Moshe Zimmermann / Moshe Zuckermann: Denk ich an Deutschland... Ein Dialog in Israel, Frankfurt/M.: Westend 2023, 303 S., ISBN 978-3-86489-402-2, EUR 25,00
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Wie verhalten sich deutscher Antisemitismus und in Israel beziehungsweise in Palästina implementierter Zionismus? Und wie verkam diese ursprünglich emanzipatorische jüdisch-nationale Idee zur Legitimation einer destruktiven Besatzungsherrschaft? Um diese Fragen kreist der Dialog zwischen Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann. Die israelischen Historiker deutscher Herkunft befassen sich seit Jahren mit der deutsch-israelischen Geschichte und verstehen sich auch als public intellectuals. Ihr Meinungsaustausch (ursprünglich eine fortlaufende E-Mail-Korrespondenz) aus den Jahren 2021/22 behandelt einen Themenkomplex, der angesichts des Kriegs im Gaza-Streifen nach den Terrorangriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 selten so aktuell war wie heute. Zuckermann und Zimmermann setzen dabei zwei Schwerpunkte: die israelisch-deutschen Sonderbeziehungen auf der einen und innerisraelische Probleme auf der anderen Seite, wobei auch hier mit Fragen wie "Was erwartet Israel von den Juden Deutschlands?" der Bezug zur Bundesrepublik präsent ist.
Der deutschen Ausgabe haben Zuckermann und Zimmermann ein abschließendes Kapitel hinzugefügt, das den Titel trägt: "Deutsche Solidarität - mit einem demokratischen Israel". [1] Hier geht es um die Frage der deutschen Unterstützung für ein Israel, das nach der Parlamentswahl im November 2022 deutlich nach rechts gerückt ist. Es gelte dabei zu fragen, "ob man in Deutschland wirklich weiß, mit was für einem Staat man sich solidarisiert, wenn man Israel gegenüber eine solch beharrliche Loyalität bezeugt. Oder lässt sich etwa durch die Pathosformel der Zufluchtsstätte dermaßen blenden, dass man die Realität dieses Staates gleichsam ausblendet, um sich ungestört und bar jeglicher Wirklichkeitsrelevanz der längst schon zum verdinglichten Fetisch mutierten Sühnearbeit hingeben zu können? Weiß man in Deutschlands politischer Klasse wirklich nichts von der jahrzehntelangen Barbarei des israelischen Okkupationsregimes und seinen Auswirkungen auf Palästinenser und jüdische Israelis? Weiß man nicht, dass man sich mit einem Land solidarisiert, das Kriegsverbrechen begeht, das Völker- und Menschenrecht systematisch übertritt, das schon längst zu einem Apartheidstaat verkommen ist? Und wenn man das weiß, meint man nicht, die notwendige Verurteilung dieser barbarischen Praxis in irgendeiner Weise artikulieren zu sollen?" (Zuckermann, 297)
Der Dialog spürt dieser Frage nach. Dabei geht es zum einen um die Anomalie der beinahe bedingungslosen deutschen Unterstützung einer nicht tragfähigen, letztlich selbstzerstörerischen Palästina-Politik Israels und zum anderen um die Aporie der innerisraelischen "'Blindheit' der verbrecherischen Vollstrecker der Okkupationspraxis" (Zuckermann, 151). Zimmermanns Erklärungsansatz läuft auf eine Art israelische Variante der deutschen Sonderwegs-These hinaus: "Alles, was mit 'uns' [jüdischen Israelis] zu tun hat, ist definitionsgemäß sui generis. Das ist, in nuce, die von Israel gepredigte Philosophie, die das offizielle Israel auch den Deutschen aufzwingen will." (99) Dieser Exklusivitätsansatz erkläre das israelische Verständnis, Antisemitismus sei demnach keine Unterkategorie von Rassismus, die Shoah sei kein Sonderfall von Genozid und der Zionismus keine Spielart des Nationalismus (99). So verweigere sich das offizielle Israel jeglicher Kritik und verdränge die politische Realität auch innerpolitisch. Zuckermann übt dabei unmissverständlich Ideologiekritik: Es gehe um das "Wirken der Ideologie, namentlich wenn diese völlig internalisiert wird und das Bewusstsein so sehr kolonisiert, dass sie zu einer gewollten Sinnestäuschung, einem 'falschen Bewusstsein' gerinnt" (151). Er spricht in diesem Zusammenhang von einer "fast schon [...] zweiten Natur": "Allein schon der Versuch, eine sachliche Diskussion darüber zu führen" werde "vom Träger des falschen Bewusstseins als Verletzung erlebt, als fundamentale Erschütterung seines Selbstverständnisses" (152).
Diese Verdrängungsmechanismen koppelt Zuckermann an zwei zu bewältigende Schulderfahrungen des Zionismus: Die erste sei der "Vatermord", sprich die "Negation der Diaspora", die andere habe mit der Staatsgründung zu tun: Israel sei "in Sünde" geboren; "in der Tiefe seines Herzens" wisse "so gut wie jeder jüdische Israeli, dass die Nakba", also die Flucht und Vertreibung arabischer Palästinenser 1948, "tatsächlich stattgefunden hat, dass der Zionismus Verbrechen gegen die Palästinenser begangen hat und dass die 'Ursünde' sich über Jahrzehnte in der barbarischen Besatzungsrealität reproduziert" (153). Die Verdrängung im öffentlichen Diskurs sei ein Grundmuster im Umgang mit diesem fundamentalen Schuldgefühl, ein anderes schlage "sich in jener grotesken Umkehr der Rollen von Opfern und Tätern nieder, deren Ideologisierung die Form der Selbstviktimisierung annimmt" (154).
Für die israelische Selbstviktimisierungsfalle ist nach Zimmermann eine Kriegslogik charakteristisch, die an ein manichäisches Feindbild gekoppelt ist: "Wenn 'die anderen' die Bösewichte sind, 'die anderen' den Krieg entfesseln, ist es unser gutes Recht, mit aller Kraft zurückzuschlagen. [...] Das Haager Abkommen oder die Genfer Konventionen werden dabei ignoriert, versteht sich. Kein Vorwurf, der gegen Israel erhoben wird, kann Israelis davon überzeugen, dass sie zu Tätern [im Palästina-Konflikt] geworden sind. [...] Diese Auslegung der Wirklichkeit, die in die Gehirne der Aggressoren mit großer Effizienz injiziert worden ist, ist die Ursache dieser moralischen Blindheit." (157)
Der hier besprochene Band ermöglicht tiefe Einblicke in zwei politische Kulturen, die auf toxische Art und Weise miteinander verbunden sind und daher immer tiefer in moralische Anomalien und politische Sackgassen geraten: Wenn der historische Antisemitismus in Deutschland als Triebkraft für das zionistische Israel verstanden wird, und wenn es Israel tatsächlich gelingt, die Angst vor dem Antisemitismus als "effektives politisches Instrument" immer wieder einzusetzen, um von den "sich häufenden und systematisch begangenen Verbrechen des israelischen Okkupationsregimes abzulenken" (Zuckermann, 31), dann rechtfertige Deutschland eine politische Ideologie, die immer mehr Opfer hervorbringe. "Nichts verrät die Opfer [der Shoah] mehr als die Vereinnahmung ihres Andenkens zur Rechtfertigung einer oppressiv-viktimisierenden Wirklichkeit." (Zuckermann, 16)
"Denke ich an Deutschland" liest sich nicht nur als Bilanz des Lebenswerks zweier emeritierter Geschichtsprofessoren aus Israel, sondern auch als Bilanz einer jüdischen Jahrhundertbewegung, die 2023 nach 75 Jahren politischer Souveränität endgültig in die tiefste Sinnkrise ihrer Geschichte geraten ist.
Anmerkung:
[1] Der Band ist 2022 im Verlag Resling (Tel Aviv) erschienen; die deutsche Übersetzung erfolgte durch beide Autoren.
Tamar Amar-Dahl