Amélia P. Hutchinson / Juliet Perkins / Philip Krummrich et al. (eds.): The Chronicles of Fernão Lopes. Translated by R. C. Willis, Philip Krummrich, Juliet Perkins, Iona McCleery, Francisco Fernandes, Shirley Clarke, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2023, 5 Bde., 1644 S., 5 Farb-, 7 s/w-Abb., ISBN 978-1-8556-6240-7, GBP 650,00
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Thomas Falmagne / Dominique Stutzmann / Anne-Marie Turcan-Verkerk: Les cisterciens et la transmission des textes (XIIe-XVIIIe siècles), Turnhout: Brepols 2018
Cecilia Gaposchkin (ed.): Vexilla Regis Glorie. Liturgy and Relics at the Sainte-Chapelle in the Thirteenth Century, Paris: CNRS Éditions 2021
Stephen A. Barney (ed.): Petri Cantoris. Distinctiones Abel I, Turnhout: Brepols 2020
Innerhalb der deutschen Mediävistik erfreut er sich keiner allzu großen Bekanntheit, dabei gehört er zu den wichtigsten Chronisten im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert: Fernão Lopes. Zum ersten Mal erwähnt wird er 1418 in seiner Funktion als königlicher Archivar - und dieser professionelle Hintergrund sollte sein Schreiben bestimmen und zu etwas ganz Besonderem machen. Dass Fernão Lopes' Werk noch immer unterhalb des mediävistischen Radars verbleibt, ist vor allem zwei Faktoren geschuldet: Lopes schreibt auf Portugiesisch und seine Chroniken (so möchte man meinen) behandeln Personen und Ereignisse in Regionen, die lange Zeit - zumindest in Westmitteleuropa - nicht im Zentrum der mediävistischen Forschung standen. [1]
Mit der vorliegenden Übersetzung seiner Chroniken ins Englische, "a long-deserved act of justice towards the father of Portuguese historiography" (XIII), dürfte wohl Bewegung in die Rezeption dieses profund und zuverlässig berichtenden Chronisten kommen. Vier Bände enthalten die Chroniken Pedros (I), Fernandos (II) und Joãos I (III+IV). Der fünfte Band mit seinen 144 Seiten ist der Bibliographie und einem Index vorbehalten, der Hervorragendes bei der Erschließung der Chroniken leistet, enthält er doch nicht nur sämtliche Personen- und Ortsnamen, sondern auch die wichtigsten Sachen. Die Übersetzung ist das Ergebnis einer zwölfjährigen, komplexen Zusammenarbeit vieler Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen. Allein sechs Übersetzer waren am Werk, die einen Text aus einem Guss schufen - das Ergebnis unzähliger Revisionsschritte, die nicht nur den Stil, sondern auch die verwendete Terminologie betrafen. Herausfordernd war dabei vor allem die Übertragung all derjenigen Begriffe, für die im Englischen keine Entsprechung existiert, so etwa im Bereich der Ämtervielfalt - hier wäre der Abdruck eines Glossars (gegen den man sich bewusst entschied) ohne Zweifel nützlich gewesen. Es galt, die Balance zwischen archaischem Sprachstil und "frischem" Idiom zu halten. Mäandernde Sätze wurden dazu konsequent aufgebrochen, Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen im Text aber beibehalten (und in den Fußnoten vermerkt).
Lopes' Werk wird völlig zu Recht als "literary masterpiece carefully constructed according to a well-defined objective" (XVI) charakterisiert. Zu den mit der Abfassung der Chroniken verbunden Zielen äußern sich Chris Given-Wilson (Fernão Lopes. The Father of Portuguese Historiography, I, 3-10), Nicholas G. Round (Fernão Lopes and the Writing of a Late Medieval Portuguese History, I, 11-55) und David Green (The Chronicle of King Pedro of Portugal: Historical Context, I, 54-68), deren Beiträge im ersten Band grundsätzlich einleitenden Charakter haben und der Lektüre der Chronik unbedingt vorangehen sollten.
Die Chroniken selbst umspannen ein halbes Jahrhundert und beschreiben die Ereignisse von 1357 bis ins Jahr 1411. Es war wohl König Duarte I. (1433-38), der Lopes 1434 mit der Abfassung von Chroniken über die Regierungszeit seiner Vorgänger betraute. Ziel war eine "comprehensive and securely-based history" (4) der ersten 300 Jahre eines unabhängigen Königtums Portugal. Dabei stützte er sich, wenig überraschend, auf bereits existierende Chroniken, die er wie im Fall des Pero López de Ayala aber auch heftig kritisieren konnte. Lopes' Arbeit gründet aber vor allem in einer extensiven Nutzung der reichen archivalischen Überlieferung, insbesondere der Register der Königskanzlei. Das haben auch Chronisten vor ihm bereits so praktiziert, keiner aber "with such consistency or with such unshakeable belief that thereby lay the only route to authenticity" (6). War Archivmaterial vorhanden, zog Lopes es auf jedem Fall der chronikalen Überlieferung oder Augenzeugenberichten vor. Existierten einander widersprechende bzw. miteinander konkurrierende Versionen ein- und desselben Ereignisses, widerstand er der Versuchung, daraus eine einzige kohärente Erzählung zu amalgamieren. Im Gegenteil: Er beschrieb die unterschiedlichen Ansichten und überließ die Entscheidung über ihre Glaubwürdigkeit dem Leser. Für ihn selbst am wichtigsten war die jeweilige Übereinstimmung mit den offiziellen, im Archiv verwahrten Dokumenten.
Lopes glaubte an die Rolle der Vorhersehung und an das Wirken Gottes in der Welt, durch das das menschliche Schicksal bestimmt wurde. In diesem Zusammenhang denkt er auch über Verlauf und Sinn von Geschichte überhaupt nach - epistemologisches Räsonieren, das sich in dieser Qualität und Dichte nur bei wenigen Chronisten des späten Mittelalters finden lässt: "His evidential grounding, his awareness of social phenomena as realities, and his acknowledgement of a plurality of potential causes for historical events - these are the things that make him still, and primarily, one of the first great modern historians." (53). Und er schreibt als Portugiese, der insbesondere dem kastilischen Expansionsstreben ausgesprochen kritisch gegenübersteht.
Thematisch sind es immer wieder die schlechten Ratgebern folgenden und sich in ungezählten Liebesaffären verlierenden Könige, die Lopes kritisiert. Mit Pedro "dem Grausamen" betritt ein Souverän die Szene, dessen Vita in dieser Hinsicht an Farbigkeit wohl kaum zu überbieten ist. Lopes freilich geht es nicht nur darum, in verstörender Detailfreude die Rache Pedros an all denjenigen zu beschreiben, die an der Ermordung seiner Geliebten beteiligt waren, sondern auch darum, die zweite Seite im Charakter Pedros, das Streben nach Gerechtigkeit, seine Stellung als rei justiceiro, zu betonen.
Grundsätzlich bestechen Lopes' Chroniken durch die Kraft der Beschreibung, durch Detailfreude und Dialogbewusstsein, durch einen ausgeprägten Sinn für Humor und eine Form von Ironie, die großes psychologisches Einfühlungsvermögen verrät. Lopes war sehr viel mehr als ein schreibender Archivar. Seine Chroniken - das ist wichtig zu betonen - liefern nicht nur eine Geschichte Portugals, sondern geben auch Einblick in die Geschehnisse in Kastilien und Aragon, in die Bedeutung von Handel und territorialer Expansion auch über den engeren Bereich der Iberischen Halbinsel hinaus. Aufgrund der herrschenden Bündnissysteme sind es immer wieder auch Geschehnisse in England und Frankreich, die von Lopez en passant mitverhandelt werden.
Zum ersten Mal steht nun eine der Hauptchroniken des späten Mittelalters in einer hervorragenden Übersetzung zur Verfügung. Sie möchte nicht nur einer "wider international community of scholars a rich new source until now inaccessible" (XVIII) zur Verfügung stellen, sondern neue Zugänge zu vielen Bereichen der mittelalterlichen Geschichte eröffnen. Möge dieser Wunsch in Erfüllung gehen.
Anmerkung:
[1] Folgende kritische Editionen liegen vor: Crónica de D. Pedro, hg. von Giuliani Macchi, Lissabon 2007; Crónica de D. Fernando, hg. von Giuliani Macchi, Lissabon 2004; Cronica del Rei Dom Joham I de boa memoria e dos Reis de Portugal o décimo, Parte primeira, hg. von Anselmo Braamcamp Freire, Lissabon 1977; Parte segunda, hg. von William F. Entwistle, Lissabon 1977.
Ralf Lützelschwab