Rezension über:

Horst Bredekamp: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Die Baugeschichte von Bramante bis Bernini, Berlin: Wagenbach 2000, 160 S., 50 Abb., ISBN 978-3-8031-5163-6, EUR 19,50
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Rezension von:
Golo Maurer
Bibliotheca Hertziana, Rom
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Golo Maurer: Rezension von: Horst Bredekamp: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Die Baugeschichte von Bramante bis Bernini, Berlin: Wagenbach 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 5 [15.05.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/05/3472.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Horst Bredekamp: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung

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Die Spezialisierung der Italienforschung gehörte in den letzten fünfzig Jahre zweifellos zu ihren Stärken. In vielen Fällen konnten so Erklärungsmuster der ersten Jahrhunderthälfte durch sachlich fundierte Einzelergebnisse korrigiert werden. Hat man in Italien begonnen, durch groß angelegte Publikationsreihen mit internationaler Autorenschaft diese Einzelstücke wieder zu Gesamtbildern zusammenzufügen, so bleibt dies im deutschsprachigen Raum auf Ausnahmen beschränkt. Deutsch als Sprache großer Überblickswerke scheint vielen Autoren, die in erster Linie den Diskurs mit internationalen Fachkollegen suchen, zu riskant zu sein. Es ist möglich, dass sich das heimische Publikum eines Tages für diese unterlassene Hilfeleistung mit seinen Mitteln rächen wird. Alleingelassen mit inhaltlich anspruchslosen Coffeetable-Books oder aber hochspezialisierten Aufsätzen und Dissertationen, könnte es sein noch vorhandenes Interesse vom Fach abwenden, dem es schon heute schwer fällt, die gesellschaftliche Relevanz von Grundlagenforschung zu rechtfertigen. In den Zeiten knapper Kassen kann so der Elfenbeinturm schnell zum Hungerturm werden. Die traditionelle Italienforschung wäre als Hobby derer, die es sich leisten können, dann wieder bei ihren historischen Anfängen angelangt.

Ein Buch wie das von Horst Bredekamp kann in dieser Hinsicht also gar nicht genug begrüßt werden. Es gehört viel Mut dazu, mit der gesamten Baugeschichte von Sankt Peter sozusagen das Flaggschiff der Spezialforschung entern und einem breiteren Publikum näher bringen zu wollen. Da Missverständnisse bei einem Unternehmen dieser Art vorprogrammiert zu sein scheinen, ist neben Mut auch Leidensfähigkeit verlangt. Denn gerade seiner Einzelstellung wegen läuft das Buch Gefahr, als etwas verstanden, benutzt und vor allem kritisiert zu werden, was es der erklärten Absicht des Autors nach nie hätte sein sollen: Ein Überblicks- und Nachschlagewerk zur Baugeschichte von Sankt Peter, womöglich ein Standardwerk für die Seminarbibliothek. Mit seiner These, dass die Baugeschichte von Sankt Peter mit ihrem "Pendelschlag von Abriss und Aufbau [...] für eine zielgerichtete historische Forschung unzugänglich" sei (9), kündigt Bredekamp vielmehr eine persönliche Deutung dessen an, was auf der Baustelle des Mons Vaticanus zwischen 1450 und 1650 eigentlich geschehen ist. Mit einer fröhlichen Jagd auf Detailfehler wird man diesem Buch kaum gerecht werden. Aufmerksamkeit verdient hingegen die Kernthese des Autors, stellt sie doch das bisherige Verständnis des Bauvorgangs quasi auf den Kopf: Denn dieser sei nicht als "Addition von Bauleistungen" sondern vielmehr als "Negation von Zerstörung" [sic] zu verstehen (9). An Stelle rationaler Handlungsmuster einer traditionell verstandenen Baugeschichte seien zunächst irrational erscheinende Kräfte einer "Baupsychologie" (9) wirksam. Nicht Arrangement mit dem Vorgefundenen, sondern dessen Auslöschung habe den neuen Architekten jeweils das Weiterbauen ermöglicht. Trickreich, aber mit wechselndem Erfolg hätten sie dann versucht, ihr eigenes Werk gegen eben jenes Prinzip zu verteidigen. Es scheint, als hätte ein Architekt der auf Zerstörung sinnenden Nachwelt sein Lebenswerk nur durch List und Gewalt aufzwingen können.

Rein äußerlich schlägt sich dieser kulturpsychologische Befund in der mitunter stark dynamisierten Sprache nieder. Man könnte auch behaupten, er würde teilweise durch sie erst konstituiert. Die Künstler bauen nicht oder reißen ab, sie greifen an, stoßen vor, laufen Amok, löschen aus, eliminieren. Doch nicht nur die Architekten führen diese Schlacht ums Überleben, auch ihre Werke entwickeln sich zu selbstständig handelnden Kampfmaschinen mit autodestruktiver Neigung. So fällt Bramantes Westarm einem "langfristig angelegten Angriff des Neubaus auf sich selbst zum Opfer" (44). In diesem 'survival of the fittest' gibt es nur jeweils eine Alternative: "entweder selbst wieder beseitigt zu werden oder den Vorgänger zu eliminieren" (87). Bisweilen seien dazu auch größere Bauernopfer nötig gewesen. So hätte Bramante seinen "taktischen Erfolg" im "Angriff auf Alt-St. Peter" (25ff.) nur um den Preis erringen können, eine partielle Selbstvernichtung quasi mitzuplanen. Denn die gegen das konstantinische Langhaus gelegten 'Sprengsätze' der Vierungspfeiler (44) jagen mit beinahe achtzigjähriger Verzögerung auch das "langfristige Provisorium" des Bramantechors durchaus planmäßig in die Luft (31/43ff. und 100).

Mit diesem darwinistischen Szenario hat Bredekamp einige Phasen der Baugeschichte vielleicht treffender als irgendjemand vor ihm wiedergegeben. Doch kann man diese charismatisierende Deutung des Einzelfalls zum historischen Prinzip ausbauen, nach welchem sieben bis acht Generationen in quasi unterbewusster Uniformität gehandelt hätten?

Bredekamps Sicht ist eng an sprachliche Definitionen gebunden, und wie wenige versteht er es, nicht nur mit, sondern auch durch Sprache zu argumentieren. Suggestion durch Zuspitzung und das strategische Platzieren von Paradoxa sind dabei besonders effektvolle Mittel. "Prinzip der produktiven Zerstörung", dieses Bild scheint das letztlich Unbegreifliche der Wirklichkeit irgendwie einzufangen, zu domestizieren und so für den Intellekt wieder handhabbar zu machen. Es fällt mitunter schwer, sich der verführerischen Kraft dieser Sprache zu widersetzen. Doch gerade dies erscheint hier notwendig. Denn man könnte versuchen, gerade durch Deeskalierung der Sprache auch die Baugeschichte zu entpsychologisieren: Ein Neubau erfordert den Abriss des Altbaus und unterliegt, vor allem bei langer Bauzeit, gewissen Planänderungen mit Teilabrissen. Sucht man jedoch eine historische Konstante, so läge diese eher im additiven Aufbauen auf den Vorgaben des Vorgängers als in deren systematischer Beseitigung. Sangallo setzte Querarme an Bramantes Vierungspfeiler, die Michelangelo schloss und unter Verzicht auf die Umgänge symmetrisch ergänzte. Auf Bramantes Pfeiler errichtete er den Tambour, dem della Porta wiederum die Kuppel aufsetzte. Auch Madernos Langhaus ist mehr eine Addition an Vorhandenes als die Vernichtung eines Konzepts. Die Planänderung richtete sich in erster Linie gegen Geplantes, die Zerstörung von Gebautem nimmt sich dagegen bescheiden aus.

Die für seine These erforderliche Dichte an Einzelfällen erreicht Bredekamp mitunter nur, indem er den Indikativ der gesicherten Tatsache an die Stelle des Konjunktivs der wissenschaftlichen Hypothese setzt. Dies betrifft für seine Argumentation durchaus wichtige Punkte. So wird vorrausgesetzt, dass Bramantes Planung nicht mit einem Zentralbau, sondern mit einem Langhausprojekt begann, sein Chor als wissentlich geplantes Provisorium oder aber Michelangelos Attikaentwurf als ungegliederte Wandfläche zu denken sei. Doch sind dies Hypothesen, für die es in der Forschung durchaus auch ernst zu nehmende Gegenpositionen gibt. Zwar weist Bredekamp auf diese hin und es ist legitim und notwendig, unter Hypothesen auszuwählen. Man kann jedoch darüber streiten, ob das Argument, die gewählte Version sei "so überaus einfach und elegant" (zum Langhausplan Bramantes, Anmerkung 49), als Begründung wirklich ausreicht.

Doch ändert die Skepsis gegenüber den Hauptthesen nichts an der Bedeutung des Buchs. Dass Bredekamp erstmals seit langer Zeit der Detailarbeit ganzer Generationen von St.-Peter-Forschern Diskussionsstoff für ein breites Forum abgewinnt, kommt einer Erlösung gleich. Sollte diese Diskussion angenommen werden und zu weiteren, vielleicht auch konträren Veröffentlichungen führen, so wäre Bredekamp gelungen, was man mit Büchern überhaupt erreichen kann.

Anmerkung:

Zu diesem Buch erschien bereits eine Rezension von Ulrich Fürst in KUNSTFORM 1 (2000), Nr. 1: http://www.sfn.uni-muenchen.de/rezensionen/kunstform/rezk2.htm


Golo Maurer