Ulli Roth (Hg.): Johannes von Segovia. Opera minora. Unter Mitarbeit von Juliane Roloff (= Corpus Islamo-Christianum Series Latina; Bd. 12), Wiesbaden: Harrassowitz 2023, XII + 482 S., ISBN 978-3-447-11871-2, EUR 98,00
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In der Mitte des 15. Jahrhunderts blühte im Schatten von Türkenfurcht und Kreuzzugseuphorie die Idee eines interreligiösen Dialoges zwischen Christen und Muslimen, der das Religiöse nicht ausklammern, sondern Glaubensinhalte des Anderen erforschen und zum Eigenen in Beziehung setzen wollte. Der berühmte Theologe Johannes von Segovia (gestorben 1458), intellektuelle Säule des 1449 gescheiterten Basler Konzils, führte in seinem Rückzugsort in Savoyen das sicher ambitionierteste Unternehmen dieser Art, dem er seine letzten Lebensjahre widmete. Wichtigstes Ergebnis war das Großwerk 'De gladio divini spiritus in corda mittendo Sarracenorum', das bereits 2012 von Ulli Roth ediert und übersetzt wurde. [1] Die nun von demselben Forscher herausgegebene Sammlung kleinerer Schriften des Johannes von Segovia ergänzt das Werk wesentlich.
Dokumentiert sind teilweise Vorarbeiten zu 'De gladio', vor allem jedoch die nach Abschluss dieses Traktates fortgesetzte Arbeit am Islamthema. Die Werke verbindet die Überzeugung, dass die christlichen Glaubensinhalte auch für Muslime einer rationalen Beweisführung zugänglich sein können. Der immer aussichtsloser scheinende militärische Kampf sollte auf das intellektuelle Feld verlagert werden (via pacis et doctrine), auf dem die Christen - das stand für Segovia außer Frage - noch immer überlegen waren. Notwendig war hierfür ein theologisches Argumentieren nicht auf der Grundlage von Bibel und Kirchenväterschriften, sondern allein auf der Basis der natürlichen Vernunft und des Koran, sodass sich die Muslime den Argumenten nicht verschließen konnten. Die dezidiert integrative Herangehensweise offenbart mitunter ein bemerkenswertes Feingefühl für soteriologische Kongruenzen. Das Hauptanliegen unterlag jedoch einem nur schwer auflösbaren inneren Konflikt: Einerseits waren islamische Lehren als abwegig und falsch zu entlarven, andererseits war zu zeigen, dass der Islam dem Christentum nicht widerspricht.
Die einzelnen hier edierten Texte waren zu einem großen Teil bereits zuvor in Aufsatzform erschienen. Der Neuabdruck inklusive der jeweiligen Einleitungen ergibt ein für eine Editionsreihe ungewöhnliches Format, bei dem Redundanzen und Inkohärenzen hinzunehmen sind. Die Geschichte des gelehrten Rückzugs ins savoyische Priorat Aiton und des Unternehmens einer neuen Koranübersetzung wird gleich mehrfach erzählt. Die meisten Beiträge stammen vom Herausgeber Ulli Roth, teilweise entstanden sie in Zusammenarbeit mit anderen renommierten Forschern, in erster Linie Davide Scotto und Reinhold F. Glei; ein Beitrag ist das Ergebnis einer Freiburger Lehrveranstaltung. Ergänzt wird der Band von einem gewichtigen Sonderbeitrag von Jesse D. Mann.
Die Texte und Inhalte seien nur kurz genannt: Bei den 'Errores legis Mahumeti' (11-65) handelt es sich um eine schematische Zusammenstellung islamischer Glaubenslehren und deren Widerlegung, etwa zum Paradies, zur Ehe, zur Trinität etc. Die Schrift gilt als Vorarbeit zu 'De gladio' und entstand wohl im Laufe mehrerer Jahrzehnte. Die 'Allegationes de peccatis primi parentis' (66-109), eine Materialsammlung für den Briefpartner Jean Germain zum Problem der Erbsünde und der unbefleckten Empfängnis Mariens, zeigen, wie die Reflektion über den Islam auf innerchristliche Debatten zurückwirken konnte. Dem Austausch mit Germain erwuchsen weitere theologische Kleinschriften und Materialsammlungen zur Trinitätstheologie, die unter den Titeln 'Scholastica documenta' und 'De spiratione activa' (110-135) firmieren.
Ansonsten bietet der Band vor allem Material zur Rekonstruktion der verlorenen Neuübersetzung des Korans ins Kastilische und Lateinische, die Segovia mithilfe des für einige Monate zu ihm gereisten Islamgelehrten Iça Gidelli unternahm. Wichtigstes Element ist die Edition der erhaltenen Einleitung zur Übersetzung (170-233), in der Übersetzungstechnik und Probleme detailliert aufgeführt werden. Ergänzt und verifiziert werden die Aussagen der Einleitung durch eine geradezu detektivische Suche nach Spuren der Koranübersetzung vor allem in den Marginalien von 'De gladio', in denen Johannes von Segovia selbst frühere, aus der ihm damals vorliegenden, ungenauen Übersetzung des Robert von Ketton resultierende Irrtümer revidiert (235-282 und noch ein Nachtrag 283-290). Erst durch diese akribische Detailarbeit wird klar, dass die Gidelli-Segovia-Übersetzung nicht die Vorlage für die 1606 in Toledo aufgetauchte Koranübersetzung gewesen sein konnte. Entscheidendes Charakteristikum des von Segovia betriebenen Übersetzungsunternehmens war die möglichst wortgetreue Nähe zum arabischen Original.
Den Band komplettiert die von Jesse D. Mann erstmals edierte, ins Englische übersetzte und mit einem opulenten Sachkommentar versehene 'Epistola ad Guillelmum de Ourliaco' (1456), ein frömmigkeitstheologischer Brieftraktat mit Anleitung zur täglichen Bibellektüre für einen befreundeten Dominikaner. Explizite Bezüge zum Islamthema fehlen hier, auch wenn die Behandlung des Falles Luzifers von der gleichzeitig laufenden Reflexion über den Islam inspiriert scheint.
Verschiedene Register erschließen den in jeder Hinsicht vorbildhaft gearbeiteten Editionsband, dessen Übersetzungen und aufwändige Sachkommentare die bislang kaum bekannten Texte leicht zugänglich machen und umfassend kontextualisieren.
Anmerkung:
[1] Ulli Roth (Hg.): Johannes von Segovia. De gladio divini spiritus in corda mittendo Sarracenorum, 2 Bde., Wiesbaden 2012 (Corpus Islamo-Christianum; Series Latina, 7).
Thomas Woelki