Robin Waterfield: Plato of Athens. A Life in Philosophy , Oxford: Oxford University Press 2023, XXXIX+ 255 S., ISBN 978-0-19-756475-2, USD 27,95
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Mit "Plato of Athens - A life in Philosophy" legt Robin Waterfield die erste englischsprachige Biographie Platons nach beinahe 200 Jahren vor. [1] Wahrscheinlich dürften die anekdotische oder unübersichtliche Überlieferungslage, Datierungsprobleme, Authentizitätsfragen sowie die Herausforderung eines schlüssigen Einbezugs von Platons Werk bisherige Forscher vom Verfassen einer genuinen Vita abgeschreckt haben. Kürzlich hat Thomas Szlezák jedoch eine Art Biographie Platons auf deutsch publiziert. [2] Das Buch von Waterfield genügt durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen, richtet sich aber an ein "general audience" und verzichtet auf ein Übermaß an gelehrten Fußnoten oder Detaildiskussionen. Der Autor hebt hervor, dass Platons Leben ohne Einbezug seines Werkes nicht adäquat zu rekonstruieren sei (X).
Zu Beginn gibt Waterfield nach allgemeinen Ausführungen zur Bedeutung Platons für die europäische Geistesgeschichte einen luziden Überblick über die biographischen Quellen zu Platons Lebens (Philodem, Apuleius, Diogenes Laertius, Olympiodor, Hesych, die anonymen Prolegomena in Platonem) und ihre Abhängigkeit von Primärquellen. [3] Er erläutert, anhand welcher Kriterien die platonischen Briefe 3, 7, 8 seiner Meinung nach als authentisch zu gelten haben (XXX-XXXV). Die methodisch-quellenkritischen Einlassungen sind einleuchtend und verständlich. Diskussionswürdig ist, dass Waterfield Platons Geburt vier Jahre später (424/23) als die communis opinio und antike Quellen ansetzt (XIX-XX). In Konsequenz datiert er auch andere Stationen der Vita später, was für einige Schlussfolgerungen nicht ohne Relevanz ist. [4] Sämtliche antike Autoren lassen Platon über 80 Jahre werden, darunter die frühen Philochoros und Neanthes. [5] Waterfield argumentiert gegen zahlenmystische "81 Jahre" und eine vermeintliche schematische Konstruktion des viel späteren Apollodor von Athen (2-3), welche dieser aber nicht vornimmt. [6] Die Argumente für eine Spätdatierung e silentio (3,112) sind gewiss bedenkenswert, aber kaum der Überlieferung vorzuziehen.
Das erste Kapitel ist Platons Jugend und Familie vor dem Hintergrund des Peloponnesischen Krieges gewidmet. Die kulturgeschichtlichen und historischen Ausführungen sind instruktiv: Platon war wohlhabend, gebildet, poetisch interessiert und aristokratisch geprägt, religiös zwischen Tradition und philosophischem Monotheismus changierend. Die für die Entwicklung seines Denkens entscheidenden Einflüsse werden von Waterfield zwischen Vorsokratikern, wirkmächtigen Sophisten seiner Zeit und seinem verehrten Lehrer Sokrates näher seziert, wobei auch andere Sokrates-Schüler besprochen werden (36-61).
Anschließend werden Platons Verhalten unter den 30 Tyrannen und der Sokrates-Prozess diskutiert, nach welchem Platon Athen aus freien Stücken verlassen habe. Die frühen Reisen Platons verweist Waterfield mit Ausnahme derjenigen zu Euklid von Megara ins Reich der Legende (71-73). Platon habe Euklid erst 396/95 v. Chr. aus Anlass des beginnenden Korinthischen Krieges verlassen. Waterfield erklärt seine Kriterien für die Datierung der Dialoge, wobei er auch die Entwicklungsstadien von Platons Denken skizziert. Die chronologische Anordnung ist grosso modo im Einklang mit derjenigen der meisten modernen Gelehrten (74-94). Anschließend bespricht Waterfield die vor der ersten Sizilienreise verfassten Frühdialoge, welche meist aporetisch enden und vornehmlich das Hinterfragen der eigenen Überzeugungen sowie den Unterschied zwischen Wissen und Glauben zum Gegenstand haben. Das Zusammentreffen mit Pythagoreern in Unteritalien und Sizilien hinterließ größeren Eindruck auf Platon als die Begegnung mit Dionysios I. Den Verkauf in die Sklaverei auf Ägina hält Waterfield für historisch, sieht aber keine Verbindung zu Dionysios (95-122), was auch durch Neulesungen im Index Academicorum und eine mögliche Umdatierung gestützt wird. [7] Nach seiner Rückkehr (383 v. Chr.) soll Platon die Akademie gegründet haben. Das Areal, Umfeld und verschiedene Schüler werden angesprochen, ebenso die Rivalität zu Isokrates. Ferner extrapoliert Waterfield den "Lehrplan" der Akademie auf Basis der Dialoge und zeitgenössischer Referenzen. Platon sei eine Art Direktor der Studien innerhalb der Akademie gewesen, welcher die "Einheit" der Forschungen sicherte. Er hielt seine Vorlesungen vor einem eher kleinen Schüler-Kreis; nur die berühmte Vorlesung "Über das Gute" im hohen Alter fand öffentlich statt. Viele Platon-Schüler engagierten sich in der Politik (außerhalb Athens), nicht wenige beseitigten Tyrannen (123-157). In den Dialogen der mittleren Schaffensperiode erscheint die Ideenlehre voll entwickelt, für welche Platon, wie für die Seelenlehre, auch pythagoreische Vorstellungen adaptierte. Ethik und Erkenntnislehre sind aufs engste über die Ideen mit der Metaphysik verwoben (158-177). Platon war bestrebt, seine philosophischen Vorstellungen auch in die praktische Politik umzusetzen, und begab sich daher ein zweites und drittes Mal nach Sizilien (366 und 361 v. Chr.), auch auf Drängen seines engen Freundes Dion. Nach dem endgültigen Scheitern von Platons Versuch, Dionysios II. zur Philosophie zu bekehren, entschloss sich Dion mit Gewalt gegen den Tyrannen vorzugehen, scheiterte und wurde ermordet. Gestützt auf diverse Quellenzitate gelingt Waterfield eine übersichtliche Schilderung der Vorgänge und der Rolle Platons in ebendiesen (178-207). Das letzte Kapitel ist Platons Spätwerk und seinem Tod (348/47) gewidmet, worin Waterfield auch das Nachleben der Akademie als Institution streift und den Wert der platonischen Dialoge für Fragen der Gegenwart herausstellt (207-230). Am Ende des Buches steht eine nach Themen gegliederte reichhaltige Bibliographie.
Das Buch ist für Studenten der Philosophie und Altertumswissenschaften sehr zu empfehlen, da es neben einer erhellenden Biographie auch eine Einführung in Platons Werk mit gelungener Kontextualisierung bietet. Darüber hinaus dürften auch reifere Gelehrte aus dem fundierten, scharfsinnigen und klar formuliertem Buch Nutzen ziehen. Waterfield unterstreicht, dass Platon Philosophie nicht nur theoretisch betrieb, sondern sein Leben ganzheitlich nach ihr ausrichtete: "Plato of Athens - A life in Philosophy."
Anmerkungen:
[1] B. Ewards / E. Park (eds.): Life of Plato. Selections from German Literature, New York 1839, 311-370 (Übersetzung von Tennemann).
[2] T. Szlezák: Platon. Meisterdenker der Antike, München 2021, 15-92.
[3] Die Biographien schöpfen aus folgenden Quellen des 4./3.Jh.s v. Chr.: Aristoteles, Speusipp, Xenokrates, Philipp von Opus, kleinere Platonschüler, Dikaiarch von Messene, Satyros von Kallatis (fehlerhaft Collatis auf XXVIII), Neanthes von Kyzikos, Klearch von Soloi, Theopomp von Chios, Aristoxenos von Tarent, Phainas von Eresos (vgl. XXVIII, XXIX).
[4] Die Spätdatierung folgt D. Nails: The People of Plato: A Prosopography of Plato and Other Socratics, Indianapolis 2002.
[5] Vgl. für einen Überblick K. Fleischer: Philodem, Geschichte der Akademie. Einführung, Ausgabe, Kommentar, Leiden 2023, 296.
[6] FGrH 244 F 37 behandelt nur Platons Tod und Geburt. Die bei Nail (2002), 244-247 für eine Frühdatierung angeführten Argumente überzeugen nicht.
[7] Phld. Ind. Acad. Kol. 2,43-3,15 und Kol. X,17-25. Jedoch scheint die Episode in Kol. 2/3 auf 405/04 bzw. 399 v. Chr. zu datieren, vgl. Fleischer (2023), 298-311, 454-456. Waterfields Identifikation von Annikeris mit dem kyrenäischen Philosophen (120) ist chronologisch unmöglich.
Kilian Fleischer