Rezension über:

Reinhard Buthmann: Die Technische Hochschule Ilmenau. Eine sozialpolitische Studie, Ilmenau: Universitätsverlag Ilmenau 2022, 664 S., 33 s/w-Abb., ISBN 978-3-86360-257-4, EUR 35,00
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Rezension von:
Anita Krätzner-Ebert
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Anita Krätzner-Ebert: Rezension von: Reinhard Buthmann: Die Technische Hochschule Ilmenau. Eine sozialpolitische Studie, Ilmenau: Universitätsverlag Ilmenau 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/37772.html


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Reinhard Buthmann: Die Technische Hochschule Ilmenau

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Die (ost-)deutsche Hochschulgeschichte ist meist von zwei Parametern geprägt. Sie ist zum einen standortverhaftet und berichtet damit oft nur von einem Hochschulort; zum anderen bieten oft Jubiläen den Anlass für die Institutionen, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Die vorliegende Studie untersucht die Geschichte der Technischen Hochschule Ilmenau von ihrer Gründung bis zur Umbenennung zur Technischen Universität 1992. Impulse zu dieser Forschungsarbeit gingen vom ehemaligen Landesbeauftragten des Landes Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Christian Dietrich, dem Politiker und Ilmenau-Alumnus Michael Krapp und der ehemaligen Rektorin Dagmar Schipanski aus.

In der Studie geht es um eine empirische Wissenschaftsforschung mit historisch-soziologischer Grundausrichtung. Besonderes Augenmerk wird auf verdeckte Steuerungsinstrumente im Rahmen der Hochschul- und Wissenschaftspolitik seitens des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gelegt. Der Autor gliedert seine Studie in drei große Hauptteile: Er beschreibt zunächst die Hochschullandschaft und die Wissenschafts- und Hochschulpolitik in der DDR. Danach legt er ausführlich und chronologisch die Geschichte der Ilmenauer Hochschule dar. Im dritten Teil widmet er sich Vertiefungsstudien, die verschiedene Sachthemen in den Blick nehmen.

Der Autor hat die Akten des Universitätsarchivs Ilmenau untersucht. Außerdem hat er als ehemaliger Mitarbeiter der Außenstelle Erfurt des ehemaligen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes tiefgehende Einblicke in die MfS-Unterlagen zur TH Ilmenau erlangt und kann sicher als einer der profundesten Kenner dieser Akten bezeichnet werden. Zur Überlieferung im Universitätsarchiv und zu den dortigen Lücken hat die Archivarin Anja Kürbis einen Exkurs verfasst, der in die Studie integriert wurde. Die Akten der SED-Hochschulleitung aus dem Landesarchiv Thüringen hat der Autor nicht untersucht - ein durchaus wichtiger Bestand, wenn die politische Einflussnahme auf das Hochschulgeschehen erforscht werden soll. Hiermit ließen sich die Überlieferungslücken schließen, die die Universitätsarchivarin in ihrem Exkurs beschrieben hat.

Obwohl Buthmann sich eingehend mit dem Forschungsstand beschäftigt hat, wendet er ihn auf seine Detailuntersuchungen kaum an. Viele Fragen der Wissenschafts- und Hochschulpolitik, die er im Hauptkapitel zur Hochschullandschaft der DDR beschreibt, sind bereits in den unterschiedlichsten Querschnittsstudien und in Arbeiten zu einzelnen DDR-Hochschulstandorten untersucht worden. Die Hochschulgeschichte der DDR gilt als gut beackertes Feld. Hier referiert der Autor oft aus Grundsatzdokumenten, was er durchaus hätte straffen können. Zugleich wirft er immer wieder Schlaglichter, die er im Hauptteil zur chronologischen Geschichte erneut aufgreift, was mitunter zu Redundanzen führt. Das gilt auch für das zweite Hauptkapitel, das ausführlich chronologische Ereignisse abarbeitet und kleinere Schlaglichter, etwa auf die Rechentechnik oder die Leistungsbewertung der Hochschullehrer wirft. Diese sind aber aufgrund ihrer Kürze lediglich als Einschub angelegt. Beim hundert Seiten langen Referieren aus den Beschlüssen von Leitungsgremien geht jedoch oft der rote Faden verloren. Der chronologische Teil ist dadurch nur sehr schwer lesbar. Bislang wurden, vermutlich aus Überlieferungsgründen, die Transformationsgeschichte der Hochschulen und deren Evaluationen von der Forschung kaum berücksichtigt. Hier kann Buthmann eine Lücke füllen, da seine chronologische Untersuchung erst mit der Evaluation der Hochschule im Jahr 1992 endet. Nach dem Abschluss des Evaluationsprozesses waren übrigens noch 86 Prozent ostdeutsche Hochschullehrer an der TH bzw. TU Ilmenau beschäftigt, und sie belegte damit den Spitzenplatz in der ostdeutschen Hochschullandschaft.

Die Stärken des Bandes, die auch für die weitere Hochschulgeschichtsschreibung richtungsweisend sein können, liegen im dritten Teil, in dem sich Buthmann vertiefend Schwerpunktthemen widmet. Er beschreibt beispielsweise ausführlich die Genese und Umsetzung militärischer Forschung an der TH Ilmenau. Dieses Thema ist bislang weitestgehend unbekannt. Er erklärt sowohl die staatlichen Vorgaben, die Ansprüche und Umsetzung der Geheimhaltung sowie die konkreten Projekte und wie diese in Kooperationen etwa mit dem VEB Carl Zeiss Jena umgesetzt wurden. Der Autor beweist große technische Kompetenz in der Durchdringung der Sachfragen, manchmal hätte aber eine etwas weniger komplexe Sprache den Lesefluss erleichtern können.

Im Kapitel zum Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit an der Universität Ilmenau beweist Buthmann, dass er einer der profundesten Kenner zur Geheimpolizei an der Hochschule ist. Und dies zeigt auch, wie sich ein uneingeschränkter Zugang zu den Stasiunterlagen auf die Recherchequalität auswirkt. So war es ihm - auch ohne Vorkenntnis aller Namen der an der Hochschule für die Staatssicherheit tätigen Personen - möglich, das gesamte Netzwerk von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern zu erforschen. Er zeigt die unterschiedlichen Einsatz- und Interessengebiete der Staatssicherheit an der TH Ilmenau und entwirft zusätzlich ein 13-klassiges Strukturschema, das die Arten von inoffiziellen Mitarbeitern nach ihrem Wirkungs- und Überwachungsauftrag unterscheidet. Dieses Strukturschema kann auch für alle anderen Hochschulstandorte der DDR übernommen werden und bietet ein ausgezeichnetes Analyseinstrument für die historische IM-Forschung.

Für die bessere Lesbarkeit der Gesamtstudie hätte sich ein Dokumentenanhang angeboten, um ausführliche und lange Zitate zu vermeiden. Das hätte auch zur Straffung der umfangreichen Untersuchung beigetragen. Für die DDR-Hochschulforschung versprechen aber insbesondere die Schwerpunktkapitel einen Erkenntnisgewinn, an dem sich zukünftige Forschungsarbeiten orientieren können.

Anita Krätzner-Ebert