Rezension über:

Piotr Guzowski / Cezary Kuklo (eds.): Framing the Polish Family in the Past. Translated by Teresa Czogała-Koczy and Joanna Czogała-Kiełboń, London / New York: Routledge 2022, XII + 336 S., ISBN 978-0-367-67323-9, GBP 120,00
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Rezension von:
Heidi Hein-Kircher
Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek, Herne / Ruhr-Universität, Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Heidi Hein-Kircher: Rezension von: Piotr Guzowski / Cezary Kuklo (eds.): Framing the Polish Family in the Past. Translated by Teresa Czogała-Koczy and Joanna Czogała-Kiełboń, London / New York: Routledge 2022, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/04/40062.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Piotr Guzowski / Cezary Kuklo (eds.): Framing the Polish Family in the Past

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Familiengeschichte ist seit einigen Jahren zu einer wichtigen Forschungsperspektive geworden und steht in einem engen thematischen Zusammenhang mit der Gender-Geschichte - so auch in der polnischen Historiografie. Die Familie als kleinste soziale Gruppe bietet sich dafür an, auf der Mikroebene exemplarisch Prozesse und Gestalt der Makroebene "Gesellschaft" zu untersuchen. Hierdurch können nicht nur soziale Entwicklungen, sondern etwa auch Veränderungen von Normen und Werten nachvollzogen werden. Bisherige Synthesen zur europäischen Familien- und Geschlechtergeschichte behandeln die Entwicklungen in Ostmitteleuropa in der Regel kaum, sodass epochenübergreifende Darstellungen für die Region sowie auch Überblickswerke zu den verschiedenen sozialen Gruppen ein wichtiges Desiderat historischer Forschung sind.

Der zu besprechende Band bietet eine Synthese der Entwicklung polnischer Familienstrukturen vom Spätmittelalter bis 1945 in den jeweils historisch zu Polen bzw. Polen-Litauen gehörenden Gebieten, wobei die Autor:innen jeweils ihren Fokus auf Zentralpolen legen. Der gewählte demografiehistorische und soziologische Ansatz ermöglicht es, für die verschiedenen Regionen exemplarisch zentrale Entwicklungen nachzuvollziehen. Die Kapitel zu den einzelnen sozialen Schichten beruhen auf der eingangs dargelegten Prämisse der Herausgeber Piotr Guzowski und Cezary Kuklo, dass gerade demografische Daten eine Grundlage für das Verständnis der Institutionen Ehe und Familie sowie für ihre Stabilität und Dauer legen. Ohne sie bliebe die Charakterisierung dieser kleinsten Einheit der Gesellschaft unvollständig.

Der Band setzt sich zum Ziel, die jeweiligen Familienstrukturen in epochaler und sozialer Differenzierung zu beschreiben. Hierfür haben die Herausgeber eine klare zeitliche Struktur - die Zeit der polnisch-litauischen Union vom späten Mittelalter bis zu den Teilungen Polens sowie die Zeit nach den Teilungen bis zum Zweiten Weltkrieg - gewählt und diese beiden Sektionen in paralleler Weise untergliedert: Nach einer Einführung in die jeweiligen Rechtsverhältnisse, die für die Zeit der Union auch den Einfluss der Religion berücksichtigt, werden die Familienverhältnisse der wesentlichen sozialen Schichten in den jeweiligen Epochen behandelt. Die einzelnen Kapitel stellen die Familienstrukturen von Bauern, städtischer Bevölkerung, landbesitzendem Adel (in der ersten Sektion unterteilt nach Kleinadel und Magnaten) und nicht zuletzt der jüdischen Bevölkerung dar. Die übrigen ethnischen Gruppen werden kursorisch in den Kapiteln zu den jeweiligen Schichten behandelt. Die Kapitel folgen klar formulierten Leitfragen und behandeln, von den Besonderheiten jeder sozialen Gruppe ausgehend, Lebensbedingungen und Umfeld der Familien sowie Familienkonzepte, Heiratspolitik und Ehen, Zeitpunkte von Eheschließungen, Kinderzahl und auch ältere Generationen. Umfangreiche Tabellen sowie Abbildungen veranschaulichen die Darstellung. Zusätzlich zusammengehalten werden die Kapitel durch eine gemeinsame Auswahlbibliografie, die jedoch kaum Quellenwerke umfasst.

Wie für eine historische Synthese üblich, ziehen die Beiträge kaum neu erschlossene Quellen heran, sondern fassen entsprechende Studien zu einzelnen Städten bzw. Regionen zusammen. Zu bedauern ist, dass die Kapitel durchweg wenig analytisch-interpretativ verfasst worden sind, sondern vor allem Daten präsentieren, sodass es den Forschenden überlassen bleibt, Schlussfolgerungen aus den mikrohistorischen Beiträgen zu ziehen. Insgesamt wird deutlich, wie wichtig es für zukünftige gesellschaftshistorische Forschungen sein wird, mikroanalytische Perspektiven einzubeziehen, um Entwicklungen noch genauer herausarbeiten zu können. Die einzelnen Kapitel zeigen, wie sehr sich die Familienverhältnisse unter den jeweiligen staatlich-rechtlichen und sozialen Bedingungen wandelten und an diese anpassten, zum Beispiel im 19. Jahrhundert, als aufgrund verbesserter Hygiene die Kindersterblichkeit und zeitverzögert auch die Fertilitätsrate sanken.

Framing the Polish Family löst das im Titel angelegte Versprechen nur insofern ein, als dass sozialhistorische Vergleiche zwischen den Teilungsgebieten in einer eher deskriptiven Form gezogen werden, ohne dass die Verfasser:innen, die jeweils für den von ihnen bearbeiteten Bereich ausgewiesene Sozialhistoriker:innen bzw. Demograf:innen sind, ihre eigenen Schlussfolgerungen argumentativ darlegen. Da gerade dies weiteren Forschungen überlassen bleibt, wird der Band mit seinem Handbuchcharakter zukünftig eine höchst solide verfasste Grundlage mit dem bislang erarbeiteten Zahlenmaterial darstellen.

Heidi Hein-Kircher