Rezension über:

Steffen Krämer: Bramantes Pergamentplan. Eine Architekturzeichnung im Kontext wissenschaftlicher Kontroversen, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2023, 103 S., 8 Farb-, 27 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-80102-8, EUR 28,00
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Rezension von:
Olaf Klodt
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Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Olaf Klodt: Rezension von: Steffen Krämer: Bramantes Pergamentplan. Eine Architekturzeichnung im Kontext wissenschaftlicher Kontroversen, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/38215.html


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Steffen Krämer: Bramantes Pergamentplan

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In dem Buch von Steffen Krämer dreht sich alles um Donato Bramantes Pergamentplan UA1 und dessen kontroverse Rekonstruktion in der Forschung. Die Zeichnung aus der frühen Phase der St. Peter-Planung vor Baubeginn 1506 zeigt keinen vollständigen Grundriss. Erkenntnisinteresse des Buchs: "Grundsätzlich geht es dabei um die Frage, ob UA 1 einen Zentral- oder Longitudinalbau darstellt". (9)

Krämer formuliert seine Fragestellung, die sich einzig auf die Rekonstruktion des Pergamentplans bezieht und betont die Notwendigkeit "einer breit gefächerten, methodischen Vorgehensweise". Darunter versteht er "formale Analysen, quellenkundliche Untersuchungen und stilistische Vergleiche bzw. Herleitungen". (13) Er führt kurz in die Forschungsgeschichte ein, beginnend bei Heinrich von Geymüllers Rekonstruktion als Zentralbau im 19. Jahrhundert. Abweichende Rekonstruktionen als Langhaus- oder Kompositbau werden kurz angerissen. Schließlich widmet er sich den Thesen von Christof Thoenes, der seit einem Aufsatz aus dem Jahr 1994 [1] der hauptsächliche Verfechter einer Rekonstruktion des Pergamentplans als Westpartie eines Kompositbaus war. Krämer postuliert, dass sich in der Folge das inhaltliche Spektrum, in dem sich die Diskussion um den Pergamentplan traditionell bewegt habe, begrenzt worden sei und dabei einige für das Verständnis notwendige Themenbereiche in den Hintergrund getreten seien. Er macht deutlich, was das Anliegen des Buches insgesamt ist, nämlich eine Überprüfung von Thoenes' Thesen "von der formalen Ebene über die Schriftquellen bis zu den architektonischen Vorläufern und Herleitungen". (19)

Unter der Überschrift "Format, Ausrichtung und Rekonstruktion des Pergamentplanes" charakterisiert Krämer den Pergamentplan als wertvolle Präsentationszeichnung und verweist auf Vorbilder für die "Entwurfskonzeption mit halbierten Grundrissen" (22) bei Filarete, die optisch spiegelbildlich ergänzt und dem Auftraggeber erläutert werden können. Es folgt das Kapitel "Formale Analyse des Pergamentplans", das das implizierte Ergebnis der gesamten Abhandlung vorwegnimmt: "Den Pergamentplan als Zentralbau zu rekonstruieren, ist [...] systemimmanent, zumindest wenn man sich auf seine formalen und typologischen Eigenschaften konzentriert". (29) Dann geht es um die Gründungsmedaille, die als Aufriss des Pergamentplans begriffen wird. Krämer beschäftigt sich damit, warum die Medaille nur zwei Türme zeigt, statt - wie bei einem allseits symmetrischen Zentralbau zu erwarten - vier. Zudem geht es um die Frage, welche Ansicht gezeigt wird: die westliche Chorpartie oder die Hauptfassade.

Im Kapitel "Zentralbauentwürfe für Neu St. Peter im 16. Jahrhundert" werden Vorläufer und Nachfolger für die Zentralbauplanung Bramantes im Entstehungs- und Planungsprozess der Peterskirche behandelt: angefangen bei der Grundrissskizze UA 104v. Es folgt die Grundrisszeichnung UA 8r von Giuliano da Sangallo, die zweifelsfrei einen Zentralbau zeigt. Wieder setzt sich Krämer mit Thoenes auseinander, der Giuliano da Sangallo das Primat für die Zentralbauidee im Planungsprozess zugeschrieben hat. Anschließend werden zentralisierte Entwürfe von Peruzzi, Antonio da Sangallo dem Jüngeren und Michelangelo unter Hinzuziehung von Schriftquellen thematisiert und historisch eingeordnet.

Krämers Argumentation gegen Thoenes und für die Rekonstruktion des Pergamentplans als Zentralbau geht im Kapitel "Architektonische Vorläufer für den Pergamentplan" in die nächste Runde. Er schreibt, Thoenes habe die Forderung aufgestellt, sich "auf einfache, positive Aussagesätze (>Thesen<) zu Sachverhalten" zu beschränken, "die allein aus den Primärquellen herzuleiten sind". Damit habe er "eine Absage an jene wissenschaftliche Vorgehensweise erteilt, die im Rekurs auf bedeutende Vorläufer die Planungen Bramantes und vor allem den Pergamentplan in einen architekturgeschichtlichen Kontext einordnet". (65) Ein Missverständnis: Thoenes hat diese Forderung begründet vor dem Hintergrund des gesamten Planungsprozesses, nicht in Bezug auf die Rekonstruktion einer einzelnen Grundrisszeichnung. [2]

Um seine These zu untermauern werden, im Kapitel "Bramantes Kirchenbauten in der Nachfolge von St. Peter" Nachwirkungen der Zentralbauplanungen Bramantes für St. Peter thematisiert. Dabei geht es um die römische Kirche SS. Celso e Giuliano und die Kirche S. Maria Annunziata in Roccaverano. Krämer schlussfolgert, dass "beide Kirchen Zentralbauten darstellen, deren spezifische Grundrissdisposition und architektonische Systematik ohne den Pergamentplan nicht zu denken sind. Was für die Nachfolgebauten gilt, das sollte auch für ihren Prägebau gelten, und damit wird seine Rekonstruktion als Zentralbau wiederum wahrscheinlicher". (77)

Es schließt sich das Kapitel "Bramante - mögliche Bildnisse und Theorien" an, in dem Krämer den theoretischen Begriff der "conformità" bei Bramante in Anlehnung an Albertis "concinnitas" herleitet und auf die St.-Peter-Planung überträgt.

Krämer resümiert, dass seine Analysen gezeigt hätten, dass die "Spiegelung des Pergamentplanes zu einem Zentralbau die sinnvollste [...] Methode" der Vervollständigung sei und sieht es als gerechtfertigt an, das "Grundrissfragment mit seinem architektonisch höchst ambitionierten Eigenwert als Kunstwerk zu bezeichnen". (89) Er konstatiert: "Indem Thoenes seine Argumente in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen immer wieder beharrlich vorgetragen hat, wurde die St. Peter-Forschung in Bezug auf den Pergamentplan auf nur mehr bestimmte Aspekte fokussiert und dadurch beeinträchtigt". (90) Hier gilt es zu widersprechen: Die Forschung hat sich in all den Jahren - bis in die jüngste Zeit - wiederkehrend mit allen möglichen Aspekten des Neubauprozesses beschäftigt, eben auch mit dem Pergamentplan. Es ist anzumerken, dass Krämer wichtige Literatur der letzten Jahre nicht berücksichtigt. [3]

Einzuwenden ist: Der Pergamentplan UA1 zeigt einen Teilgrundriss. Durch die Größe seiner Ausführung als Reinzeichnung auf Pergament und durch seine Beschriftung nimmt er unter allen erhaltenen St. Peter-Zeichnungen aus der Planungsphase eine Sonderrolle ein. Man mag ihm mit Recht den Charakter einer Präsentationszeichnung attestieren, die er zu einem gewissen Teil und zu einem gewissen Zeitpunkt auch gewesen sein mag. Aber der Pergamentplan ist Teil des dynamischen Entwurfprozesses, was er auch deutlich verrät: Er zeigt Korrekturen, Überarbeitungen und Alternativlösungen im Detail und eben keinen vollständigen Grundriss.

Krämer betreibt eine "Vereinzelung" des Pergamentplans, indem er ihn zu einem eigenständigen Kunstwerk erhebt und ihn so aus dem Prozess der Ideenfindung für den Neubau St. Peters auslöst. Diese Vorgehensweise führt für die St. Peter-Forschung insgesamt zu keinem Erkenntnisgewinn, auch nicht dadurch, dass alle nur möglichen und in der langen Geschichte der St. Peter-Forschung mehrfach genannten Indizien und Argumente für eine spiegelbildliche Ergänzung des Grundrissfragments aufaddiert werden.

Abschließend sei der generellen Kritik Krämers an Methodik und gar Zielsetzung der Spezialforschung zu St. Peter kurz entgegnet. Krämer kritisiert unter anderem "Analysen zu Maßeinheiten und -verhältnissen", da diese auf dem Pergamentplan fehlten (13). Diese Methode ist seit Heinrich von Geymüller ein Grundhandwerkszeug der St. Peter-Forschung und dient der Interpretation, der chronologischen Einordnung einzelner Entwürfe in den Planungsverlauf oder auch der Zu- und Abschreibung einer Zeichnung zur St. Peter-Planung überhaupt. [4] Wenn auch der Pergamentplan selbst keine Kodierung aufweist, so steht er doch im Verhältnis zu den übrigen überlieferten Planzeichnungen, die, wie etwa der Rötelplan UA 20r, vermaßt sind.

Der von Krämer so gescholtene Christof Thoenes hat treffend formuliert, dass es eben nicht gelte, einen real existierenden Bau zu untersuchen. Alle überlieferten Zeichnungen enthielten ein Zeitmoment und seien nahezu ausnahmslos fragmentarisch und damit offen für die Zukunft. Was es zu untersuchen gelte, sei ein Planungsprozess. [5] Die St. Peter-Forschung versteht ihre Aufgabe darin, diesen Prozess anhand des überlieferten Quellenmaterials zu rekonstruieren. Dabei ist - hier hat Krämer recht - bisher kein Konsens erreicht worden und ein solcher ist so schnell auch nicht zu erwarten. [6] Das sollte allerdings kein Grund sein, die Bemühungen einzustellen. Im Gegenteil: Im Laufe der letzten Jahrzehnte konnten durch das beharrliche Bohren dicker Bretter - übrigens gerade auch durch Christof Thoenes - etliche neue Erkenntnisse gewonnen werden. Einen Erkenntnisgewinn hätte man sich auch von der Lektüre des vorliegenden Buches erhofft.


Anmerkungen:

[1] Christof Thoenes: Neue Beobachtungen an Bramantes St.-Peter-Entwürfen, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Bd. XLV, 1994, 109-132.

[2] Vgl. Christof Thoenes: Elf Thesen zu Bramante und St. Peter, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, Bd. 41, 2013/14, 209-226, hier: 212.

[3] Siehe zum Beispiel diverse Beiträge in Francesco P. Di Teodoro / Jens Niebaum (Hgg.): Donato Bramante. luce & inventor della buona & vera architettura, Rom 2021.

[4] Vgl. Jens Niebaum: Geymüller und die moderne Forschung zu Bramantes St. Peter, in: Heinrich von Geymüller (1839-1909). Architekturforscher und Architekturzeichner, hgg. von Josef Ploder / Georg Germann, Basel 2009, 16-25, hier: 17-18.

[5] Siehe Christof Thoenes: Elf Thesen zu Bramante und St. Peter, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, Bd. 41, 2013/14, 209-226, hier: 212.

[6] Vgl. Olaf Klodt: Raffael oder Bramante? Kritische Anmerkungen zur St. Peter-Forschung, in: Jacobs-Weg. Auf den Spuren eines Kunsthistorikers, hgg. von Karen Buttler / Felix Krämer, Weimar 2007, 73-86, hier: 77-80.

Olaf Klodt