Liliya Berezhnaya / Heidi Hein-Kircher (Hgg.): Rampart Nations. Bulwark Myths of East European Multiconfessional Societies in the Age of Nationalism (= New Perspectives on Central and Eastern European Studies; Vol. 1), New York / Oxford: Berghahn Books 2019, viii + 406 S., ISBN 978-1-78920-147-5, GBP 99,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Jūratė Kiaupienė: Between Rome and Byzantium. The Golden Age of the Grand Duchy of Lithuanias Political Culture. Second half of the fifteenth century to first half of the seventeenth century, Boston: Academic Studies Press 2019
Heidi Hein-Kircher: Lembergs "polnischen Charakter" sichern. Kommunalpolitik in einer multiethnischen Stadt der Habsburgermonarchie zwischen 1861/62 und 1914, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020
Peter Haslinger / Heidi Hein-Kircher / Rudolf Jaworski (Hgg.): Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich, Marburg: Herder-Institut 2013
Martin Zückert / Heidi Hein-Kircher (Hgg.): Migration and Landscape Transformation. Changes in Central and Eastern Europe in the 19th and 20th Century, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016
Der Titel dieses Bandes ist einigermaßen sperrig. Der Leser muss ihn sich eingehend zu Gemüte führen und sollte wohl auch noch das Inhaltsverzeichnis anschauen, bevor er eine Vorstellung davon bekommt, worum es hier geht und nicht geht. Bollwerk-Mythen sind in letzter Zeit in der Historiografie verstärkt in Mode gekommen, und einige der Autoren, die dazu beigetragen haben, sind auch in diesem Sammelband vertreten. Da ergibt es durchaus Sinn, wenn man die behandelten Fälle zeitlich und örtlich eingrenzt, wie es hier geschehen ist. Die Beschränkung auf Mittel- und Osteuropa ist dabei weniger eine Überraschung als die auf das "Zeitalter des Nationalismus", also das 19. und 20. Jahrhundert, denn die bekanntesten Bollwerk-Mythen stammen aus der Frühen Neuzeit, in der zahlreiche Gesellschaften sich als antemurale der Christenheit gegen den Islam und gegen (vor allem östliche) Barbarei betrachteten. Diesem Umstand wird auch hier Rechnung getragen, indem das 1. Kapitel von Kerstin Weiand sich mit den Ursprüngen der antemurale-Mythen in Mittelalter und Früher Neuzeit beschäftigt und für Interessierte auf weitere Literatur verweist. Ansonsten aber erfährt man in den hier versammelten Beiträgen einiges über moderne Bollwerk-Vorstellungen, die bisher weniger bekannt waren.
Einen gewissen Schwerpunkt bildet dabei die Ukraine, an der sich exemplarisch das Phänomen nachweisen lässt, dass Gesellschaften, die sich selbst für Bollwerke der Zivilisation halten, von anderen Gesellschaften gerade als die Verkörperung der Barbarei angesehen werden, gegen die man selbst das Bollwerk bildet. So galt die Ukraine, wie Volodymyr Kravchenko erläutert, im Russland des 19. Jahrhundert als "Kleinrussland", das in der Vergangenheit von den wilden Kosaken geprägt gewesen sei und das es nun zu zivilisieren gelte, durch Russland, versteht sich. Die Ukrainer hingegen verwiesen auf die Kiewer Rus als Ursprung der ostslawischen Zivilisation und auf die Kosaken als Schutzschild der Orthodoxie gegen die Bedrohung durch katholische Polen sowie islamische Türken und Tataren. Philipp Hofeneder zeigt dies anhand von Geschichtslehrbüchern aus dem habsburgischen Galizien. Dort wurde in polnischsprachigen Schulbüchern die Bedeutung Polens als antemurale der Christenheit hervorgehoben, bei der Übertragung dieser Bücher ins Ukrainische dann aber diese Rolle subtil auf die Ukraine verschoben.
Interessanterweise werden in gleich zwei Aufsätzen Klöster als Medium der Bollwerkbildung behandelt. Kerstin S. Jobst befasst sich mit den russischen Bemühungen im 19. Jahrhundert, auf der Halbinsel Krim die Präsenz des Islams zurückzudrängen und sie zu einer Bastion von Russentum und Orthodoxie zu machen. Das geschah insbesondere nach dem Krimkrieg, als viele Krimtataren zur Auswanderung ins Osmanische Reich veranlasst wurden und man von russischer Seite bestrebt war, auf der Halbinsel verstärkt orthodoxe Kirchen und Klöster zu errichten oder wiederherzustellen. Mit den Bemühungen, die Krim in einen "russischen Athos" zu verwandeln, beschäftigt sich auch die Mitherausgeberin Liliya Berezhnaya in einem Artikel, der explizit die Rolle von Klöstern als nationale und religiöse Leuchttürme in osteuropäischen Grenzregionen behandelt. Im Zentrum steht hier das Kloster Pochaiv Lavra in Wolhynien, das die russische Staatsmacht 1833 den unierten Ukrainern abgenommen hatte und anschließend zu einem orthodoxen Bollwerk an der Grenze zu Galizien ausbaute. Die Publikationen, die dort erschienen, wandten sich gegen die Unierten, gegen polnische Katholiken und auch gegen die Juden der Region. Als das Kloster in der Zwischenkriegszeit wieder auf polnischem Territorium lag, galt es zwar weiterhin als Bastion der Orthodoxie, nun aber auch als Bastion des Ukrainertums. Letztere Rolle wurde ihm jedoch vom unierten Zhovkva-Kloster streitig gemacht. Heidi Hein-Kircher wiederum zeigt anhand von polnischen Reiseführern, wie schon vor dem Ersten Weltkrieg die benachbarte Großstadt Lemberg von polnischer Seite zu einem Bollwerk westlicher Kultur gegen östliche Barbarei stilisiert wurde, der auch die Ukrainer zugerechnet wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg avancierte Lemberg dann zu einem Bollwerk der Demokratie gegen den russischen Bolschewismus.
Dass die Bollwerk-Vorstellungen im 20. Jahrhundert zunehmend säkularisiert wurden, ist auch anderen Beiträgen in diesem Band zu entnehmen. Paul Srodecki befasst sich mit der Rhetorik der christlichen Rechten in Polen und Ungarn während der Zwischenkriegszeit, die ihre Länder ebenfalls als Bollwerke gegen den Kommunismus ansahen und deshalb auf Hilfe aus dem demokratischen Westen hofften. In Polen allerdings sah man sich zusätzlich als Bollwerk nach Westen gegen das barbarische Deutschland und in Ungarn auch nach Norden und Süden als Bollwerk gegen den Panslawismus. Erneut auf die Sowjetunion bezieht sich aber der einzige Aufsatz zu einem Phänomen nach dem Zweiten Weltkrieg. Zaur Gasimov erzählt davon, wie sich in der Türkei Angehörige von Turkvölkern aus der Sowjetunion sammelten und ihren Exilort als den Staat feierten, der zum Ausgangspunkt für die Freiheit und Einheit aller Turkvölker werden sollte. Der Autor weist darauf hin, dass in diesem Denken Religion kaum noch eine Rolle spielte, sodass hier wohl die Grenzen des im Titel formulierten Themas erreicht sind. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Beitrag von Steven Seegel, der sich mit Geografen aus Osteuropa befasst, die während und nach dem Ersten Weltkrieg die Bollwerk-Mythen ihrer Nationen in Landkarten umsetzten, um auf diese Weise deren Gebietsansprüche zu stützen.
Pål Kolstø fasst schließlich die Bedeutung der antemurale-Mythen noch einmal zusammen. Die Vorstellung, an der Grenze einer Gesellschaft zu leben, die den Gesellschaften auf der anderen Seite überlegen ist, dient vor allem kleineren Gruppen dazu, ihre Zugehörigkeit zu bestimmten größeren Gruppen zu festigen und sich von anderen zu distanzieren. Das zeigt sich heute besonders deutlich in vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wie der Ukraine und Georgien, die sich als dem Westen zugehörig definieren und sich damit von Russland absetzen. Die Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche verliert dabei deutlich an Bindekraft.
Dem Rezensenten hätte es gefallen, wenn in dem Band auch auf die in Deutschland in der fraglichen Zeit verbreitete Vorstellung eingegangen worden wäre, wonach bereits der deutsche Osten ein Bollwerk gegen slawische bzw. asiatische Barbarei bildete. Auch eine Bezugnahme auf den kroatischen Fall, der im Internet (Suche nach "antemurale" bei Google sowie deutsche und englische Version des Wikipedia-Eintrags "Antemurale Christianitatis") am häufigsten im Zusammenhang mit der antemurale-Thematik genannt wird (wenn auch in Bezug auf die frühe Neuzeit), wäre sicherlich erhellend gewesen. Doch auch in der vorliegenden Form trägt der Sammelband eine Menge dazu bei, die verschiedenen Bollwerksvorstellungen zu relativieren. Indem er sie einander gegenüberstellt, macht er zugleich auch ihre Gemeinsamkeiten besser sichtbar.
Martin Faber