Netzwerk "Das Versprechen der Märkte" (Hg.): Marktgeschehen. Fragmente einer Geschichte frühneuzeitlichen Wirtschaftens, Frankfurt/M.: Campus 2022, 316 S., 26 Farb-, 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-51597-7, EUR 29,00
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Anke Sczesny: Zwischen Kontinuität und Wandel. Ländliches Gewerbe und ländliche Gesellschaft im Ostschwaben des 17. und 18. Jahrhunderts, Epfendorf: bibliotheca academica 2002
Franziska Neumann: Die Ordnung des Berges. Formalisierung und Systemvertrauen in der sächsischen Bergverwaltung (1470-1600), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021
Das zu besprechende Buch ist aus einem Netzwerk von 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hervorgegangen, das zwischen 2017 und 2022 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Das Format ist originell. Anhand aussagekräftiger Quellen, den Tagebüchern von Dorothy Wordsworth während ihrer Europareisen 1798 und 1820, werden Leitfragen entwickelt, zu deren Beantwortung 18 "Fragmente" gesammelt wurden. Diese werden zum Schluss zu zwei "Mosaiken" verbunden, um Perspektiven für weitere Forschungen aufzuzeigen. Eine Übersicht über Forschungen aus dem Netzwerk beschließt den Band.
Es geht um frühneuzeitliche Märkte und die Ambivalenzen dieses Begriffs. Wordsworth, die Schwester des Dichters William Wordsworth, hielt zwei unterschiedliche Markterlebnisse fest. Einem gelungenen Blumenkauf in Lüttich 1820 steht der gescheiterte Erwerb von Brot in Hamburg 1798 gegenüber. Hieraus leiten Tim Neu, Eva Brugger, Alexander Engel und Christof Jeggle in der Einleitung die Widersprüchlichkeiten des Marktbegriffs ab (11-23). "Markt" ist nicht nur der Ort, wo abstrakt Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen, sondern ein empirisch erfahrbarer Platz, wo sich Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichen Intentionen begegnen. Die Auflösung des Abstraktums "Markt" führt zur Darstellung von konkretem Geschehen, theoretisch abgefedert durch Bezug auf Carlo Ginzburg, Norbert Elias, Peter Burke und andere. Dies geschieht in Form der Sammlung von "Fragmenten". Dabei standen Friedrich Schlegel und seine Überlegungen zum Fragment als Kunst- und Schreibform Pate. Die Autorinnen und Autoren halten es mit Siegfried Kracauer und seiner Warnung, nicht "in unangemessenen Synthesen zu schwelgen" (23). Zwei bis drei von ihnen verfassten jeweils solche quellenbasierte "Fragmente", denen ein "Tableau" vorangestellt ist. Es leitet zu den einzelnen Handlungen auf Märkten allgemeine Schlussfolgerungen ab. Diese werden quasi als Kopfregest den einzelnen "Fragmenten" vorangestellt. Deren Spektrum reicht in alphabetischer Reihenfolge von "Bewerben" (im Sinne von Werbepraxis) bis "Zugang finden" (im Sinne einer Sicherung von Teilhabe an Märkten). Die einzelnen Fragmente enthalten eine Fülle von Beobachtungen mit innovativen Blicken auf die Marktpraktiken. Nur einige können hier erwähnt werden: Warenlisten als Verkaufsinstrument (34), früher Versandhandel (37), Buchführung als "Datenverarbeitungsprogramm" (43), die Sortierung von Waren (52), Marktregulierung (64), der Transport der Waren zu den Märkten und die Rolle von Spediteuren (71, 173-183), die Konservierung von Lebensmitteln (81), "punktuelle Märkte" als Erfindung eines adligen Unternehmers (103), kartellfeindliche Obrigkeiten (122), der Einfluss astrologischer Schriften auf Prognosen (143), die Rolle von Handelsgerichten und Maklern - Maklerinnen gab es nicht (140), die Synchronisierung von Messen und Märkten (163-170), der Wertpapierhandel als "sekundärer Markt" (157), Verlosungen und Versteigerungen als "Event" (211), Märkte als Friedensbereich (229). Auch die Endnoten zu den "Fragmenten" (267-300) enthalten versteckte Anregungen für künftige Forschungen, indem sie z. B. auf den "Stoff für eine noch zu schreibende Verflechtungsgeschichte" mit Nordamerika (270), auf die "Historisierung der Konkurrenz als ökonomischem Konzept" (283) oder auf die fehlende Darstellung zu Frachtbriefen verweisen (291).
Die Schlussbetrachtung geht der Frage nach, ob und wie die Fragmente etwas über die historische Wirklichkeit des Marktgeschehen aussagen können (240). Die Antwort - ein Diktum des weitgehend vergessenen Nationalökonomen Gustav Cohn von 1882 - fällt eindeutig aus: "Von selbst macht sich das nicht". Anders formuliert: Märkte entstehen durch konkrete, interessenabhängige Handlungen der Beteiligten. Die große Skepsis gegenüber der neoklassischen Preistheorie ist daher angebracht. Im vorletzten Satz des Buches wird offengelassen, ob das eigene unablässige Pendeln zwischen dem frühneuzeitlichen Marktgeschehen und der Quellenanalyse und dem "Übersetzen zwischen den Zeiten" das Publikum ähnlich fasziniert wie die Autorinnen und Autoren (259). Der Rezensent kann seine Sympathie für die Vorgehensweise nicht verhehlen, denn die Auflösung des Abstraktums "Markt" verlangt genau eine solche praxisbezogene Herangehensweise. Am Ende könnte jedoch eine präzisere Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse stehen, allen Vorbehalten gegen "unangemessene Synthesen" zum Trotz. Denn behandelt wurden Märkte mit sehr unterschiedlichen Reichweiten und gehandelten Produkten, die eine Typologisierung verlangen, um in der Fülle des Marktgeschehens nicht unterzugehen. Schon die eher beiläufig erwähnten "punktuellen Märkte", "sekundäre Märkte" oder auch "Sondermärkte" (299) gebieten dies. Auch das Zusammenspiel von überregionalen Messen und lokalen Märkten, abgehandelt im Fragment "Terminieren oder koordinieren" (163-170), zwingt zu Differenzierungen. Weiter ist zu fragen, wie mit dem Fernhandel umgegangen wird. Er wird vielfach erwähnt, kommt aber bei den Reflexionen kaum vor. Dies hängt mit mehreren definitorischen Unschärfen des Rahmenkonzepts zusammen. Europa wird als Aktionsraum der Akteure und Akteurinnen am Markt unterstellt, faktisch werden jedoch Westindien (33), Albany im Staat New York und Guajarat (Indien) (49), Neufundland (81), Aleppo und die Koromandelküste (112f.), der St. Lorenz-Strom in Kanada (118), die Chesapeake Bay und Virginia (131f., 203) sowie Calicut (Indien) (225) einbezogen. Die Konsequenzen der frühen Globalisierung für Märkte (Ausnahme 235) bleiben eher unbestimmt wie auch die Epochenfrage nur eher beiläufig (182) vorkommt. Unterschiede zwischen Märkten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit werden ebenso wenig wie die strukturellen Veränderungen im 19. Jahrhundert angesprochen. Deshalb müssen die Beobachtungen zum individuellen Marktgeschehen, die in spannender Form präsentiert werden, in generalisierender zusammengeführt werden. Dies haben die Beteiligten selbst gesehen, denn das "Tableau" ist nichts anderes als eine Conclusio zu den Fragmenten. Der Verdienst, neue Forschungen zu Märkten vorgelegt und weitere inspiriert zu haben, gebührt dem Netzwerk allemal.
Wilfried Reininghaus