerade auch internationalen Wirkungszusammenhängen suchen, sei das Buch zur Lektüre sehr empfohlen. Die großen Vorzüge verweisen jedoch zugleich auf die Grenzen dieser Einführung. So wird auf eine Darstellung der Forschungskontroversen jenseits hilfreicher Verweise leider verzichtet.
Anmerkung:
[1] Klassisch: Carl-Ludwig Holtfrerich: Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin/New York 1980; zuletzt Simon Mee: Central Bank Independence and the Legacy of the German Past, Cambridge u.a. 2019.
Rouven Janneck