Rezension über:

Ignacio Garcia-Lascurain Bernstorff: Die Athleten und der Vikar Christi. Untersuchung zur Semantik der Beziehung zwischen dem Johanniterorden und dem Heiligen Stuhl (1393-1503) (= Münchner Theologische Studien; Bd. 42), St. Ottilien: EOS Verlag 2021, 399 S., ISBN 978-3-8306-8039-0, EUR 39,95
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Rezension von:
Klaus Wollenberg
Hochschule München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Wollenberg: Rezension von: Ignacio Garcia-Lascurain Bernstorff: Die Athleten und der Vikar Christi. Untersuchung zur Semantik der Beziehung zwischen dem Johanniterorden und dem Heiligen Stuhl (1393-1503), St. Ottilien: EOS Verlag 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/37613.html


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Ignacio Garcia-Lascurain Bernstorff: Die Athleten und der Vikar Christi

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Die Münchener Dissertation bei Claudia Märtl und Sven Hengerer, angenommen im Sommersemester 2019, widmet sich den bilateralen Beziehungen zwischen Päpsten und dem Johanniterorden im 15. Jahrhundert. Gefragt wird nach Gründen der Resilienz, Interessenfeldern innerhalb der diplomatischen Beziehungen, nach Entwicklungen im geographischen Umfeld (insbesondere des östlichen Mittelmeerraums) sowie dem Nutzen für die Beteiligten. Ziel der Arbeit ist es, die bis heute bestehende Lücke in den relativ wenig erforschten Beziehungen zwischen Johanniterorden und Apostolischem Stuhl im Quattrocento zu schließen (7, 34).

Der Orden gliederte sich, wie die meisten Ritterorden, in Priorate genannte Provinzen, vereinzelte Ordenshäuser - die Kommenden und die Balleien, die oft nur aus Rechtstiteln bestanden - sowie zugehörige Liegenschaften (die Membra) (10). Der Konvent fungierte als Führungsgremium, dem die Konventual- und Kapitularbaillis angehörten. Die Konventualbaillis als höchste Vertreter der einzelnen, "Zunge" genannten Sprachgruppen, waren für die inneren Verwaltungsangelegenheiten zuständig (11). Die Etablierung des Ordens auf Rhodos 1302 und die von 1382-96 und 1409-18 dokumentierte Abwesenheit der Ordensmeister führte analog zum Papsttum zum faktischen Bedeutungsverlust der Residenz, deren Autorität erst wieder hergestellt werden musste (53). Am 28. März 1384 begann das Schisma im Johanniterorden, das im April 1410 im Großen und Ganzen überwunden war (85). Die Tatsache, dass der Orden nach Beginn des Schismas niemals im Stande war, den Krieg gegen die muslimische Expansion zu finanzieren, was seine Existenz legitimiert hätte, machte das Geld im 15. Jahrhundert zum Dauerthema der päpstlich-johannitischen Kommunikation (231). Als effizienteste Art der Ordensfinanzierung galten die seit dem 13. Jahrhundert genehmigten Ablässe, die insbesondere zur Förderung der Kirchen- und Hospitalbauten, zur Katastrophenhilfe und zum Kreuzzug als "probatem Mittel des Crowd-funding, das Petenten, Kurie und Umwelt nützte", eingesetzt wurden (233).

Die Epochenbegrenzung des Arbeitstitels aus Sicht des Johanniterordens müsste mit der Vertreibung aus Rhodos (1523) angesetzt werden, gleichwohl streicht Bernstorff schlüssig heraus, dass Fragen zu den Residenzen, die päpstlichen Verfügungen über Ordenspfründen, die Krise der Ordensfinanzen und der Krieg gegen Muslime infolge der osmanischen Eroberung Konstantinopels eher in den 1450ern in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerieten.

Als wissenschaftliche Basis der Darstellung wurden wenige Chroniken, sowie Inschriften und päpstliche Quellen, insbesondere Briefe (litterae), Bullen und Breven herangezogen. Als "methodische Neuerung" benennt der Autor den Rückgriff auf Bildquellen, die er im Hinblick auf Forschungen zu geistlichen Ritterorden des Mittelmeerraums "als Erster nutzte" (335). Wie die meisten Mendikanten- und Ritterorden unterhielten die Johanniter seit dem 13. Jahrhundert einen ständigen Interessenvertreter an der päpstlichen Kurie, den Generalprokurator (113). Er vereinte sämtliche Zuständigkeiten, war parallel Gesandter, Rechts- und Finanzberater seines Ordens, beriet aber nicht selten auch den Papst und andere Orden.

Das methodische Vorgehen innerhalb der vorliegenden Arbeit ist für Bernstorff mit der Frage verbunden, ob Papsttum und Orden auf der gleichen Ebene behandelt werden dürfen, denn Papst Innozenz VIII. hatte im Januar 1491 formuliert: "die Religion von Jerusalem [das heißt der Johanniterorden, sic] ist ein Glied dieses Heiligen Stuhles und Uns unterstellt" (336). Der zugleich supranationale und zentralistische Charakter des Johanniterordens und die Multifunktionalität des Papsttums widersprechen sich vom Grundsatz her.

Tatsächlich gilt als strukturelle Besonderheit des Ordens im Untersuchungszeitraum zwischen 1393 und 1503, dass er als einziger geistlicher Ritterorden nicht nur souverän (vergleichbar dem Deutschen Orden) agierte, sondern darüber hinaus in der gesamten Christenheit präsent war (336). Deshalb liegt für den Autor das eindeutige Ja für die identische bilaterale und horizontale Beziehungsebene vor.

Vier Themenkomplexe sind es, die sich als roter Faden durch die mit großer Akribie verfasste Arbeit ziehen: 1. der Residenzenaufbau und das Schisma, 2.die Pfründenpolitik und Kirchendisziplin, 3. die Finanzen, und 4. der Krieg gegen den muslimischen Gegner (Kreuzzug). Mit der adligen Geburt wurde seit dem Generalkapitel von 1420 ein neues Selektionskriterium als persönliche Eignung eingeführt, das im Orden für die gesamte Frühe Neuzeit bestimmend bleiben sollte (118).

Die aufgrund seiner Forschungen vorgestellten neuen Perspektiven, mittels derer der Autor "erstmals" die gesamte mittelalterliche Christenheit fasst, bewertet er selbst als Fortsetzung älterer Studien von Norman Housley, Benjamin Weber, Jürgen Sarnowsky und Pierre Bonneaud, die sämtlich die gegenseitige Suche nach Legitimation von Papsttum und Johanniterorden, sowie die vorrangige Behandlung von Kirchendisziplin, Finanzen und Krieg im diplomatischen Austausch betonten.

Aus der angelsächsischen Betriebswirtschaftstheorie des Organisationspsychologen Karl Weick und der Medizinerin (zugleich Betriebswirtin) Kathleen Sutcliffe übernimmt Bernstorff die im 20. Jahrhundert konzipierte "Theorie der Dynamik der sensiblen Betriebsverwaltung" (sense making - Sinnstiftung), die er in seiner Untersuchung häufiger als Conclusio nutzt. "Diese Theorie, die für die organisationelle Widerstandsfähigkeit von Betrieben in den USA entwickelt wurde, besagt, dass widerstandsfähige, also resiliente Betriebe als 'Organisationen mit hoher Zuverlässigkeit' (High Reliability Organizations) eingestuft werden können, wenn sie in ihrer Kommunikation permanent auf mögliche Gefahren achten und folglich bestrebt sind, mögliche Fehler zu vermeiden". Der Rückgriff auf diesen modernen Theorieansatz zur Beurteilung von Beziehungen und Organisationsverhalten des mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Papsttums einerseits und des Johanniterordens andererseits liest sich mitunter aufgesetzt und wenig hilfreich.

Über den bisherigen Forschungsstand hinaus reichen die Ausführungen zur Geschichte des Johanniterordens während des Großen Abendländischen Schismas sowie die Erfassung der Generalprokuratoren und Kardinalprotektoren des Ordens. Ebenso neu, so der Autor, ist "die erstmalige Berücksichtigung der Theologie als Inhalt des diplomatischen Austausches zwischen beiden Institutionen" (338). Eingang in die Studie findet die Erfassung des kurialen Nepotismus bei den Johannitern, der vom Autor höchst interessant und breit thematisiert wird.

Ein kurzer Anhang, das Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personen- und knappes Ortsregister komplettieren die Studie, die von zahlreichen katholischen Einrichtungen, der Deutschen Assoziation des Souveränen Malteserritterorden, der Deutschen Bischofskonferenz, dem Katholischen Akademischen Ausländer-Dienst und dem Förderverein Münchener Theologische Studien e.V. für die Druckfassung mitfinanziert wurde.

Klaus Wollenberg