Rezension über:

Friederike Sigler: Arbeit sichtbar machen. Strategien und Ziele in der Kunst seit 1970, München: edition metzel 2021, 318 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-88960-223-7, EUR 32,00
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Rezension von:
Dennis Brzek
Kunstgeschichtliches Institut, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Redaktionelle Betreuung:
Verena Straub
Empfohlene Zitierweise:
Dennis Brzek: Rezension von: Friederike Sigler: Arbeit sichtbar machen. Strategien und Ziele in der Kunst seit 1970, München: edition metzel 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/37530.html


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Friederike Sigler: Arbeit sichtbar machen

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Das vergangene Jahrzehnt war Schauplatz grundlegender diskursiver Revisionen, die durch postkoloniale Theorien und den Einfluss der Black Studies nicht nur Politik, sondern vor allem auch die Kunst- und Kulturwissenschaften maßgeblich erneuert haben. Spätestens in diesem Zuge ist die Arbeiterklasse, die seit der Moderne als revolutionäre Subjektkonfiguration par excellence galt, in den Hintergrund gerückt. Mit einer sich global immer enger drehenden Krisenschraube sind in den letzten Jahren Ansätze in den Fokus geraten, die jene Ausbeutungsverhältnisse gerade in ihrer Vielfalt und Komplexität wieder verstärkt an die Mechanismen des Kapitalismus binden. [1] In diesem Kontext gewinnt auch der Blick auf Arbeit erneut an Bedeutung. Wie sehr sich die Realität dieser Arbeit seit seiner diskursiven Hochzeit in den 1960er und -70er Jahren teilweise bis zur Unkenntlichkeit verändert hat, und wie Künstler:innen mit dieser nebelhaften Situation umgehen, ist das zentrale Anliegen von Friederike Siglers Buch "Arbeit sichtbar machen. Strategien und Ziele in der Kunst seit 1970".

In drei umfangreichen Kapiteln, die sich entlang zahlreicher Beispiele künstlerischer Werke bis in die Gegenwart entfalten, nähert sich Siglers Untersuchung einem Gegenstand, der in den vergangenen Jahrzehnten stetig an Schärfe verloren hat. Wie Sigler bereits in ihrer Einleitung ausführlich darlegt und hier als leitendes Entwicklungsparadigma für ihre weiteren Überlegungen etabliert, wurden zum Ende des 20. Jahrhunderts "die einstigen Grenzen der Werktore aufgesprengt [...] und [Arbeit ist] bis ins Leben diffundiert" (18). Zunehmend sich in Auflösung befindliche Produktionsmechanismen, die in den herangezogenen Theorien mit Konzepten der De- und Immaterialisierung umschrieben werden, schlagen sich, so die zentrale These, auch in den Versuchen der Kunst nieder, Arbeit anhand visueller Strategien zu diskutieren. Eine Kunst, die sich mit Arbeit beschäftigt, stehe vor dem Problem der Entwertung historischer "Repräsentationsparadigm[en]" (17), die noch vermögen konnten, über transparente, ikonographische Zugänge Lesbarkeit zu generieren.

Paradigmatisch für die zugrunde liegende und in den Fängen kapitalistischer Entwicklung unaufhörlich vonstattengehende Un-Sichtbarkeit des Gegenstandes ist der Einstieg des Buches, der sich mit dem Fokus auf das Streiken gleich der aktivistischen Verweigerung von Arbeit widmet. Der 1972 von Gustav Metzger proklamierte Art Strike ist nicht nur ein Beispiel für die historisch vielfach anzutreffende Übersetzung realpolitischer Methoden in das Feld der Kunst, sondern zeugt, wie Sigler verdeutlicht, auch von einer definitorischen Verschiebung, die Kunst als aktive - und gesellschaftlich determinierte und determinierende - Tätigkeit versteht. Trotz der eher losen Verbindungen verwebt dieses erste Kapitel eine Reihe von Beispielen, die allesamt aus dem Großbritannien des späten 20. Jahrhunderts stammen und somit die Möglichkeit bieten, sie entlang der arbeitspolitischen Geschichte des Landes zu lesen. Das Kapitel kulminiert in Jeremy Dellers Versuch, einem medial tendenziös dokumentierten Streik unter Zuhilfenahme realer Akteure eine neue Bedeutung zu geben, was hier vor allem dazu dient, die Vergeblichkeit von ermächtigenden Repräsentationsverfahren im Zuge neoliberaler Politiken zu demonstrieren.

Jene fundamentale Verquickung von atypischer Bildhaftigkeit und politischer Verdrängung wirkt auch im zweiten Kapitel, das mit dem simplen Titel "Arbeiten" überschrieben ist. Anders als vielleicht zu erwarten, nimmt Sigler hier ausschließlich Künstlerinnen in den Blick, die die im Privaten lokalisierte und damit aus der Öffentlichkeit - und dem Metzger'schen Streik - verdrängte reproduktive Arbeit aufgreifen. Mit besonderem Fokus auf die Tätigkeiten des Essens und Kochens setzt dieses Kapitel unerwartete Schwerpunkte, die den Begriff des Arbeitens erweitern und dabei nicht allein ihre Darstellbarkeit in Frage stellen, sondern den vermeintlichen Erfolg ihrer Repräsentation debattieren. Sigler verfolgt eine streitbare, aber innovative Interpretation von Chantal Ackermanns ikonischem Filmwerk Jeanne Dielmann, die die Akkordarbeit der Protagonistin als über-identifikatorische Kompensationsleistung liest, die schlussendlich zum Scheitern verurteilt ist. Diesem Argument folgend deuten Martha Roslers Werke über die Beziehung zwischen Küche und haute cuisine auf die klassen- und geschlechtsspezifische Struktur des hochkulturellen Ausläufers hin. Letzteres wird unter männlichen Vorzeichen als singuläre, ästhetisch herausgehobene Aktivität zelebriert und (re-)produziert dabei die Unsichtbarkeit von Ersterem.

Diese komplexe Relation, in der künstlerische Darstellungsmodi auf der Ebene gegenwärtiger Verblendungszusammenhänge agieren und dabei auf das hinter ihnen Liegende verweisen, wird am überzeugendsten am Beispiel Harun Farockis deutlich, der das abschließende Kapitel "Delegieren" anführt. Anhand des Films Stilleben (1997), der Aufnahmen niederländischer Stillleben aus dem 16. und 17. Jahrhundert mit Szenen aus dem Produktionsprozess von Werbeaufnahmen kontrastiert, und unter Zuhilfenahme von Karl Marx' Überlegungen über das Verschwinden der werktätigen Herstellung hinter der Erscheinung von Dingen, legt Sigler dar, wie das Zeigen von Arbeit immer auch auf das von ihr Verborgene deutet. So ist es in Farockis Film die creative class, die, auf der Suche nach der möglichst authentischen, unberührten Produktdarstellung, "sich selbst und die Arbeit an den Dingen ins Unsichtbare rückt" (244). Damit greift das gesellschaftliche Fortschnellen der Entgrenzung von Arbeit mit künstlerischen Werken ineinander, die ihre Beschaffenheit dekonstruieren und dabei darlegen, dass Arbeit "fortschrittliche Produktionsverhältnisse für sich beansprucht und alles, was sich nicht problemlos in die dazugehörigen Parameter einfügen lässt, kategorisch außen vor [...] lässt" (244-245) - so vor allem die kolonialen Ursprünge gegenwärtiger wirtschaftlicher Reichtümer und prekarisierte reproduktive Arbeit. Gleichermaßen brechen hier jedoch auch die Blindstellen des in den 2010er Jahren mantraartig geführten Diskurses um die Dematerialisierung von Arbeitsverhältnissen auf, die auch für Sigler das Fundament ihrer Gegenwartsanalyse bilden.

In Siglers Untersuchung wird Arbeit als gesellschaftlich reich diskutierter und von wirtschaftlichen Neuerungen unentwegt reformierter Prozess deutlich, dessen "Repräsentationsparadigmen" im 21. Jahrhundert darauf drängen, diese vollends aus dem Register des Sichtbaren zu befördern. Auf diese Auflösung traditioneller Verhältnisse reagiere die Gegenwartskunst mit vielfältigen Lösungen, die Darstellungsstrategien wenden und in diesem Zuge mit kritisch erneuertem Blick ermöglichen, Arbeit "als eine zentrale Macht- und Regierungstechnik der Gegenwart zu verstehen" (26). Anders als weitere gegenwärtige Titel, die einen Fokus auf eine historisch-archivalische Erforschung dieser Zusammenhänge legen [2], ist "Arbeit sichtbar machen" durch seine eklektische Argumentation ein Werk, das in philosophische Debatten über die zunehmende Verdrängung von (sichtbarer) Arbeit, wie sie in den letzten zwei Jahrzehnten geführt wurden, einführt und es dabei schafft, kunsthistorische Paradigmen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit als janusköpfige Verhandlungen zu verdeutlichen.


Anmerkungen:

[1] Exemplarisch zu erwähnen seien hier die politisch-theoretischen Überlegungen von Nancy Fraser sowie Fred Moten und Stefano Harney.

[2] Siehe als Beispiel Jacopo Galimbertis kürzlich erschienenes Images of Class. Operaismo, Autonomia and the Visual Arts (1962-1988), London 2022.

Dennis Brzek