Rezension über:

Maria Theisen: Mitteleuropäische Schulen VII (ca. 1400-1500). Böhmen - Mähren - Schlesien - Ungarn. Unter Mitarbeit von Irina von Morzé. Mit Beiträgen von Ulrike Jenni (†), Kristina Klebel, Irina von Morzé, Milada Studničková, Maria Stieglecker, Maria Theisen und Edina Zsupán (= Veröffentlichungen zum Schrift- und Buchwesen des Mittelalters. Reihe I, Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln in Österreich außerhalb der Österreichischen Nationalbibliothek; Bd. 17), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2022, 2 Bde., 583 S., 780 Farb-Abb., 107 s/w-Abb., ISBN 978-3-7001-8861-2, EUR 290,00
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Rezension von:
Susanne Rischpler
Staatsbibliothek Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Rischpler: Rezension von: Maria Theisen: Mitteleuropäische Schulen VII (ca. 1400-1500). Böhmen - Mähren - Schlesien - Ungarn. Unter Mitarbeit von Irina von Morzé. Mit Beiträgen von Ulrike Jenni (†), Kristina Klebel, Irina von Morzé, Milada Studničková, Maria Stieglecker, Maria Theisen und Edina Zsupán, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/04/39201.html


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Maria Theisen: Mitteleuropäische Schulen VII (ca. 1400-1500)

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Mit den Mitteleuropäischen Schulen VII ist ein weiterer Katalog aus der langjährigen Reihe der Illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek erschienen, deren Grundanliegen es ist, bei illuminierten Handschriften und Inkunabeln den Buchschmuck nicht nur ausführlich zu beschreiben und zu bebildern, sondern auch durch Vergleichsbeispiele und deren Diskussion stilistisch einzuordnen. Insbesondere bei den Handschriften gelingt es dadurch in vielen Fällen, den zu katalogisierenden Band genau(er) zu lokalisieren und, falls er keine explizite Datierung trägt und/oder keine weiteren Datierungsindizien birgt, auch zu datieren - und zwar oft nicht nur in eine Jahrhunderthälfte, sondern in ein bestimmtes Jahrhundertviertel, Jahrzehnt oder, idealerweise, noch präziser.

Gerhard Schmidt († 2010), der die Herausgeberschaft der Illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek von Otto Pächt († 1988) übernahm, wandte sich den Mitteleuropäischen Schulen zu, das heißt den illuminierten Handschriften (und Inkunabeln) aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Ostmitteleuropa. Den ostmitteleuropäischen Schulen sind bislang, ohne als separate Unterabteilung angelegt zu sein, die Bände 12, 13 und 17 gewidmet. Für Band 12 und 13 (Mitteleuropäische Schulen III und IV) zeichneten Ulrike Jenni und Maria Theisen verantwortlich, die als Fachfrauen von internationalem Renommee auf dem Gebiet der Buchmalerei in den Ländern der böhmischen Krone gelten. Die Mitteleuropäischen Schulen VII (Band 17) entstanden unter der Leitung von Maria Theisen, die für die Bearbeitung des voluminösen Materialkorpus weitere Mitarbeiterinnen gewinnen konnte. Ohne deren Leistung schmälern zu wollen, ist unbedingt anzuerkennen, dass Maria Theisen den Löwenanteil (über 80 %) der insgesamt 164 Katalognummern selbst verfasst hat. Überdies hat sie in der kunsthistorischen Einleitung die Erläuterungen zur "Die Zeit nach König Wenzels Absetzung bis zu seinem Tod im Jahre 1419" (1-3), den straffen und forschungsgeschichtlich aktuellen Abriss über "Die Zeit der Hussitenkriege (1419-ca. 1436)" (3-4), die Ausführungen über die Phase "Vom Ende der Hussitenkriege bis zu Georg von Poděbrad und Ladislaus Jagiello II." (9-16) sowie die Einführung in "Die Buchkunst in Ungarn zur Zeit des Königs Matthias Corvinus" (16-17) geschrieben. Diese Einleitungstexte weisen darauf hin, dass sich der Katalog nicht nur an Kunsthistoriker wendet, sondern auch historisch hochinteressantes Material bietet.

Der Tradition der Katalogreihe folgend werden die Mitteleuropäischen Schulen VII in zwei repräsentativen leinengebundenen Bänden vorgelegt. Der mit fast 600 Seiten wahrhaft gewichtige Textband beinhaltet neben dem Vorwort (ebenfalls Maria Theisen) und der kunsthistorischen Einleitung die Beschreibungstexte sowie die Vergleichsabbildungen. Der Tafelband liefert zusätzlich zu den Abbildungen auch den Registerteil unter anderem mit einem Verzeichnis für Personen, Orte und Sachen, einem Einbandregister, einem ikonographischen Register und einem Autoren- und Textregister sowie einem Verzeichnis der für die Vergleiche herangezogenen Handschriften, Inkunabeln und Kunstdenkmäler. Dabei ist das Personen-, Orts- und Sachregister in Anbetracht des umfangreichen Textteils etwas knapp geraten.

Ein kunsthistorischer Katalog steht und fällt mit seinen Abbildungen. Die Mitteleuropäischen Schulen VII stellen dem Benutzer davon reichlich und in guter Qualität zur Verfügung: 780 Farbabbildungen und 107 Vergleichsabbildungen in Schwarzweiß. Der Tafelband konzentriert sich auf den aussagekräftigsten bzw. auf selten abgebildeten Buchschmuck. Darüber hinaus wird auf Teil- und Volldigitalisate verwiesen, die sich bereits in erfreulicher Anzahl online gestellt finden. Die entsprechenden Links werden jeweils am Ende des Literaturblocks angegeben. Die Digitalisierung kommt nicht nur bei Abbildungen, sondern auch bei Wasserzeichen und Einbänden zum Tragen, die in einschlägigen Datenbanken recherchierbar sind. Und schließlich wurden, nachdem bereits die Mitteleuropäischen Schulen IV nicht nur gedruckt, sondern auch online open access zugänglich sind, nun auch die Mitteleuropäischen Schulen VII in dieser zweigleisigen Form publiziert (DOI https://www.austriaca.at/?arp=0x003d8e98).

Die Beschreibungstexte liefern im Kopfteil die Kerninformationen zu Signatur, Inhalt, Lokalisierung und Datierung. Es folgen kodikologische Angaben, Einbandinformationen, Angaben zu Entstehung und Provenienz sowie eine ausführliche Inhaltsübersicht. Danach wird der vorhandene Buchschmuck aufsteigend in Bezug auf das Ausstattungsniveau, also von der Rubrizierung bis hin zu aufwendigem Dekor wie Miniaturen detailliert beschrieben. Der abschließende Passus "Stil und Einordnung" ist, wie bereits angesprochen, der ausführlichen stilistischen Diskussion des Buchschmucks gewidmet.

Um der verstärkten Buchproduktion des Spätmittelalters gerecht zu werden, bieten die Mitteleuropäischen Schulen VII neben dieser ausführlichen Beschreibungsform für Exemplare mit qualitativ hochstehendem Dekor (63 Katalognummern) auch die Modi "Kurzbeschreibung" für weniger opulent illuminierte Handschriften (20 Katalognummern) und "Listenbeschreibung" für Handschriften und etliche Inkunabeln mit geringfügigem Buchschmuck (81 Katalognummern), wobei sich die Kategorisierung "geringfügig" sowohl auf die Qualität als auch auf den Umfang der Ausstattung bezieht. Kurzbeschreibungen mit einem gestrafften Abschnitt zum Buchschmuck und gekürzter Kodikologie (keine Lagenformel) werden durch den Zusatz "(K)" zur Katalognummer gekennzeichnet. Listenbeschreibungen sind mit dem Zusatz "(L)" versehen. Die Benennung "Listenbeschreibung" rührt von der Tatsache, dass für diese Objekte zuerst nur die Erfassung der Signatur in einer Liste im Anhang vorgesehen war, dann aber doch eine auf die wichtigsten Daten reduzierte Beschreibung erarbeitet wurde. Die Berücksichtigung geringfügig ausgestatteter Handschriften und Inkunabeln ist außerordentlich begrüßenswert, da zum Beispiel die Einordnung einfach verzierter Initialen, die in der Regel stiefmütterlich bzw. gar nicht untersucht und bebildert werden, bei der Lokalisierungs- und Datierungsarbeit sehr hilfreich sein können.

Für die Anordnung der Beschreibungen im Katalog stellt die Lokalisierung des Buchschmucks das Hauptkriterium dar, nachgeordnet ist die Qualität des Buchschmucks ausschlaggebend. So werden zuerst, als umfangreichste Gruppe, die aufwendiger bis sehr reich illuminierten Handschriften und Inkunabeln aus Böhmen (63), dann die Objekte aus Mähren (13), Schlesien und Polen (5) sowie Ungarn (mit Kroatien und Siebenbürgen) (8) präsentiert, gefolgt von den geringfügig ausgestatteten Handschriften und Inkunabeln wiederum aus Böhmen (53), Mähren (19) und abschließend aus Schlesien, Polen und Pomesanien (3). Gruppenintern greift die chronologische Anordnung.

Inhaltlich sind neben juristischen, humanistischen, historischen, medizinisch-naturwissenschaftlichen und astronomisch-astrologischen Bänden die theologisch-philosophischen Werke am stärksten vertreten, gefolgt von den Liturgica, deren Gruppe sich noch vergrößerte, da bei den Mitteleuropäischen Schulen VII erstmalig Antiphonare und Gradualien aus der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in den Bearbeitungskorpus einbezogen wurden.

Die Kolleginnen, die Maria Theisen für die Mitarbeit in den Projekten und am Katalog gewinnen konnte, haben nicht nur Katalogisate, sondern auch weitere Einleitungstexte und wertvolle Exkurse beigetragen. Von Milada Studničková (Tschechische Akademie der Wissenschaften Prag) stammen drei umfangreiche Beschreibungen. Irina von Morzé (Universität Wien) steuerte 14 Beschreibungen bei, darüber hinaus zur kunsthistorischen Einleitung den Exkurs zu den illuminierten Wyclif-Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek aus dem Nachlass des Kaspar von Niedbruck (5-9). Edina Zsupán (Széchényi-Nationalbibliothek Budapest), eine ausgewiesene Kennerin der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus, bereicherte die kunsthistorische Einleitung durch einen Exkurs über "Die Buchmaler der Budaer Hofwerkstatt" (17-20), außerdem verfasste sie sechs der Katalogisate aus der Gruppe der aufwendiger illuminierten Handschriften aus Ungarn (mit Kroatien und Siebenbürgen) sowie den Exkurs "Der Erste Wappenmaler des Königs Matthias Corvinus in Buda", der sich auf die Katalognummern 85-87 bezieht. Und last but not least fanden vier der geschätzten Handschriftenbeschreibungen von Ulrike Jenni, die 2020 verstarb, Eingang in die Mitteleuropäischen Schulen VII.

Neben den Pluspunkten der umfangreichen Bebilderung, der Einbeziehung von Inkunabeln bzw. der Zusammensicht von Inkunabeln und Handschriften und der Berücksichtigung geringfügig illuminierter Exemplare sind sowohl die akribische Recherche, die den Katalogisaten zugrunde liegt, als auch die Präzision hervorzuheben, mit der die hoch komplexen Texte formuliert wurden. Auch die redaktionelle Bearbeitung erfolgte mit größter Sorgfalt. Alle an diesem Katalog Beteiligten, zuvorderst Maria Theisen, haben ein hervorausragendes Werk für die Erforschung des spätmittelalterlichen Bestandes an Buchmalerei aus Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn geschaffen, das noch lange Gültigkeit besitzen wird und dem "gold standard" [1] der Handschriftenkatalogisierung entspricht.


Anmerkung:

[1] Jeffrey F. Hamburger: Rezension Mitteleuropäische Schulen V. (ca. 1410-1450, Wien und Niederösterreich), in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 142/3 (2013), 383-386, hier 383f.

Susanne Rischpler