Saniye Al-Baghdadi: Die Repräsentation der Savoyer im 16. und 17. Jahrhundert, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2023, 256 S., 126 Farb-, 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-0923-1, EUR 39,95
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Beim vorliegenden Hochglanzband im Katalogformat handelt es sich um die leicht überarbeitete Dissertation von Saniye Al-Baghdadi, die 2018 an der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde. Der Arbeit ist ein Forschungsprojekt über die Rezeption von Widukind von Sachsen, dem Mönch aus dem 10. Jahrhundert, im Rahmen genealogischer Adelslegitimation vorangegangen. Der Wunsch und die Notwendigkeit über den anderen italienischen Fürstenhäusern zu stehen und unter den Reichsfürsten wahrgenommen zu werden, führte auch die Savoyer dazu, sich dieses berühmten mittelalterlichen Vorfahren zu bedienen. Die Studie zeigt aber auch andere Wege, wie die Savoyer mit literarischen, künstlerischen und performativen Darstellungsformen dynastischer Repräsentation ihre zumeist fiktive Herkunft sichtbar machten.
Die Arbeit versteht sich als "ein Beitrag zur höfischen Kultur im Alten Reich", will im Sinne der "representational culture" die Ziele der savoyischen Politik und die "Praktiken und Ästhetiken konstruierter Herkunftsüberlieferung" (8) sichtbar machen. Die Autorin unterteilt ihre Studie nach den 'Endprodukten' savoyischer dynastischer Repräsentation, also nach Genealogien, Historiografie, Heraldik, monumentalen Bildprogrammen, dynastischen Traditionen und Erinnerungskultur, hier vor allem Heiligen- und Reliquienkulten. Dabei werden die Hauptwerke der intellektuellen Begleiter der Savoyer, Filiberto Pingone, Samuel Guichenon u.a. mehrfach ausgewertet. Neben Objektquellen werden auch Manuskripte, Korrespondenzen sowie italienisch- wie französischsprachige Werke der Publizistik untersucht, wobei die Autorin sich bei diesen Schriftquellen keine Mühe macht, die in den Fließtext eingeflochtenen fremdsprachigen Begriffe und Zitate zu übersetzen oder zu paraphrasieren. Zumeist sind die italienisch- oder französischsprachigen Begriffe in den deutschen Text eingebaut oder als Wortschöpfung ins Deutsche übertragen (so z.B. "seicenteske", "quattrocenteske", 153); auch werden wörtliche Zitate von venezianischen Gesandten nicht im Original sondern auf Englisch mit kursiv hervorgehobenen italienischen Belegstellen angeführt (29).
Zunächst widmet sich die Verfasserin der Herkunft der Savoyer auf der Basis von Genealogien und Fortifikationen des 16. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf ihrer engen Verbindung mit den Habsburgern und hierbei besonders mit Kaiser Karl V. Emanuele Filiberto von Savoyen war Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, Statthalter in den Niederlanden und Mitstreiter im Schmalkaldischen Krieg. Der Savoyer konnte aber nicht nur auf kaiserliche Unterstützung zählen, wenn es um die Rückholung seines von Frankreich besetzten Fürstentums ging, sondern auch auf jene des Fürstbischofs von Trient, Kardinal Madruzzo (fälschlich "Kardinal von Trient", 24).
Die Gestaltung der neuen Hauptstadt Turin mit einer Befestigungsanlage und entsprechenden Repräsentativbauten steht im Mittelpunkt dieses Kapitels. Die Vorbildwirkung anderer Stadterweiterungen und Fortifikationen wie der addito erculea der Este in Ferrara wurde dabei nicht berücksichtigt.
Besonders ausführlich untersucht Al-Baghdadi die Symbolik, die Veränderungen und Deutungen in der Heraldik der Savoyer. Sie bedient sich dabei ausführlicher Vergleiche mit dem Babenberger-Stammbaum, um dann zu den Parallelen mit den sächsischen Entwicklungen überzugehen. Erneut wird auf Widukind von Sachsen, diesmal im Spiegel der Heraldik eingegangen.
Ebenso detailreich ist das nächste Kapitel, das sich mit den Darstellungen im Turiner Palazzo Reale auseinandersetzt und auch hier den Bezug zur Widukind-Ikonografie herstellt. Die Erfindung dynastischer Traditionen im Sinne der Hobsbawnschen "invention of tradition" steht im Fokus des vorletzten Kapitels, in dem es wie in den vorigen neben Widukind um den Stammvater Beroldo und die Sakralisierung savoyischer Ahnen geht. Auch das medial vielfach ausgeschlachtete Turiner Grabtuch wird in die Argumentation miteinbezogen. Dass es bei wichtigen dynastischen Anlässen zur Schau gestellt wurde (ostensio, 134) wird festgehalten, Beispiele und Belege werden indes nicht angeführt.
Im letzten Kapitel kommen mit der Monumentalisierung dynastischer Geschichte die historiografischen Werke von Samuel Guichenon sowie die geplanten und umgesetzten Grabmonumente der Savoyer in die Analyse. Ein Fazit mit Hinweisen auf weitere Forschungsdesiderata sowie ein Anhang mit der Transkription des Werkes von Monod über die gemeinsame Herkunft der Häuser Sachsen und Savoyen runden das Werk ab.
Von der in der Einleitung als Mehrwert betonten Verbindung von Kunstgeschichte und Geschichte ist wenig sichtbar, denn die Studie weist als tiefgehende Rezeptionsgeschichte einen klaren kunsthistorischen Schwerpunkt auf. Besonders die Beschreibung der Entstehung und Rezeption von bildlichen wie schriftlichen Quellen geht in einem Detailreichtum auf, der wenig Platz für den historischen Kontext lässt.
Bemerkenswert ist gerade für eine kunstgeschichtliche Untersuchung die untergeordnete Rolle der Frauen in den analysierten Quellen. Zwar werden Frauen hin und wieder in Darstellungen mitberücksichtigt und kurz wird auch die Hl. Margherita von Savoyen angesprochen, es ist aber verwunderlich welch geringe Rolle sie in der Patronage und in der Memoria des Hauses gespielt zu haben scheinen.
Zahlreiche sprachliche Redundanzen, v.a. im Zusammenhang mit dem "Spitzenahn" Widukind und seinem "erblichen Ruhm" (z.B. 53, 136), die Tatsache, dass biografische Angaben nicht bei der Erstnennung angeführt werden und jedes Kapitel mit einem Zwischenfazit endet, welches im Schlussteil erneut, nach Kapitel geordnet wiederholt wird, erwecken den Eindruck, dass die in sich geschlossenen Kapitel als Einzeluntersuchungen aneinandergereiht und um ein kurzes und wenig aussagestarkes Fazit ergänzt wurden. Insgesamt gibt das Werk mit zahlreichen beeindruckenden Abbildungen einen kunsthistorisch fokussierten Einblick in das Verständnis dynastischer Repräsentation in der Frühen Neuzeit am Beispiel eines Fürstenhauses zwischen Reich und (Reichs)Italien.
Elena Taddei