Georg Strack: Solo sermone. Überlieferung und Deutung politischer Ansprachen der Päpste im Mittelalter (= Monumenta Germaniae Historica. Schriften; Bd. 79), Wiesbaden: Harrassowitz 2022, XLIV + 326 S., 8 Farbabb., ISBN 978-3-447-11388-5, EUR 70,00
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"Nur mit einer Predigt" (solo sermone). Auf die Kraft des berühmten Kreuzzugsaufrufs von Clermont, die gemäß dem Epitaph Papst Urbans II. "unzählige Völker" bewegt haben soll, bezieht sich der Titel der Habilitationsschrift von Georg Strack, welche eine Erforschung der Berichte über politische Ansprachen der Päpste im Hoch- und Spätmittelalteralter bietet. In seiner Studie folgt der Verfasser dem Ansatz der jüngeren Oratorikforschung, die sich als "Teil einer Kulturgeschichte des Politischen etabliert hat" (2). Dementsprechend legt er sein Hauptaugenmerk nicht auf die Beurteilung der überlieferten Ansprachen in einem philologischen Bezugsrahmen, sondern vielmehr auf deren Funktion in den jeweiligen politischen Kontexten. [1] Trotz dieser methodologischen Äußerung bleibt allerdings ein näheres Eingehen auf die spezifische Bedeutung des Politikbegriffs im Kontext der mittelalterlichen Papstgeschichte in der kurzen Einleitung (1-10) aus. Diese Lücke fällt besonders auf, zumal bei den erforschten Redeberichten nicht die weltlichen Herrschaftsansprüche des Apostolischen Stuhles, sondern hauptsächlich das Verhältnis zwischen Päpsten und Konzilien im Vordergrund stehen. Gerade auf konzilsgeschichtlichen Überlegungen beruht die chronologische Eingrenzung des Hauptteils der Untersuchung. Dieser beginnt mit der sogenannten "papstgeschichtlichen Wende" im 11. Jahrhundert, in deren Zuge "Kirchenversammlungen unter päpstlicher Leitung [...] zunehmend an Bedeutung" gewannen, und schließt mit dem Konzil von Vienne (1311/1312), da "danach die Tradition der Generalkonzilien danach erst im 15. Jahrhundert wiederauflebte" (3f.).
Die Arbeitsgliederung folgt sowohl chronologischen als auch thematischen Kriterien. Im ersten Kapitel widmet sich Strack päpstlichen Reden aus der Zeit der Kirchenreform (ca. 1020-1120), die sich in durch Konsens geprägte Synodalkontexte einordnen. In diesem Zusammenhang lassen sich die Aufzeichnungen der Ansprachen nicht auf das päpstliche Umfeld, sondern vielmehr auf die kirchenpolitischen Akteure zurückführen, die von den päpstlichen Beschlüssen begünstigt wurden. Dies zeigen einige redenartigen Passagen aus für monastische Empfänger ausgestellten Papsturkunden, die sich an der Form von Synodalkonstitutionen orientieren, besonders deutlich. Zudem geht der Verfasser ausführlich auf die etablierte Praxis der rhetorischen Erweiterung durch fingierte Oralität ein. Das wird zunächst am Beispiel der hagiographischen Überlieferung einer Rede Leos IX. aufschlussreich erläutert. Einem weiteren Fall umfassender réécriture, welcher den eingangs zitierten Kreuzzugsappell Urbans II. betrifft, ist der umfangreichste Teil des Kapitels (38-128) gewidmet. Dabei wird ausführlich aufgezeigt, dass die Funktion, welche die verschiedenen hochmittelalterlichen Geschichtsschreiber - von Fulcher von Chartres bis Wilhelm von Tyrus - der Kreuzzugspredigt zugewiesen haben, die Darstellung von Ton, Inhalt und Adressaten des Appells Urbans II. stark beeinflusste. Im abschließenden Teil des ersten Kapitels wird die Rezeption des Aufrufs von Clermont-Ferrand in der humanistischen Geschichtsschreibung untersucht, wobei der Verfasser den maßgeblichen Einfluss des Berichtes des Robertus Monachus auf die moderne Meistererzählung der Kreuzzugspredigt Urbans II. herausarbeitet.
Im zweiten Kapitel (129-202) werden päpstliche Synodalansprachen behandelt, die im Zusammenhang mit Konflikten zwischen regnum und sacerdotium - von dem sogenannten Investiturstreit bis zur Beendigung des Alexandrinischen Schismas (1177) - angeblich gehalten wurden. Auch in diesem konfliktträchtigen Kontext erweisen sich die erforschten Reden als überwiegend konsensorientiert, zumal die Päpste nur mit ihren Anhängern kommunizierten, auch wenn ein Vertreter der Gegenpartei anwesend war. Die Positionierung der einzelnen Autoren spiegelte sich nicht nur in dem wiedergegebenen Redeinhalt wider, der in einigen Fällen eine retrospektive Umdeutung des Konfliktgegenstandes verrät, sondern auch in der den jeweiligen Akteuren zugeschriebenen oratorischen Begabung, was der Verfasser am Beispiel der Berichte zum Cadalus-Schisma am deutlichsten zeigt.
Das dritte Kapitel (203-275), das die überlieferten päpstlichen Synodalansprachen vom Vierten Laterankonzil (1215) bis zum Konzil von Vienne (1311/1312) betrachtet, stellt den Einfluss Innozenz' III. auf seinen Nachfolger in den Vordergrund. Der innozenzianische Eröffnungsvortrag des Vierten Laterankonzils (Desiderio desideravi), von dem im Anhang (297-310) die erste vollständige Edition geboten wird, zirkulierte nicht nur in Predigtsammlungen, sondern auch gemeinsam mit den Konzilsbeschlüssen, was bisher in der Forschung wenig Beachtung fand. Der Verfasser hebt zudem hervor, dass die spätmittelalterlichen Quellen in deutlich größerer Dichte als zuvor Angaben zur Performanz der päpstlichen Synodalsprachen enthalten. Daraus erschließt sich eine Verortung der päpstlichen Predigten, welche dazu führte, dass der auf einem Thron im Chorbereich predigende Papst nun nur noch von einem kleinen Kreis von Zuhörern akustisch verfolgt werden konnte. Dadurch könnte erklärt werden, warum Aufzeichnungen päpstlicher Synodalansprachen - trotz der zunehmenden Verbreitung von stenographischen reportationes im 13. Jahrhundert - in Zahl und Umfang abnahmen.
Im Ausblick (276-296) werden schließlich Konsistorialansprachen aus dem Zeitraum 1199-1346 betrachtet, in dem das umstrittene Thema des päpstlichen Approbationsrechts bei der Wahl des römisch-deutschen Königs im Mittelpunkt steht. Auch in der Prägung dieser päpstlichen Redetradition erkennt der Verfasser den maßgeblichen Einfluss Innozenz' III. Darüber hinaus erweisen sich die untersuchten Konsistorialpredigten ähnlich wie die Synodalansprachen als "grundsätzlich konsensorientiert", da sie nicht der direkten Konfrontation, sondern vielmehr zur "demonstrativen Darstellung der eigenen Position" dienten (296). Dies wird durch eine Predigt Clemens VI. zur Approbation Karls IV. verdeutlich.
Auch wenn die der Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung nicht zur Gänze überzeugt, erweist sich die Studie in vielerlei Hinsicht als sehr ertragreich. Durch eine akribisch durchgeführte Quellenkritik ist es Georg Strack gelungen, konsolidierte Deutungen der Forschung plausibel zu revidieren sowie textuelle Abhängigkeitsverhältnisse herauszuarbeiten, die bisher selbst in den jeweiligen Editionen nicht beachtet wurden. Doch beschränkt sich die Studie nicht auf die schlüssige Erforschung von Darstellungsabsicht und Quellen der einzelnen Berichte, sondern erläutert auch erkennbare Kontinuitätslinien in den Überlieferungsprozessen sowie in den dargestellten rhetorischen Strategien - mit besonderer Beachtung der zentralen Bedeutung des Verhältnisses zwischen der päpstlichen plenitudo potestatis und dem synodalen Konsens. Es ist schließlich anzumerken, dass der Verfasser sich an die jüngere Oratorikforschung anlehnend zwar hauptsachlich auf deliberative und persuasive Aspekte der päpstlichen Ansprachen konzentriert, zugleich aber die von Jürgen Habermas hervorgehobene "förmliche" bzw. "repräsentative" Funktion [2] nicht außer Acht lässt, zumal an verschiedenen Stellen auf Übereinstimmungen zwischen den untersuchten Berichten und den Konzilsordines verwiesen wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Johannes Helmrath / Jörg Feuchter: Einleitung. Vormoderne Parlamentsoratorik, in: Politische Redekultur in der Vormoderne. Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Johannes Helmrath / Jörg Feuchter, Frankfurt a. M. [u.a.] 2008 (Eigene und fremde Welten 9), 9-22, hier 12.
[2] Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 17. Auf., Frankfurt 1990, 61f.
Francesco Massetti