Rezension über:

Elizabeth N. Saunders: The Insiders' Game. How Elites Make War and Peace (= Princeton Studies in International History and Politics), Princeton / Oxford: Princeton University Press 2024, XIV + 329 S., ISBN 978-0-691-21580-8, USD 29,95
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Rezension von:
Wilfried von Bredow
Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Wilfried von Bredow: Rezension von: Elizabeth N. Saunders: The Insiders' Game. How Elites Make War and Peace, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/05/40058.html


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Elizabeth N. Saunders: The Insiders' Game

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Auch in demokratischen Staaten werden Entscheidungen von Regierungen über Krieg und Frieden nicht in erster Linie vom Volk, das heißt: von den Wählern getroffen. Stärker ins Gewicht fällt vielmehr der Einfluss von Insider-Eliten auf die Staatsführung. So lautet die alles in allem nicht besonders überraschende Ausgangsthese des Buchs von Elizabeth N. Saunders, die an der New Yorker Columbia-Universität Politikwissenschaft lehrt. Ihr neuestes Buch schließt an ihre viel gepriesene Studie über die Einstellungen und Motive amerikanischer Präsidenten (Dwight D. Eisenhower, John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson) in internationalen Konfliktsituationen an, in denen es um die Entscheidung für oder gegen eine militärische Intervention geht. [1]

Im Mittelpunkt der Analyse stehen nicht die Präsidenten selbst, sondern Insider-Gruppen mit privilegiertem Zugang zu wichtigen Informationen, mit institutionellem oder personellem Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess und zugleich auf die Wahrnehmungsmuster der Öffentlichkeit oder anderer Eliten. Saunders unterscheidet drei solcher Gruppen mit beträchtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die politische Spitze: Kongressabgeordnete, militärisches Führungspersonal und hochrangige Vertreter in Kabinett und Verwaltung. Konsens oder Dissens in und zwischen diesen verschiedenen Insider-Gruppen bei Fragen von Krieg und Frieden bekräftigen, verzögern, erleichtern oder komplizieren die Entscheidung des Präsidenten, in einer bestimmten Konfliktsituation den militärischen Druck auf andere Länder zu erhöhen, militärisch einzugreifen, zu eskalieren oder umgekehrt den Einsatz von Streitkräften zu verringern oder zu beenden. Daher der Buchtitel: "The Insiders' Game".

Diese Insider bilden sozusagen ein besonders Biotop für präsidentielle Entscheidungen über Kriegseintritt, Kriegsintensität und Kriegsbeendigung. Sie konfrontieren den Präsidenten mit anderen Forderungen als das Wahlvolk insgesamt. Wobei die Autorin mehrfach betont (und das unterscheidet sie von den eher auf der Linken beheimateten Demokratie-Kritikern), dass der maßgeblich auf Insider-Gruppen basierende Entscheidungsprozess nicht automatisch als Zeichen von Schwäche oder gar "Perversion" (13) der Demokratie anzusehen sei. Allerdings hebt auch sie hervor, dass für die Personen und Institutionen mit besonderem Einfluss auf den Präsidenten wirkungsvolle Mechanismen existieren müssen, um ihre Beteiligung an präsidentiellen Entscheidungen und ihre Mitverantwortung transparent zu machen.

Das ist in Saunders Perspektive auch deshalb so wichtig, weil das Insider-Modell der Krieg/Frieden-Entscheidung zwei idealtypische Verzerrungen produziert, die sie "dove's curse" und "hawk's misadventure" (11) nennt. Im ersten Fall wird ein im Grunde interventionsfeindlicher Präsident (symbolisch die Taube) zu einer Politik mit mehr militärischen Mitteln gedrängt, als ihm lieb ist, weil er die Unterstützung der eher kriegsfreundlichen Insider-Fraktion benötigt. Und im zweiten Fall bekommt ein interventionsfreundlicher Präsident (der Falke) zu wenig argumentativen Gegenwind, um seine Interventionsentscheidung genauer zu überdenken. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Entscheidung auf falschen Prämissen beruht und sich als Misserfolg erweist.

Das klingt bis hierher alles ziemlich abstrakt. Die besondere Qualität der Analyse ergibt sich im empirisch-zeithistorischen Hauptteil des Buchs, in dem der zuvor konstruierte theoretische Rahmen seine Schlüssigkeit zu erweisen hat. Die Darstellung konzentriert sich auf die amerikanische Sicherheitspolitik nach 1945 und die Entscheidungsprobleme von US-Präsidenten im Fall von krisenhaften Zuspitzungen. Zunächst geht es um den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Korea-Krieg, der von der amerikanischen Öffentlichkeit anfangs wenig Beachtung erhielt. Anders die Insider, vor allem die Falken darunter, die nach dem "loss of China" 1949 auf ein militärisches Eingreifen drängten. Der demokratische Präsident Truman, nicht eigentlich eine Taube, geriet so in die Zwangslage, republikanische Politiker wie John Foster Dulles in seine Politik einbinden zu müssen. Das kostete ihn viele Konzessionen, "trapping him in a dove's curse" (153). Ein Stück weit befreite er sich daraus, indem er General Douglas MacArthur feuerte. Eine der Konzessionen Trumans an die Falken im Kongress bestand übrigens in der Zusicherung starker und bis heute (aber wie lange noch?) anhaltender Unterstützung Taiwans.

Mit seinen nicht ohne Druck von Kongress und Militärführung zustande gekommenen Entscheidungen zur Eskalation des Vietnam-Einsatzes amerikanischer Streitkräfte geriet auch Lyndon B. Johnson in die Falle des "dove's curse". Ihm lag vor allem an der Durchsetzung seines innenpolitischen Programms der "Great Society", und dazu musste er auch prominente Falken aus den Reihen der Südstaaten-Demokraten und Republikaner für seine Kriegspolitik kooptieren, allen voran den sehr ehrgeizigen Henry Cabot Lodge, der als amerikanischer Botschafter in Saigon großen Einfluss auf die Eskalationsdynamik des Vietnam-Kriegs ausübte.

Es folgen zwei weitere Kapitel, in denen es um Beispiele für verfehlte Falkenpolitik geht, erstens im Fall der amerikanische Libanon-Intervention 1982/83 von Präsident Reagan, und das folgende über das militärische Eingreifen der Bush-Administration 2003 im Irak (ein besonders schmerzliches Beispiel verfehlter Kriegspolitik) sowie über den Afghanistan-Krieg, an dem nacheinander zwei demokratische und zwei republikanische Präsidenten scheiterten. In allen Fällen untersucht Saunders die Einflüsse der politischen Insider auf die Entscheidungen im Oval Office. Jedes Mal bestätigt sich die Annahme, dass diese Gruppen und nicht die öffentliche Meinung das präsidentielle Entscheidungsverhalten nachhaltig prägten.

Die einzelnen Kapitel beruhen auf sorgfältigen Auswertungen der relevanten Fachliteratur. Die Präsentation der wichtigsten Erkenntnisse wird durch eine Vielzahl von tabellen- und matrixähnlichen Übersichten aufgelockert. Eine einfache Lektüre ist das Buch nicht gerade, aber es bietet eine vertiefte Einsicht in die Schwierigkeiten eines demokratisch verfassten politischen Systems, mit Entscheidungen über Krieg und Frieden zurecht zu kommen.


Anmerkung:

[1] Elizabeth N. Saunders: Leaders at War. How Presidents Shape Military Interventions, New York 2014.

Wilfried von Bredow