Peter Haslinger / Heidi Hein-Kircher / Rudolf Jaworski (Hgg.): Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung; 32), Marburg: Herder-Institut 2013, VIII + 280 S., ISBN 978-3-87969-369-6, EUR 39,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die Entstehung einer nationalen Vereinskultur in den multiethnischen Gebieten Ostmitteleuropas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in den vergangenen Jahren verschiedentlich zum Thema wissenschaftlicher Betrachtung geworden. Einem bislang weitgehend unbeachteten Aspekt der Vereinsaktivitäten hat das Herder-Institut eine Tagung zur Ostmitteleuropaforschung gewidmet und die Ergebnisse nun in einem umfangreichen, differenzierten Tagungsband vorgelegt: der Entstehung und Betreibung sogenannter "nationaler" Häuser in verschiedenen Städten des östlichen Europa. Nationale Häuser, gegründet von örtlichen Vereinen, um der eigenen Klientel lokale Versammlungs- und Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, Bildungsangebote zu offerieren und wirtschaftliche Vernetzung zu ermöglichen, entstanden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst in den größeren Städten der gemischtnationalen Gebiete. Sie dienten der Identitätsbildung und Selbstvergewisserung, zugleich aber auch der bewussten Abgrenzung von konkurrierenden anderen Teilöffentlichkeiten. Hierbei setzten sich zumeist eher die nationalen Minderheiten für die Errichtung repräsentativer Bauten ein, während sich für die Mehrheit das Problem mangelnder Darstellungsmöglichkeiten zunächst nicht stellte. Oftmals zog der Bau eines Hauses allerdings auch alsbald einen analogen "Gegenbau" der jeweils anderen Nationalität(en) nach sich. So lassen sich beispielsweise für Czernowitz bis zu fünf "nationale" Vereinshäuser nachweisen (Mariana Hausleitner), zu deren Inspiratoren die jeweiligen örtlichen Eliten zählten.
Die Ausstattungen der Häuser ähnelten sich - es gab Säle für Feste und Theateraufführungen, Salons, Sitzungszimmer, Bibliotheken mit Leseräumen, Turnräume und gastronomische Einrichtungen. Die Multifunktionalität der Einrichtungen stand im Vordergrund und - nicht zuletzt - die Geselligkeit. Dennoch lässt sich kein einheitlicher architektonischer Typus der Vereinshäuser erkennen. Repräsentativ sollten sie sein, dem Zeitgeschmack entsprechend, und schließlich mussten sie finanzierbar bleiben. Auch hier lassen sich über die geografischen Grenzen hinweg Parallelen erkennen: Vertreter der eigenen Volksgruppe in den Magistraten waren durchaus eine Gewähr für das Gelingen eines Bauprojektes, mangelnde Präsenz konnte das Ansinnen auf die lange Bank schieben.
Während Konkurrenz so die Bau- und Gründungstätigkeit befeuerte, konnte die erfolgreiche Nutzung der Gesellschaftshäuser das Konfliktpotenzial zwischen den Ethnien gleichermaßen verstärken. Als Manifestation der eigenen Präsenz beschreibt etwa Monika Pemič die Gründung des slowenischen Narodni dom in Triest, der sich mit seinen zahlreichen Aktivitäten zu einer "Stadt in der Stadt" (182) entwickelte und damit ein Gefühl der Bedrohung in der italienischen Öffentlichkeit auslöste, was letztlich zur "rituellen Zerstörung" des Hauses durch Brandstiftung führte. Für die Popularisierung des nation building im zentraleuropäischen Raum hatten die nationalen Häuser eine zentrale Funktion als Kristallisationspunkte nationalgesellschaftlicher Aktivitäten, auch wenn gesellige (Jörg Hackmann für den estnischen Raum) oder gastronomische Absichten zunächst im Vordergrund standen. So liest sich etwa die Gästeliste des 1841 eröffneten Hotel Bazar in Posen (Witold Molik) wie ein Who's who der polnischen Nationalbewegung.
Michaela Marek formuliert in einem abschließenden Beitrag weitergehende Forschungsdesiderate zu einer kritischen Betrachtung sowohl nationaler Artikulation in der Architektur als auch ihrer Nutzung im gesellschaftlichen Leben. Einerseits stand die Betonung nationaler Besonderheit im Fokus, andererseits sollte mindestens soziale Gleichwertigkeit zum Ausdruck gebracht werden: "das Ziel war Akzeptanz als ebenbürtige Gesellschaft, nicht primär als differente Nationalität" (279).
Die Zielsetzung der Herausgeber, eine Bestandsaufnahme der nationalen Häuser für den ostmitteleuropäischen Raum zu bieten, hier erweitert um einen interessanten Ausblick auf die dänischen Versammlungshäuser in Nordschleswig (Jan Schlürmann), muss verständlicherweise unvollendet bleiben. Der Leser ahnt, dass das Spektrum zwischen Triest und Tallinn noch erheblich mehr zu bieten hat. Gleichwohl bietet der Band eine erste interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema, das an der Schnittstelle von Sozial- und Kulturgeschichte sowie Kunst- und Architekturgeschichte steht.
Sabine Grabowski