Sophie Röder: Kaiserliches Handeln im 3. Jahrhundert als situatives Gestalten. Studien zur Regierungspraxis und zu Funktionen der Herrschaftsrepräsentation des Gallienus (= Prismata. Beiträge zur Altertumswissenschaft; Bd. 23), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2019, 402 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-631-79099-1, EUR 69,95
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Die turbulenten Ereignisse in der Mitte des 3. Jahrhunderts und insbesondere die Regierung des Valerian (253-260) und seines Sohnes Gallienus (253-268) haben in der aktuellen Forschung großes Interesse gefunden. [1] Die neueren Monografien von Glas und Geiger erörtern die Ereignisse von 253 bis 268 hinreichend. Sophie Röder geht in ihrer Düsseldorfer Dissertation daher einen anderen Weg: Sie fragt nach dem Charakter der Regierungspraxis des Gallienus, sie möchte also die Frage beantworten, ob Gallienus einem politischen Programm folgte oder nur situativ auf anstehende Probleme reagierte, wobei in diesen Reaktionen der Kaiser durchaus auch gestaltend agieren konnte. Hierbei greift Röder die Debatte um den Regierungsstil des Kaisers auf, den Fergus Millar als rein reagierend, nicht innovativ planend beschrieb. Als zentrale Aspekte der Analyse untersucht Röder die Herrschaftsrepräsentation des Gallienus sowie aus seiner Herrschaftspraxis seine Maßnahmen gegenüber den Christen und den Städten sowie die von ihm initiierten Veränderungen in Militär und Verwaltung.
In der Einleitung (13-45) stellt Röder den Forschungsstand vor und positioniert sich in der Frage des Charakters der Krise des 3. Jahrhunderts - sie spricht von "krisenhaften Phänomenen" (31) und lehnt eine generelle 'Reichskrise' ab. Das Kapitel 2 (47-138) nimmt die Herrschaftsrepräsentation in den Blick, konzentriert sich aber auf die Münzprägung; Inschriften werden kaum erwähnt, die Siegertitel des Gallienus in drei Sätzen abgehandelt (50). Gallienus habe sich zur symbolischen Stabilisierung der Herrschaft in traditioneller Weise des Schutzes der Götter versichert, habe aber nahezu das gesamte Pantheon der Götter durch Münzen verehren lassen. Eine besondere Rolle des Gottes Sol kann Röder nicht erkennen (88). Als neue Akzente streicht sie die Prägungen für die Schutzgötter als conservatores und die Sonderemission für die Legionen heraus, die Röder an den Beginn der Alleinherrschaft des Gallienus datiert und mit den Siegen über Alamannen und Usurpatoren verbindet. Gallienus habe zudem Bezüge zu Alexander dem Großen und Augustus hergestellt. So wird die Legende DEO AVGVSTO auf den ersten Herrscher des Kaiserreiches, nicht auf eine Vergöttlichung des Gallienus bezogen (105f.) [2] - doch müsste es dann nicht DIVO heißen? Die in der Forschung stark diskutierte Prägung mit dem Bildnis des Gallienus mit Ährenkranz und der Averslegende GALLIENAE AVGVSTAE, die mit Alföldi vielfach als Angleichung an Demeter und als Zeugnis des Philhellenismus des Kaisers im Kontext der Athen-Reise 264 verstanden wird, interpretiert Röder als Betonung der Rolle des Gallienus bei der Getreideversorgung. Die enigmatische Legende verbindet sie wenig überzeugend mit der legio III Augusta Galliena, der Kaiser habe so die Loyalität der numidischen Legion auszeichnen wollen. Dieser Zusammenhang hätte sich dem zeitgenössischen Betrachter aber ohne den üblichen Zusatz LEG wohl kaum erschlossen. In seiner Herrschaftsrepräsentation werde der Kaiser somit als fürsorglicher, siegreicher Feldherr unter dem Schutz der Götter dargestellt. Ob Programmatik oder situatives Handeln vorliegt, ließe sich nicht ausmachen, Gestaltungswillen sei dem Kaiser aber in den Sonderemissionen nicht abzusprechen (110 und 138).
Das dritte Kapitel untersucht die ausgewählten drei Aspekte der Herrschaftspraxis (139-347). Im Abschnitt zur Christenverfolgung wendet sich Röder vor allem gegen die Deutung einer programmatischen Religionspolitik des Valerianus und des Gallienus: Weder habe Valerian eine Glaubensrichtung und deren Klerus gezielt verfolgen wollen, noch habe Gallienus eine Toleranzpolitik gegenüber den Christen durchgeführt oder diese Religion rechtlich anerkannt; diese Deutungen resultierten allein aus der christlichen Perspektive der Zeugnisse. Beiden Herrschern sei es traditionell allein um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegangen. Valerian habe sich mit seinen Edikten gegen Unruhestifter aus der Kirche gewandt, er habe die Organisation der Christen als potenziellen Unruheherd auflösen wollen. Gallienus habe dann nach der Gefangennahme Valerians 260 zur Aufrechterhaltung der Ordnung die Verfolgungen eingestellt, hierbei habe er insbesondere das durch Unruhen erschütterte Ägypten in den Blick genommen. [3]
Traditionelle Wege habe Valerian in der Förderung der Städte beschritten, indem als Gunsterweis in Kleinasien Agone, Feste und Neokorien verliehen habe. Gallienus habe nach 260 dann aber vor allem durch Spiele Ägypten und durch Bauten Nordafrika gezielt gefördert; hier könne man also eigene Akzente erkennen. Röder räumt allerdings auch ein, dass dieser Eindruck "dem Verschwinden der entsprechenden Dokumentation durch Inschriften und lokaler Münzprägung" (292) aus Kleinasien geschuldet sein kann. Der Besuch des Kaisers in Athen 264 wird im Kontext eines Goteneinfalls im Jahr 262 als militärische Sicherungsmaßnahme gedeutet; zugleich stellt Röder die Historizität der Einweihung des Gallienus in die Eleusinischen Mysterien in Frage, um so letztlich wenig überzeugend den Philhellenismus des Kaisers, also ein besonderes Interesse für griechische Kultur, zu bestreiten. Die Begegnung mit dem Philosophen Plotin in Rom habe so für Galllienus "keine besondere Rolle" (291) gespielt.
Auch im letzten Abschnitt zu den Maßnahmen auf dem Gebiet des Heeres und der Verwaltung bestreitet Röder programmatisches Agieren, also eine Heeresreform und eine gezielte Förderung des Ritterstandes. Die meisten Maßnahmen stünden in einer Kontinuität schrittweiser Veränderungen seit der Severerzeit, seien nur situativ-gestaltend. Provisorisch, schrittweise und situationsbedingt habe Gallienus Ritter an die Spitze von Legionen gestellt; und auch bei der Einsetzung von ritterlichen Statthaltern anstelle senatorischer legati in kaiserlichen Provinzen habe es sich nicht um ein Edikt oder eine programmatische Reform, sondern allein um situationsbedingte Maßnahmen in bestimmten Regionen gehandelt. Unklar bleibt, warum Röder in der Analyse der Veränderungen in den Provinzen unter Gallienus auch bisherige ritterliche Provinzen (wie Mauretania Caesariensis) oder senatorische Provinzen (wie Achaea oder Africa) betrachtet, die von den Reformschritten des Gallienus gar nicht betroffen waren. Schließlich bezweifelt Röder auch, dass Gallienus erstmalig eine 'mobile Eingreiftruppe' aufgestellt habe, an deren Spitze Aureolus gestanden habe (auch Claudius als Nachfolger des Aureolus wird bezweifelt). Bereits zuvor seien flexible Reiterverbände eingesetzt worden; zudem könnten die späten Quellen einen solchen Reformschritt nicht bezeugen.
Im Fazit streicht Röder noch einmal heraus, dass Gallienus nicht programmatisch, sondern reagierend und situativ-gestaltend regiert habe; die einzelnen Maßnahmen dienten der Herrschaftssicherung und waren Reaktionen auf die unmittelbaren Erfordernisse. Gallienus habe dabei nur die sich im Militär und in der Verwaltung seit den Severern abzeichnenden Entwicklungen intensiviert und habe so "in manchen Bereichen zur Transformation des Reiches" beigetragen (349). Quellen- und Literaturverzeichnis, Münzabbildungen und ein Register beschließen den Band.
Röder bietet zahlreiche interessante Beobachtungen; die literarischen und numismatischen Zeugnisse werden gründlich und detailreich analysiert, die aktuelle Forschung umfänglich ausgewertet. Röders Deutungen sind anregend und an vielen Stellen auch plausibel. Dennoch kann die Arbeit in den Augen des Rezensenten nicht recht überzeugen. Zum einen sind die Ergebnisse eher gering, nur an wenigen Stellen kommt Röder über den bisherigen Forschungsstand hinaus; so sind die Ablehnung eines 'Toleranzediktes' für Christen oder eines einmaligen Militärediktes längst communis opinio. Zum anderen ist der grundsätzliche Ansatz, den Regierungsstil des Gallienus zu bewerten, auf den ersten Blick zwar interessant, kann aber letztlich mit dem zu starren Schema von Programmatik einerseits und situativem, teilweise gestaltenden Reagieren andererseits kaum umgesetzt werden. So fehlen zumeist konkrete Informationen zu den Hintergründen der Maßnahmen, um eine Programmatik ausschließen zu können. Sodann entsteht durch Röders genereller Wertung des kaiserlichen Agierens das meines Erachtens falsche Bild eines Kaisers, der sich in einer krisenhaften Zeit ohne neue Ideen irgendwie 'durchwurschtelte'. Dabei werden die besonderen politischen Leistungen des Valerian und des Gallienus völlig verkannt. Anders als die Soldatenkaiser zuvor zogen Valerian und mehr noch Gallienus aus der Analyse der strukturellen Krise ihre Schlüsse und reformierten schrittweise die Institutionen mit gezielten Maßnahmen (die Reichsteilung von 253 und die Einsetzung des Odaenathus zum Kaiserstellvertreter im Orient wären hier noch zu ergänzen). Zweifellos waren viele Punkte ihrer Reformen nicht völlig neu - schon die Severer haben die Ritter gefördert und drei Legionspräfekten eingesetzt -, unter den Soldatenkaiser reformierten das Reich mit dieser Konsequenz und Weitsicht aber zuerst Valerian und Gallienus, um so die militärische und strukturelle Krise zu überwinden.
Außerdem haben bisherige Untersuchungen zum Regierungsstil der Kaiser von Millar oder Schmidt-Hofner immer und insbesondere die Gesetzgebung der Kaiser in den Blick genommen, die kaiserliche Gesetzgebung spielt jedoch bei Röder keine Rolle (von Valerian und Gallienus sind im Codex Iustinianus immerhin 89 Reskripte erhalten). Noch ein vierter Kritikpunkt ist zu nennen: Röder verzichtet vollkommen auf eine Rekonstruktion der Ereignisgeschichte, es gibt nicht einmal einen knappen Überblick zur Periode. Nur der in der Forschung umstrittenen Reise Valerians nach Rom 256/57 widmet sie einen Appendix (387-392), lässt die Frage letztlich aber offen. Nun sind aber in der Forschung auch zahlreiche andere Ereignisse der Periode hochumstritten, so dass es hilfreich gewesen wäre zu wissen, welche Rekonstruktion Röders Deutungen jeweils zugrunde liegt. Leider gewinnt man den Eindruck, dass die Autorin sich selbst keine sichere Grundlage einer Ereignisabfolge geschaffen hat: Immer wieder gibt es Unsicherheiten (so zur Datierung der Usurpation des Ingenuus oder des Augsburger Siegesaltars) und Widersprüche: An einer Stelle überfallen die "Skythen" 254 Thessalonike (247), an einer anderen Stelle sind es die Heruler (279), dann korrekt die Goten (284) und schließlich wird der Einfall der Ostgermanen 254 tendenziell sogar ganz in das Jahr 262 verlegt (281-286) und somit die Historizität eines Gotenangriffs auf Thessalonike 254 entgegen der eindeutigen Quellenaussagen bestritten. [4] Schließlich gibt es bei Röder leider auch einige grobe inhaltliche Fehler. [5]
Röder legt insgesamt eine interessante und an vielen Stellen anregende Untersuchung zum Regierungsstil des Gallienus vor, die zwar in der generellen Wertung und auch in vielen Details den Rezensenten nicht recht überzeugen konnte, die aber dennoch einen wichtigen Beitrag zur anhaltenden Diskussion über den Charakter der Epoche der Soldatenkaiser darstellt.
Anmerkungen:
[1] Michael Geiger: Gallienus, Frankfurt am Main 2013; Toni Glas: Valerian, Paderborn 2014; vgl. auch Omar Coloru: L'imperatore prigioniero: Valeriano, la Persia e la disfatta di Edessa, Bari 2017. Eher populärwissenschaftlich ist Ilkka Syvänne: The reign of Emperor Gallienus, Barnsley 2019.
[2] Andreas Goltz / Udo Hartmann: Valerianus und Gallienus, in: Die Zeit der Soldatenkaiser, hg. von Klaus-Peter Johne, Berlin 2008, 223-295, hier 282 (mit Literatur).
[3] Die von Röder (230) unterstellte Usurpation des ägyptischen Präfekten Aemilianus ist unhistorisch, Münzen aus Alexandria liegen nicht vor.
[4] Zos. 1, 29, 2-3; Synk. 466, 1-7; Zon. 12, 23 (593, 3-10).
[5] Der Vizepräfekt (und seit 259 Präfekt) von Ägypten L. Mussius Aemilianus wird als "Prokonsul" bezeichnet (167f.), ebenso ein anderer Aemilianus (203), 259 legatus Augusti pro praetore in Hispania citerior. Der "Anonymus post Dionem und dessen continuator" (266) werden für zwei Quellenzusammenstellungen gehalten. Die Inschrift Valerians aus Baetocaeca (CIL III 184) wird als "IGLS 7, 4028" (268) zitiert, das Abkürzungsverzeichnis (361) verweist dann aber irrtümlich auf Waddingtons 'Inscriptions grecques et latines de la Syrie' von 1870 (in dieser Edition wäre es Nr. 2720 a). Gemeint ist hier aber der Band 7 der 'Inscriptions grecques et latines de la Syrie' von J.-P. Rey-Coquais (1970) mit den Inschriften von 'Arados et régions voisines'; beide Bände sind offenkundig gar nicht konsultiert worden.
Udo Hartmann