Brian Porter: When Nationalism Began to Hate - Imagining Modern Politics in Nineteenth-Century Poland, Oxford: Oxford University Press 2000, 318 S., ISBN 978-0-19-513146-8, GBP 40,00
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Polens Weg von der Adelsnation zur modernen, alle Gesellschaftsschichten umfassenden Nation ist ein langwieriger Prozess, der die Polen das ganze lange 19. Jahrhundert begleitet und geprägt hat. Es steht außer Frage, dass die nationale Frage in allen Bereichen der polnischen Geschichte seit der Teilung des Staates eine herausragende Rolle spielte und die geistesgeschichtliche Entwicklung Polens sowie die gesellschaftliche Modernisierung in ganz wesentlichem Maße bestimmte. Wie sich das nationalistische Gedankengut seit den 1830er-Jahren bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der polnischen Geistesgeschichte entwickelte, welche Prägungen es auf dem Weg von einer Befreiungs- und Selbstbestimmungsideologie zu einem radikalen, auf Ausgrenzung aller "Nicht-Polen" bedachten Nationalismus nahm, ist die Frage, der Brian Porter in seiner eloquenten Studie über Modernität und Nationalismus nachgeht. Der Verfasser rückt hierbei die "darker side" der nationaldemokratischen Bewegung (Endecja) in den Mittelpunkt seines Interesses. Die Nationaldemokratie, in den 1890er-Jahren gegründet, vermittelte eine neue Form des polnischen Nationalismus, die Antisemitismus mit Chauvinismus und Autoritarismus verband. Damit stand sie in einem deutlichen Gegensatz zu den Forderungen, die im Völkerfrühling von intellektuellen Kreisen vertreten wurden. Porter untersucht ausführlich anhand der Publikationen diverser polnischer Vordenker, wie es möglich wurde, im Rahmen des zunächst liberalen und toleranten polnischen nationalen Gedankens einen derart aggressiven und exklusiven Nationalismus zu verankern, wie ihn die Endecja artikulierte.
In der Epoche der Romantik wurde unter der Nation mehr ein Ziel denn eine Gemeinschaft verstanden. Vor allem besaß der romantische Nationsbegriff noch keinerlei ethnografischen Impetus: Nation war eher die Beschreibung eines Ideals. Alsbald verband sich diese romantische Vorstellung, wie sie etwa von Maurycy Mochnacki vor dem Novemberaufstand vertreten wurde, mit der Forderung nach der großen heroischen Tat. Für Karol Libelt etwa konnte die Nation nur durch die "Aktion" tatsächlich verwirklicht werden. Nur die Tat zur Verteidigung ihrer Existenz ließ ihm ein Volk ohne Staat zur Nation werden. Zugleich verband sich damit bei Libelt oder Juliusz Slowacki die Vorstellung, dass die Nation mehr als nur ein Staat zu sein hatte. Sie sollte eine Rettungsmission für die gesamte Menschheit darstellen. Polen als Christus der Nationen wurde schließlich zur Metapher des messianistischen Sendungsbewusstseins, das Adam Mickiewicz am deutlichsten postulierte. Mit der Forderung nach der eigenen Nation konnten so universelle Ziele wie Wahrheit, Gerechtigkeit oder Brüderlichkeit verfolgt werden.
Während sich die Konservativen nach 1830 mit der Idee der Nation schwer taten bzw. sie in ein Gedankengebäude zur Festschreibung des sozialen Status quo ante einbauten (Henryk Rzewulski, Zygmunt Krasinski), wurde den Linken die Nation zur revolutionären Tat, die mit der Forderung nach Demokratie und sozialer Emanzipation einher schritt. Die revolutionäre Tat fand ihren Ausdruck und ihr Scheitern schließlich im Januaraufstand von 1863. Die nachfolgende Periode verlangte nach einer Neudefinition des Begriffs der Nation, die im Zeichen des europaweit aufkommenden Liberalismus stehen sollte. "Die Nation-als-öffentlicher-Akteur [...] wurde zur Nation-als-soziales-Gemeinwesen" ( 44). Das "neue Polen" sollte sich durch Wissenschaftlichkeit, Industrialisierung, Wirtschaftsbelebung und Bildung vom "alten Polen" unterscheiden. Die Warschauer Positivisten, die auf der Grundlage liberaler Gedanken die Idee von der organischen Arbeit entwickelten, gelangten im Gegensatz zu den Idealvorstellungen der Mickiewicz-Generation zu einer realistischeren Einschätzung der nationalen Gemeinschaft, definierten damit aber auch die ethnolinguistischen und kulturellen Unterschiede der polnischen Gesellschaft. Polnischer Patriotismus blieb aber auch in dieser Zeit mit dem revolutionären Anspruch sozialer Emanzipation und internationaler Harmonie verbunden. Erst in den 1880er-Jahren begann das Vertrauen in die Dynamik des Fortschritts zu wanken. Hier sieht der Verfasser den Punkt gekommen, an dem der polnische Nationalismus zu einer hasserfüllten, auf Ab- und Ausgrenzung ausgerichteten Ideologie wird. Unter dem Eindruck der Werke von Herbert Spencer und Charles Darwin gelangte vor allem der Kreis um die Warschauer Zeitschrift "Glos" (Die Stimme) zu der Überzeugung, dass es keine transzendenten Ziele anzusteuern gelte, sondern die Lösung der bestehenden sozialen und nationalen Probleme hier und jetzt erfolgen müsse.
Anschaulich beschreibt der Verfasser, wie sich gerade an der Mobilisierung des Volkes (lud) die Anschauungen der zunächst auf gemeinsamem Boden stehenden Sozialisten und Nationaldemokraten zu trennen begannen. Während die Sozialisten die soziale Frage auf revolutionärem Wege zu lösen gedachten und davon überzeugt waren, dass sich Nationalitätenkonflikte und kulturelle Verschiedenheiten im Laufe der Zeit von selbst erledigen würden - wenn nicht durch die Revolution, dann zumindest durch den stetigen Fortschritt -, sahen die Nationaldemokraten "das Volk" zur Unterordnung unter die nationale Sache verpflichtet und in der Nationalitätenauseinandersetzung ein natürliches, stets vorhandenes und nicht lösbares Problem. Im Rahmen ihrer Anschauung konnte kulturelle Einheit sich nicht von allein entwickeln, sondern musste hergestellt werden. Kulturelle Feinde galt es daher zu eliminieren, weil der Konflikt weder von der Zeit noch durch die Verbreitung humanitärer Ideale zu lösen sei (234). Damit kehrten die Nationaldemokraten zugleich zu den Vorstellungen von der Notwendigkeit der Aktion für die Nation zurück. Überzeugend legt Porter aber dar, dass der polnische Nationalismus nicht deshalb gewaltsamer wurde, weil er zu einer Massenbewegung anschwoll oder populistische Vorstellungen aufnahm. Die Hassrhetorik existierte bereits lange bevor die Endecja zu einer breiteren Bewegung in der polnischen Gesellschaft anwuchs.
Sabine Grabowski