John C. Guse: Nazi Volksgemeinschaft Technology. Gottfrried Feder, Fritz Todt, and the Plassenburg Spirit, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2023, xxi + 309 S., ISBN 978-3-031-32055-2, EUR 128,39
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Überwältigende Landschaftseindrücke auf technisch anspruchsvollen Autobahnen mit dem eigenen PKW zählten ebenso zur Vision neuer Formen von Freizeit und Freiheit in der NS-Propaganda wie Seereisen auf modernen Ausflugsdampfern der Organisation 'Kraft durch Freude'. Dass diese Wohlstandsverheißungen wegen des Primats der Rüstung und des Kriegs meist unerfüllt blieben, es Kanonen statt Butter und Panzer statt Volkswagen gab, ist hinlänglich bekannt. Materielle Aufwertung und sinnliche Erfahrung waren integrale Bestandteile der imaginierten Volksgemeinschaft. Weniger bekannt ist dabei die Rolle von Ingenieuren im 'Dritten Reich'. Zunächst unterstützten sie funktional das einheitsstiftende Versprechen des Regimes von der Erfüllung deutscher Verbraucherwünsche. Später führten sie als technische Soldaten Millionen Zwangsarbeiter an, entwickelten sogenannte "Wunderwaffen" oder konstruierten Gaskammern - und bedienten bei alledem das Motiv der Überlegenheit "arischen" Erfindungsreichtums.
Um diese Lücke zu schließen, geht John C. Guse der Frage nach, inwieweit führende Ingenieure Aspekte von Technik als Schlüsselelemente in die NS-Ideologie integrierten, sprich moderne Varianten einer rassischen Utopie kreierten und so das nationalsozialistische Angebotsrepertoire für Millionen attraktiver machten. Dass diese "Technologie-Ideologie" nicht als "peripherer Glaubenssatz unterschätzt" werden darf, gehört zu den Kernthesen des Buchs. Sie spielte etwa bei der NS-Gesellschaftskonzeption eine zentrale Rolle, inspirierte "vereinigende Illusionen" und setzte gleichermaßen Kräfte "mörderischer Zerstörung" frei (4). Folglich untersucht die Studie das erklärte Ziel der technischen Elite, sich als staatstragende Säule zu etablieren. Dies war Voraussetzung dafür, das deutsche Ingenieurskorps zu politischem Bewusstsein und verantwortlichen Führerpersönlichkeiten zu erziehen. Ausgehend vom Aspekt der Indoktrination erklärt der Autor, weshalb sich Architekten und Ingenieure willfährig an NS-Verbrechen beteiligten, etwa an der Eisenbahnrampe in Auschwitz Zwangsarbeiter für ihre Projekte anforderten. Daneben stehen Fragen im Fokus, wie diese Berufsgruppe ihre Überzeugungen der Öffentlichkeit näherbrachte, welche Charakteristika der NS-Technik die Volksgemeinschaft besonders faszinierten oder wie sich Ingenieure die Zukunft nach dem Sieg vorstellten.
Hierfür kehrt Guse zu den Wurzeln seiner Forschertätigkeit zurück. In seiner Dissertation beschäftigte er sich Anfang der 1980er Jahre bereits mit Technik und NS-Ideologie. Weil die Zunft der Historiker das 'Dritte Reich' damals primär als fortschrittsfeindlich einschätzte und englischsprachige Publikationen zu NS-Technikern nach wie vor fehlen, korreliert der Autor frühere Positionen nun mit neuen Erkenntnissen. Thesen zum Nationalsozialismus als "reaktionärem Modernismus" erweitert er durch Hinweise auf die asynchrone Koexistenz verschiedener Fortschrittsbereiche - ästhetische, technokratische oder biopolitische - wobei die zukunftsweisende Dynamik jeweils entscheidend sei. Zur Analyse des "Dogmenpluralismus" nutzt Guse Theoriemodelle des "spacial turn" und identifiziert einen rassistisch-antibolschewistischen Weltanschauungskern sowie weitere, sich darum positionierende ideologische Elemente. Der Autor greift auf eine breite Überlieferungsbasis verschiedener nationaler wie internationaler Archive zurück: unter anderem auf das Memorial de la Shoa Paris, die Bundesarchive in Berlin und Koblenz, das Archiv des Deutschen Ingenieursvereins Düsseldorf oder das Forschungsinstitut La Contemporaine in Nanterre.
Strukturell ordnet der Autor Genese und Wirkungsgrad der NS-Technik-Ideologie ihren drei wichtigsten Vertretern zu und zeichnet eine klare Abfolge: vom NS-Theoretiker und späteren Staatssekretär im Reichwirtschaftsministerium Gottfried Feder (bis 1934) über den Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen und späteren Rüstungsminister Fritz Todt zu Albert Speer, der 1942 alle Ämter Todts übernahm. Die vier Kapitel zu Feder sind unter anderem dem Kampfbund deutscher Architekten und Ingenieure als frühem Sprachrohr der NS-Technik gewidmet und unterstreichen Feders Absicht, durch massive Umsiedlung die deutsche Industrie zu dezentralisieren. Bei aller Agrarromantik habe dieses Programm Technik nicht negiert, sondern ihrer in erhöhtem Maße bedurft. Feder erscheint als völkischer Technokrat, der "social engineering" (26) zum Wohle der Volksgemeinschaft betrieb und mit seinen Plänen nur wegen seiner antikapitalistischen Kritik und der Zugehörigkeit zum linken Parteiflügel scheiterte.
Mit den folgenden sechs Kapiteln beansprucht Fritz Todt den Löwenanteil des Buches. Dessen Erfolg erklärt der Autor nicht nur mit der Stellung in der Partei und der persönlichen Nähe zu Hitler. Anders als Feder verstand er es, seine Ideologie als "Deutsche Technik" (91) in ein unaufdringliches Gewand zu kleiden und weniger radikal, obgleich im Kern nicht weniger rassistisch, zu präsentieren. So habe Todt bis 1940 die bis dato größtmögliche realpolitische Gestaltungsmacht für Ingenieure erkämpft. Den Weg dorthin zeichnet Guse anschaulich vom Ausbau seiner Machtbasis im NS-Hauptamt für Technik und im NS-Bund deutscher Technik, über die erfolgreiche Gleichschaltung des Reichsbundes der technisch-wissenschaftlichen Arbeit und des Vereins Deutscher Ingenieure, bis zum Zenit seiner Macht: der Formierung des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition als Ausgangsbasis eines Technikministeriums der Nachkriegszeit.
Die Eckpfeiler von Todts sogenannter Weltanschauung offenbaren sich plastisch im Kontext seiner Arbeit an den Reichsautobahnen und dem Postulat einer spezifisch nationalsozialistischen Bauweise, die Mensch, Natur und Maschine in harmonischen Gleichklang bringen sollte. Die Verschmelzung von Technik und Kunst war Ausdruck kultureller "arischer" Höherwertigkeit und damit untrennbar mit weiteren Kernelementen der NS-Ideologie verbunden. Auch bei Todt sollte der Mensch in Einklang mit seiner Umgebung neu erschaffen werden, wenn er die "geistige Revolution" der Ingenieure forderte (269). Folglich dienten "techno-politische" Schulungskurse auf der Plassenburg der "Kultivierung, Verbreitung und Erhöhung nationalsozialistischer Einstellung" (147). Die zu neuen Führern erzogenen Ingenieure wirkten ihrerseits als Multiplikatoren, zunächst gegenüber der Bevölkerung bei Wanderausstellungen, später im Rahmen eines von Todt geschaffenen Rednerwesens. Trotz der Hinwendung zu nüchterner Rüstungspragmatik unter Speer erblickt Guse in der anhaltenden Wirksamkeit dieser Ideologie den Grund für die Ambivalenz der Technik im 'Dritten Reich': als konsumorientiertes Angebot zur Teilhabe an der Volksgemeinschaft und als Instrument des Todes und der Zerstörung.
Lediglich auf wenigen Nebenschauplätzen wirkt die neu aufgelegte Forschung Guses bisweilen nicht ganz aktuell, sonst wären Todts Interesse an der Alpenstraße wohl höher eingeschätzt [1] oder im Kapitel zur Plassenburg jüngere Publikationen berücksichtigt worden. [2] Ebenso erscheint die Skizzierung der Handlungsmotive der Ingenieure nahezu ausschließlich im Licht ideologischer Kriterien manchmal etwas zu eindimensional. Andererseits argumentiert Guse sehr plausibel und bietet Anschlussmöglichkeiten für situative Erklärungsmuster. Insgesamt präsentiert er ein Werk, das sich methodisch auf der Höhe der Zeit befindet, stringent einen äußerst interessanten und durchdachten Ansatz verfolgt und unser Verständnis über die Funktionslogik der NS-Herrschaft in einem marginalisierten Themenfeld bereichert.
Anmerkungen:
[1] Christian Packheiser: Die Deutsche Alpenstraße als NS-Prestigeprojekt. Überlegungen zum Wechselverhältnis von Infrastruktur und Herrschaft im Nationalsozialismus, in: Die Deutsche Alpenstraße. Deutschlands älteste Ferienroute, hg. von Monika Kania-Schütz, München 2021, 83-100.
[2] Christopher Kopper: Bauten der Infrastruktur, Militär-, Festungs- und Rüstungsbauten, in: Planen und Bauen im Nationalsozialismus, hg. von der Unabhängigen Historikerkommission, München 2023, 270-313.
Christian Packheiser