Rezension über:

Karl Theis: Ergebnisbilder im Geschichtsunterricht. Der Nationalismus und die Lösung der Deutschen Frage - Eine zeitgeschichtliche Analyse zur Förderung einer kritischen Urteilsfähigkeit, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2023, 136 S., ISBN 978-3-7344-1525-8, EUR 24,90
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Rezension von:
Frank Oliver Sobich
Seminar für Didaktik der Geschichte, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Frank Oliver Sobich: Rezension von: Karl Theis: Ergebnisbilder im Geschichtsunterricht. Der Nationalismus und die Lösung der Deutschen Frage - Eine zeitgeschichtliche Analyse zur Förderung einer kritischen Urteilsfähigkeit, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/38587.html


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Karl Theis: Ergebnisbilder im Geschichtsunterricht

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Eine gute Ergebnissicherung - gut sowohl bezogen auf die Inhalte als auch auf die Sicherung - ist eine "elementare Voraussetzung für den langfristigen Erfolg von Unterricht". [1] In einem Fach wie Geschichte, in dem historisches Wissen bei aller Kompetenzorientierung benötigt wird, um über Vergangenheit und Geschichte nachzudenken, dieses Wissen aber selten durch Üben, Wiederholen und Anwenden aktiviert wird, sind gute Ergebnissicherungen von besonders großer Bedeutung. Neue Methoden und gute Anregungen werden da auch den erfahrensten Geschichts-Lehrkräften herzlich willkommen sein.

Neu dürften "Ergebnisbilder" für viele auf jeden Fall sein. Die gängigen Methodiken und Handbücher kennen den Begriff nicht, weder in der Geschichts- noch in der Politikdidaktik ist er bislang gebräuchlich. Eine Anfrage an den Autor blieb unbeantwortet, Nachfragen im Kollegenkreis lösten nur Fragezeichen aus, das Internet ist keine Hilfe und auch das Werk selber gibt keine Antwort darauf, was ein Ergebnisbild ist und wie es verwendet werden soll. Immerhin verrät uns ein Werbetext für das politikdidaktische Gegenstück, dass die Entwicklung strukturierter Ergebnisbilder gerade "zu Beginn der Unterrichtstätigkeit" für Lehrkräfte eine "der größten Herausforderungen" darstelle und von ihrer Qualität einiges abhinge (136). Und in der Einleitung dortselbst wird als Ziel "die sachliche Strukturierung in Form eines möglichst aussagekräftigen Ergebnisbildes" ausgegeben. [2]

Beim Durchlesen der neun Kapitel wird klar: Zumeist handelt es sich bei den abgedruckten Ergebnisbildern um schematisierte, grafisch eher schlicht gehaltene Auflistungen inhaltlicher Merkpunkte mit Überschrift - und oft mit einem Fazit. Inhaltliche Verbindungen und Bezüge werden öfters durch Pfeile markiert, manchmal erklärt, oft aber nicht. Ein Ergebnisbild ist also irgendwo zwischen bildarmen, textlich überladenen Tafelbildern und Strukturskizzen, den früher verbreiteten "Stundenblättern" (aber ohne die dort üblichen Unterrichtsvorschläge) und Postern und Plakaten zu verorten. Vielleicht sollen die Ergebnisbilder im Unterricht auch gar nicht eingesetzt werden, sondern dienen nur zur inhaltlichen Vorbereitung der Lehrkraft? Man weiß es nicht.

Zu jedem Ergebnisbild gibt es die Rubriken "Fachkompetenz", "Sachanalyse" und "didaktische Analyse". Können Sachanalysen, die vor allem auf populärwissenschaftlichen Internetseiten beruhen, z.T. aber auf hoffnungslos veralteten Werken aus den 1960er Jahren, ernsthaft eine "fachlich-systematische Unterrichtsabfolge" (Klappentext) begründen? Insbesondere wenn wesentliche Autor*innen zum Generalthema Nationalismus wie Benedict Anderson und Eric Hobsbawm anscheinend nicht rezipiert wurden und keine weiterführenden Lektürevorschläge gemacht werden? Vorbildfunktion für Studierende oder Lehrkräfte hat das jedenfalls nicht.

Die "didaktische Analyse" ist in Wirklichkeit nur ein didaktischer Kommentar, der die Relevanz des behandelten Themas und den (gewünschten) inhaltlichen Ertrag kurz zusammenfasst. Hinter der "Fachkompetenz" - einer nahen Verwandten der zu Recht kritisierten "Sachkompetenz" [3] - verbirgt sich hier ein inhaltliches Lernziel in einem Satz. [4] Das steht so quer zu allen Forderungen nach "Förderung des Geschichtsbewusstseins" und Kompetenzorientierung, dass es schon wieder interessant sein könnte, wenn es begründet wäre.

Immerhin macht das Werk Vorschläge für einen Unterricht über deutsche Geschichte von 1800 bis letztlich heute. Nur: Weder über Nationalismus noch über deutsche Geschichte erfahren wir inhaltlich etwas, was nicht in einem guten Geschichtsschulbuch zu finden wäre. Wie auch dort häufig werden völkische und antisemitische Strömungen in der Zeit vor 1870 eher ignoriert und stattdessen das traditionelle Narrativ vom inklusiven, demokratischen Patriotismus, der erst im wilhelminischen Kaiserreich zum exkludierenden, autoritären Reichsnationalismus geworden sein soll, serviert. Nach dem "übersteigerten Nationalismus" der Nazis scheint der Nationalismus irgendwie verschwunden zu sein bzw. nur noch bei den Rechtsextremisten zu existieren (104-111). Der deutlich größere Teil des Buchs beschäftigt sich ab 1945 mit einer stark institutionenkundlich ausgerichteten Politikgeschichte, trotz einiger Ausflüge in die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und sogar die Psychologie (z.B. dem autoritären Charakter, dem eine "demokratische Charakterstruktur" als angebliches "Bollwerk" entgegengesetzt wird, 115).

Inhaltlich ist vieles unausgegoren, lückenhaft oder einfach falsch. Mal wieder "scheitert" die Weimarer Republik (23) und wird nicht etwa abgeschafft oder zerstört; schuld daran sind die "radikalen Parteien" (ebda.) - von den konservativen Eliten und ihrer gezielten Sabotage der Verfassung erfahren wir nichts; auch nicht von der Austeritätspolitik und ihrem Beitrag zur Entfremdung größerer Teile der Bevölkerung. An der Spaltung der Arbeiterbewegung war die KPD anscheinend alleine schuld (23) und der Versailler Vertrag war die "Quelle eines radikalen Revanchismus" (24), der es dann Hitler erlaubte eine "Machtergreifung" (28/29, in Anführungszeichen, aber ohne Problematisierung) durchzuführen. Der NS-Volksgemeinschaft wird eine "Negierung aller Unterschiede" (43) innerhalb des 'Volkskörpers' angedichtet, die mit dem offen propagierten Ziel einer hierarchischen, nationalsozialistischen Leistungsgesellschaft nicht viel zu tun hat. Und im Bild "Totalitarismus auf deutschem Boden" (70/71) verschwinden die Unterschiede zwischen SED- und NS-Diktatur. Zwar wird auf Adornos Diktum, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, verwiesen (6) - dennoch wird der Shoah kein eigenes "Ergebnisbild" gewidmet, sie taucht nur in je zwei Bullet-Points in zwei Ergebnisbildern über Antisemitismus als Bestandteil der NS-Ideologie (34/35) und der Staatsdoktrin des NS-Staates (36/37) auf.

Die Ergebnisbilder zum Thema europäische Einigung mögen von einer Absage an Rassismus und Nationalismus inspiriert sein - wirken mit ihrer eindeutigen Parteilichkeit und ihren simplifizierenden Botschaften aber unangemessen. Generell ist Kontroversität allenfalls in Spurenelementen enthalten, Multiperspektivität nicht zu erkennen, kurz: zu einer Förderung der "kritischen Urteilsfähigkeit" tragen die meisten "Ergebnisbilder" nichts bei.

Wem kann also dieses Werk bei was helfen? Allenfalls fachfremd unterrichtenden Lehrkräften, die weder aus dem Kerncurriculum noch aus einem der gängigen Schulbücher Ideen für ihren Unterricht gewinnen können. Alle anderen können die Ergebnisbilder im Geschichtsunterricht natürlich ebenfalls nutzen - um sie zu kritisieren, zu vervollständigen oder zu konterkarieren. Ob das die Intention des Autors war, sei dahingestellt.


Anmerkungen:

[1] Michael Sauer: Verarbeitung, Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen, in: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, hgg. von Ulrich Mayer / Hans-Jürgen Pandel / Gerhard Schneider, Schwalbach/Ts. 2016, 5. Aufl., 634.

[2] Karl Theis: Ergebnisbilder im Politikunterricht, Frankfurt 2021, 5.

[3] Treffende Kritik bei Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis, Schwalbach/Ts. 2013, 218.

[4] Zur weiteren Aktualität von Lernzielen s. Helmut Meyer: Von den Lernzielen über die Kompetenzen zu den Lernzielen?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014) 7/8, 472-481.

Frank Oliver Sobich