Horst Carl: Der Schwäbische Bund 1488-1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; Bd. 24), Leinfelden-Echterdingen: DRW 2000, XII + 596 S., 11 schw. - w. Abb., 5 farb. Taf., 5 Graf., 3 Tab., ISBN 978-3-87181-424-2, EUR 70,80
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Die von Horst Carl in Tübingen vorgelegte und jetzt im Druck erschienene Habilitationsschrift "Der Schwäbische Bund 1488-1534" erhebt bereits im Titel den Anspruch, nicht wie der Großteil der bisher zu diesem Bund erschienenen Literatur einzelne Teilaspekte oder Zeitabschnitte zu behandeln, sondern eine umfassende Gesamtdarstellung zu bieten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wählt Carl einen streng systematischen Zugang. Nach einem einleitenden Überblick über die Historiographiegeschichte des Bundes und einer knappen Darstellung der Ereignisgeschichte werden in sieben großen Kapiteln die Rolle des Reichsoberhaupts im Bund, die Mitgliederstruktur, die Bundesgremien, die Bundesfunktionäre, Kanzlei und Finanzwesen, der Bund als Friedens- und Rechtsgemeinschaft sowie die Feinde des Bundes behandelt. Diese Konzeption trägt der Tatsache Rechnung, dass die Ereignisgeschichte des Bundes - und hier vor allem die großen Auseinandersetzungen mit Württemberg, den Bauern und den fränkischen Rittern - vergleichsweise gut bekannt ist. Sie ist aber auch durch das Anliegen des Autors bedingt, nicht einfach eine Geschichte des Schwäbischen Bundes vorzulegen, sondern einen Schritt weiterzugehen und anhand des Schwäbischen Bundes einen Beitrag zur Struktur der Reichsverfassung zu leisten.
So kommen fast alle in der verfassungsgeschichtlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte aufgeworfenen Fragen zur Sprache und werden für die Analyse des Bundes fruchtbar gemacht. Dabei werden die jeweiligen Ansätze freilich stets hinterfragt und gegebenenfalls modifiziert. Geradezu wie ein Leitmotiv zieht sich die Frage nach der Verdichtung (Peter Moraw) durch die Arbeit.
Zu den im Zusammenhang mit dem Schwäbischen Bund sicher am intensivsten diskutierten Fragen gehört von jeher diejenige nach der Rolle des Kaisers. Carl kommt hier in Überwindung der bisher meist strikten Antagonismen zu dem Ergebnis, dass der Bund durch die kaiserliche Landfriedensautorität und die bündische Schwureinung in nahezu idealer Weise monarchische und bündische Legitimationsprinzipien kombinierte. Deshalb führe es auch nicht weiter, zunächst immer nach dem kaiserlich-ständischen Gegensatz zu suchen; zu beachten sei vielmehr, dass sich die Entwicklung des Bundes und auch seine inneren Konflikte in einer in stetem Kompromiss verdichtenden politischen Kommunikation zwischen Kaiser und Ständen abspielte - die Verdichtung führte hier eben gerade nicht zu einem institutionalisierten Dualismus (Peter Moraw), sondern löste ihn tendenziell sogar eher auf. Überhaupt leistete bereits der Einungscharakter der Ausbildung eines allzu deutlichen Dualismus Widerstand, war doch der König/Kaiser bei aller die anderen Mitglieder überragenden Machtfülle und Vornehmheit Mitglied im Bund und damit den für alle Bundesgenossen geltenden Regeln unterworfen. Hierin liegt auch ein Grund, weshalb der Bund sich kaum instrumentalisieren ließ, weder von Habsburg noch von anderen. Aufgehoben wurde der Dualismus zudem durch die Schiedsrichterrolle, die der Bund dem König ermöglichte, und die vor allem Maximilian nützte, denn auch hier trat der König den jeweiligen Streitparteien nicht einfach gegenüber, sondern war von ihnen ja für diese Funktion bestimmt worden. Carl sieht hierin geradezu eine Verbindung der Prinzipien von Herrschaft und Genossenschaft. Insgesamt stellt sich damit die Verfassungssituation um 1500 sehr viel offener dar, als der "institutionalisierte Dualismus" suggeriert. Was hier anhand der Analyse des Schwäbischen Bundes gezeigt wird, ließe sich sicher auf andere Reichsinstitutionen übertragen.
Die Untersuchung der Bundesorgane lässt auch beim Schwäbischen Bund eine Tendenz zu fortschreitender Institutionalisierung erkennen, vor allem beim Bundesgericht, aber auch beim Bundesrat. Die Darstellung der Bundesorganisation wird ergänzt durch eine prosopographische Untersuchung des Bundespersonals. Eine solche personengeschichtliche Ergänzung der traditionellen und dadurch ja keineswegs überflüssig werdenden Institutionengeschichte wird zwar immer wieder angemahnt, aber bisher kaum je durchgeführt. Als Ergebnis stehen vorgeblich "moderne" neben vorgeblich mittelalterlichen Elementen: Denn einerseits lässt sich für die Bundeshauptleute ein deutliches Qualifikationsprofil ermitteln, das dem späteren Laufbahndenken bürokratischer Institutionen nicht unähnlich war, andererseits ist eine außerordentliche Dichte der Verwandtschaftsbeziehungen der Bundesräte zu beobachten. Diese ständeübergreifenden personellen Vernetzungen und eine hohe personelle Kontinuität des Führungspersonals bildeten wichtige Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Bundes.
Konstitutiv für den Schwäbischen Bund als Landfriedensbund war die Friedenswahrung nach innen und außen. Dass beides - wenn auch aus unterschiedlichen Ursachen - problematisch wurde, trug zum Ende des Bundes bei. Dabei konnte der Schwäbische Bund als Austragseinung beträchtliche Erfolge aufweisen. Die Fortentwicklung der bündischen Schiedsgerichtsbarkeit zum institutionalisierten Bundesgericht war allerdings durchaus zweischneidig, da man sich damit der Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit begab und in Konkurrenz zum Reichskammergericht trat; die bündische Gerichtsbarkeit also im Grunde überflüssig wurde. Entscheidend für das Schicksal des Schwäbischen Bundes als Landfriedensbund war aber, dass im konfessionellen Konflikt der Konsens darüber, was Landfrieden bedeutete und welcher Stellenwert ihm zukam, verloren ging.
Die Friedenswahrung nach außen ist im allgemeinen Bewusstsein am engsten mit dem Schwäbischen Bund verknüpft und entsprechend gut erforscht. Statt erneut die einzelnen Konflikte darzustellen, sucht Carl deshalb die strukturellen Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der einzelnen Konflikte beziehungsweise Feinde herauszuarbeiten. Dazu gehörte vor allem, dass die Bundesfeinde von solcher Art sein mussten, dass die ständische Solidarität mit dem Feind nicht die Oberhand gewann. Auch wenn der Schwäbische Bund einerseits im Kampf gegen seine äußeren Feinde sehr erfolgreich war, gelangte er andererseits mit der Bekämpfung der Fehde auf der Grundlage des Fehderechts doch auch an seine Grenzen: Denn auf diese Weise ließ sich das Fehdeproblem eben nicht lösen. Von anderer Qualität als die Feinde Wittelsbach, Herzog Ulrich von Württemberg oder die fränkischen Ritter, waren die Bauern, da der Schwäbische Bund gegen sie nicht als Fehdegenossenschaft handeln konnte. Gegen eine Tradition, die im Vorgehen des Schwäbischen Bundes im Bauernkrieg insbesondere die militärische Repression hervorhebt, betont Carl, dass der Bund so lange wie irgend möglich alle schiedsrichterlichen Möglichkeiten ausgelotet habe und im Weingartner Vertrag auch wieder auf diese Linie zurückgekehrt sei.
Selbstverständlich werden ausführlich die besonderen Probleme genossenschaftlicher Organisationsformen diskutiert. Dazu gehörte im Schwäbischen Bund besonders das einer extremen Fluktuation der Mitglieder; erschwerend hinzu kam deren außerordentlich große ständische wie machtpolitische Ungleichheit. Zwischen der genossenschaftlichen Struktur, die ja prinzipiell auf einer Gleichheit der Genossen beruhte, und diesen enormen Unterschieden einen Ausgleich zu finden, war für den Bund eine, wenn nicht die Überlebensfrage überhaupt. Möglich war dies nur über den Weg entsprechender Verfahren. Dazu gehörte das - im Gegensatz zum Reich stets praktizierte - Majoritätsprinzip sowie das freie Mandat der Bundesräte und deren Vereidigung auf das Wohl des Gesamtbundes. Auf diese Weise wurde beispielsweise verhindert, dass die Bundesräte den Rang der sie entsendenden Obrigkeiten demonstrieren mussten; Sessionsstreitigkeiten waren deshalb dem Schwäbischen Bund fremd.
Dabei werden diese Verfahrensfragen nicht nur um der puren Kenntnis dieser Regelungen willen erläutert, sondern stets in ihrer Bedeutung für grundsätzliche Fragen der Verfassungsgeschichte eingeordnet. Und das geschieht nicht einfach implizit und en passant, sondern stets unter klarer Benennung der Fragestellung. Überhaupt gehört es zu den Stärken des Buchs, dass die methodischen Prämissen und das leitende Erkenntnisinteresse stets offen gelegt werden - der Leser bleibt nie im Unklaren darüber, welchem Zweck die gerade ausgebreiteten Details jeweils dienen.
Dabei ist die Fülle der Details immens, eine notwendige Folge des Untersuchungsgegenstandes "Schwäbischer Bund", und mit Sicherheit eine der Ursachen, weshalb eine solche Darstellung bis jetzt fehlte. Nicht nur die Reichsgeschichte ist ständig präsent, sondern ebenso die Landesgeschichte(n) der süddeutschen Territorien wie auch die je spezifische Geschichte der Fürsten, der Städte und - besonders verdienstvoll, da mit Abstand am schlechtesten aufgearbeitet - des Adels. Hier stellen die Fußnoten gerade für die eher lokal oder regional Interessierten eine Fundgrube dar: So wird beispielsweise nebenbei in einer Fußnote die Interpretation des Tübinger Vertrags als eines kaiserlichen Schiedsspruchs widerlegt (445, Anmerkung 135). Neben die Fundierung im Detail tritt die Einordnung durch die Weite des Blicks, die sich auch im Vergleich, insbesondere mit der Eidgenossenschaft als unbefristeter Landfriedensbund oder dem Schmalkaldischen Bund als konfessionelles Bündnis manifestiert.
Carl führt zwei Forschungsstränge zusammen, die bisher zumeist nebeneinander her liefen: die Reichsverfassungsgeschichte im engeren Sinne mit der Erforschung der Reichsinstitutionen einerseits und die Diskussion über die Rolle genossenschaftlicher Organisationen andererseits. Wiewohl ihre Verknüpfung zuletzt verschiedentlich - vor allem von Peter Moraw und Volker Press - angemahnt wurde, fehlte bisher eine umfassende Einlösung dieser Forderung: Carl hat sie auf überzeugende Weise geliefert.
Bettina Braun