Rezension über:

Marco Pelucchi: Cherilo di Iaso. Testimonianze, frammenti, fortuna (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 407), Berlin: De Gruyter 2022, XIX + 251 S., ISBN 978-3-11-074660-0, EUR 109,95
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Rezension von:
Lennart Gilhaus
Universität Bonn / Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Lennart Gilhaus: Rezension von: Marco Pelucchi: Cherilo di Iaso. Testimonianze, frammenti, fortuna, Berlin: De Gruyter 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 1 [15.01.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/01/38020.html


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Marco Pelucchi: Cherilo di Iaso

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Choirilos von Iasos galt in der Antike als schlechtester Poet und fungierte verschiedenen Autoren als abschreckendes Beispiel dafür, wie man Epik nicht schreiben sollte. Als gesichert kann gelten, dass Choirilos ein Epos über Alexander den Großen verfasst hat. Allerdings hat sich kein Vers aus diesem Werk oder einem der anderen mutmaßlich von Choirilos verfassten Dichtungen erhalten - zumindest lässt sich dem Dichter kein Fragment mit Sicherheit zuweisen.

Dennoch hat Marco Pelucchi dem enigmatischen Dichter ein ganzes Buch gewidmet. Ziel von Pelucchi ist es nicht nur die Testimonien und möglichen Fragmente zu sammeln, neu zu edieren und zu übersetzen, sondern vor allem dem Autor und seinen Werken klarere Konturen zu geben und zu ergründen, warum Choirilos den zweifelhaften Ruhm erlangte, als pessimus poeta zu gelten.

Dazu bietet Pelucchi zunächst eine Neuedition und italienische Übersetzung aller Testimonien und möglichen Fragmente des Choirilos von Iasos. Edition und Übersetzung werden nacheinander dargeboten, für eine bessere Übersicht wären parallel laufende Texte sicher besser geeignet gewesen. Die Edition der 16 sicheren und weiteren fragwürdigen Testimonien sowie der acht - allesamt unsicheren - Fragmente erarbeitet Pelucchi mit größter philologischer Sorgfalt.

Auf dieser Grundlage wird auf den folgenden mehr als 170 Seiten Choirilos und sein Wirken akribisch und aus verschiedenen Perspektiven analysiert. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Herkunft des Poeten aus dem kleinasiatischen Iasos, anschließend wird das Verhältnis zu Alexander genauer beleuchtet. Es folgen im dritten Kapitel Ausführungen zu den Urteilen antiker Autoren über Choirilos und sein Schaffen. Anschließend wird versucht, die Charakteristika der Werke herauszuarbeiten. Vor dem Fazit wird noch die neuzeitliche und moderne Rezeption des Autors untersucht.

Die Gliederung der einzelnen Kapitel ist überaus kleinteilig und immer wieder werden die (wenigen) gleichen Zeugnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und mit anderen Zeugnissen zusammengebracht. Eine besondere Schwierigkeit bei der Bewertung des Wirkens des Choirilos liegt zudem noch darin, dass die byzantinische Suda Choirilos von Iasos zusammenwirft mit Choirilos von Samos, welcher ebenfalls Epen verfasste, aber ein Jahrhundert vor dem gleichnamigen Alexander-Dichter lebte. Mit großer Detailkenntnis und Akribie vermag es Pelucchi allerdings zumindest etwas mehr Licht auf den - freilich weiterhin weitgehend im Dunkeln - stehenden Choirilos von Iasos zu werfen.

Die wesentlichen Ergebnisse seiner Arbeit lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Choirilos stammte aus Iasos und stand nach Ansicht des Autors vermutlich in Kontakt mit der karischen Dynastie der Hekatomniden. In Kontakt mit Alexander geriet Choirilos wahrscheinlich während des Feldzugs des Makedonenkönigs in Karien und der Dichter hätte sich daraufhin wie viele andere Künstler und Intellektuelle dem Alexanderzug angeschlossen. Es sei auch davon auszugehen, dass Alexander die Arbeit des Choirilos geschätzt habe. Nach Ansicht von Pelucchi hat die Behauptung von Horaz, dass Choirilos von Alexander für seine Tätigkeit als Epiker des Alexanderzuges reich bezahlt wurde, große Wahrscheinlichkeit. Die verschiedenen Varianten der Geschichte, Choirilos habe nur für jeden guten Vers eine Münze, aber für einen schlechten eine Tracht Prügel erhalten, seien auf den späteren schlechten Ruf des Epikers zurückzuführen. Ebenso seien Anekdoten über den Tod des Choirilos während des Alexanderzugs als eine Übertragung der Berichte über Kallisthenes anzusehen und würden in den Bereich der Polemik gegen Alexander gehören.

Weiterhin kommt Pelucchi zu dem Schluss, dass weniger die Tätigkeit als Hofdichter, sondern der Vergleich mit Homer dem Choirilos den Ruf als schlechtester Dichter einbrachte. Pelucchi vermutet, dass sein Werk über Alexander, das wahrscheinlich dem Bereich der Kleinepik zuzuordnen ist, sich sehr stark an der Ilias orientierte und Alexander als neuen Achilleus darstellte. Pelucchi hält zudem die Angabe der Suda für glaubwürdig, Choirilos habe nach dem Tod des Alexander ein Werk über den Lamischen Krieg verfasst, für das Pelucchi Antipatros als möglichen Auftraggeber ansieht. Nach Pelucchi seien auch die Lamiaká, von denen lediglich der Name bekannt ist, einem homerischen Modell gefolgt und hätten Lamia als neues Troia gezeigt. Insbesondere in der lateinischen, vielfach von Horaz abhängigen Tradition und im Schulkontext wäre Choirilos als schlechter Nachahmer des Homer als abschreckendes Beispiel bekannt gewesen. Ob diese negative Bewertung letztendlich auf peripatetische Kreise zurückgeht und in Analogie zu Kallisthenes steht, ist allerdings nicht mehr als eine Möglichkeit, zumal die Sicht der Peripatetiker auf Kallisthenes, dessen Werk und Beziehungen zu Alexander alles andere als einheitlich war.

Im Folgenden beschäftigt sich Pelucchi mit der möglichen Zuweisung der Fragmente. Die Ergebnisse sind ernüchternd, da sich nach Pelucchi kein einziges zweifelsfrei dem Choirilos zuweisen lässt. Dieser negative Befund macht aber auch deutlich, wie besonnen und sorgfältig Pelucchi bei seiner Arbeit vorgeht und vor voreiligen Schlüssen warnt. So kann aufgrund verschiedener Aussagen geschlossen werden, dass Choirilos das Epigramm auf Sardanapalos in sein Alexander-Werk integrierte, die erhaltenen Fassungen aber gerade nicht auf ihn zurückzuführen seien. Die Version des Choirilos sei vielmehr verloren. Die Zuweisung des erst 2005 in Iasos entdeckten inschriftlichen enkomiastischen Epigramms auf die karische Herrscherin Ada ist rein spekulativ und wohl nicht, wie Pelucchi meint "un'opzione verosimile" (164). Alle weiteren möglichen Fragmente bestehen entweder nur aus wenigen Worten und haben wenig Aussagekraft oder die Zuweisung zu Choirilos erscheint Pelucchi als nahezu ausgeschlossen. Das gilt insbesondere für die diskutierten Papyrusbefunde.

Bei dem angefügten Kapitel zur neuzeitlichen Rezeption und zur Forschungsgeschichte betont Pelucchi die Bedeutung der 1817 erschienen Studie von A. F. Naeke, der erstmals klar die beiden Personen mit dem Namen Choirilos voneinander unterschied, dessen Interpretationen aber zugleich auch maßgeblich für die weitere Forschung wurden. Das Kapitel wirkt freilich etwas deplatziert, man hätte diese Ausführungen besser an den Anfang des Buches gestellt.

Insgesamt ist Pelucchi durch seine vorsichtigen Interpretationen zweifelsohne gelungen, dem Profil des Choirilos von Iasos mehr Konturen zu verleihen. In den zahlreichen Detailanalysen wird allerdings bisweilen die historische Einordnung des Wirkens und Schaffens des Choirilos sowohl als einer der Intellektuellen am Hof Alexanders des Großen als auch seine Stellung in der Entwicklung der Dichtung etwas vernachlässigt. Eine stärkere Kontextualisierung jenseits biographischer Beobachtungen und Erweiterung der Perspektive hätte zweifelsohne die Anschlussfähigkeit der überaus sorgfältig verfassten Studie noch vergrößert.

Lennart Gilhaus