Rezension über:

Martin Papenbrock: Landschaften des Exils. Gillis van Coninxloo und die Frankenthaler Maler (= Europäische Kulturstudien; Bd. 12), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 261 S., 88 z.T. farb. Abb., ISBN 978-3-412-16100-2, EUR 39,90
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Rezension von:
Martin Raspe
Kunstgeschichtliches Institut, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Martin Raspe: Rezension von: Martin Papenbrock: Landschaften des Exils. Gillis van Coninxloo und die Frankenthaler Maler, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/06/3196.html


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Martin Papenbrock: Landschaften des Exils

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Der Maler Gillis van Coninxloo ist ein Sonderfall. Über sein Leben wissen wir vergleichsweise viel - nicht nur, weil der Künstlerbiograf Karel van Mander seine Vita schrieb, sondern auch, weil einige Archivalien vorhanden sind. Der älteren Kunstgeschichte galt er als Erfinder der "flämischen Waldlandschaft" und als Haupt der "Frankenthaler Malerschule". Coninxloo floh 1585 als reformierter Protestant aus dem spanisch besetzten Antwerpen in die Provinz Seeland und ging dann nach Frankenthal, wo der pfälzische Kurfürst niederländische Handwerker angesiedelt hatte. 1595 zog er nach Amsterdam, wo er bis zu seinem Tod 1606 wohnhaft blieb.

In seiner 1998 in Osnabrück eingereichten Habilitationsschrift geht Martin Papenbrock folgenden Fragen nach: Spiegelt sich die Exilsituation im Werk des Meisters (und seiner Nachfolger in Frankenthal)? Gab es damals eine "Ästhetik des konfessionellen Exils"?

Die Arbeit, die sich als Beitrag zur modernen Exil- und Migrationsforschung versteht, ist im Wesentlichen dem positiven Nachweis dieser Thesen gewidmet. "[Coninxloo] malte den Wald als Ort des Exils" (206); "der dichte, unzugängliche Wald symbolisierte [...], dass der Exilort den Emigranten letztlich fremd blieb" (207). Ist das, was zunächst wie die naive Identifikation der Bilder mit der Biografie des Künstlers anmutet, ein wissenschaftlich haltbarer Interpretationsansatz?

In drei Kapitel gliedert der Autor seine Beweisführung. Unter der Überschrift "Zu den Strukturen des konfessionellen Exils im 16. Jahrhundert: Die sozialen Bedingungen und die künstlerische Praxis" (19-53) charakterisiert er zunächst die allgemeine historische Situation, um dann den Spezialfall Frankenthal näher zu beleuchten. Im zweiten Kapitel "Zur Semantik des konfessionellen Exils im 16. Jahrhundert: Bedeutungen und Symbole der Migration und des Exils in theologischen, philosophischen und literarischen Schriften" (55-103) versucht Papenbrock, aus Coninxloos geistesgeschichtlichem Umfeld sein Denken zu rekonstruieren. Der letzte und umfangreichste Abschnitt "Zur Ästhetik des konfessionellen Exils im 16. Jahrhundert: Gillis van Coninxloo und die Frankenthaler Maler" (105-209) zieht die Synthese und interpretiert die Bildformel der "Waldlandschaft" als Reflexion des Künstlers über sein Dasein im Exil.

Als methodische Schwäche erweist sich, dass Papenbrock keine konzise Definition dessen gibt, was er unter Exil versteht. Zwar beschreibt er den zeitgenössischen Sprachgebrauch (5-6), aber nicht dessen Anwendung auf die Künstler. So erwähnt der wichtigste Zeitzeuge, Karel van Mander, der selbst Religionsflüchtling war, weder Coninxloos Konfession noch seinen Exulantenstatus, sondern nennt nur die Unruhen und wirtschaftliche Umstände als Motiv für seinen Auszug aus Antwerpen. In den wenigsten Fällen sind die Beweggründe, aus denen niederländische Künstler im 16. Jahrhundert die Heimat verließen, klar zu fassen. Selbst die große Künstlermigration von Antwerpen nach Amsterdam nach 1580 erfolgte wohl in erster Linie aus einem wirtschaftlichen Grund, nämlich wegen der Blockade der Scheldemündung. Und worin sich das "künstlerische Exil" (45-53) vom rein konfessionellen Exil im einzelnen unterscheidet, bleibt ganz unklar.

So ist denn auch schwer zu sagen, wie man Coninxloos Aufenthalt in Frankenthal einzuschätzen hat. Wir wissen weder, aus welchem Grund er sich dort ansiedelte, noch, warum er das Städtchen nach wenigen Jahren wieder verließ und womit er seinen Lebensunterhalt bestritt. Offenbar war er nicht auf die Malerei angewiesen, denn er konnte es sich leisten, auf die Bezahlung von zwei Ölgemälden - immerhin 50 Gulden - solange zu verzichten, "bis man in Antwerpen frei wohnen und die reformierte Religion ausüben kann" (36). Möglicherweise lebte er, wie sein Kollege Hendrick Ghysmans, davon, dass er "Patronen" für die aufstrebende, von Oudenaerder Handwerkern aufgezogene Teppichweberei zeichnete; doch leider ist bis heute kein einziger Teppich aus der Frankenthaler Produktion bekannt geworden. Die nüchterne Betrachtung der Fakten ergibt: Es sind einfach zu wenige Zeugnisse erhalten, um die Rahmenbedingungen von Coninxloos Aufenthalt in der Pfalz, geschweige denn seine persönlichen Empfindungen, beurteilen zu können.

Auch Coninxloos malerisches Oeuvre wirft mehr Fragen auf, als es zu beantworten hilft. Aus seiner Frankenthaler Zeit ist überhaupt nur ein einziges Bild bekannt, nämlich das Dresdner "Midasurteil" (1588 datiert), und dieses zeigt gar kein Waldinneres, sondern eine traditionelle Übersichtslandschaft. Alle gesicherten Waldlandschaften Coninxloos stammen erst aus den Amsterdamer Jahren. Dementsprechend fraglich ist es, ob Coninxloo hier wirklich über sein Frankenthaler Dasein reflektiert. Andere Künstler hatten schon zu Beginn der 1590er-Jahre Waldlandschaften gemalt, zum Beispiel Lukas van Valkenborch, Hans Bol, vor allem aber Jan Brueghel in Italien. Wie Teréz Gerszi gezeigt hat, fußten sie alle auf Zeichnungen von Pieter Bruegel dem Älteren. Weder Vater noch Sohn Brueghel waren religiös verfolgt oder lebten in der Verbannung. Papenbrocks Aussage, dass "die Geschichte der niederländischen Waldlandschaft im 16. Jahrhundert eng verknüpft ist mit den religiösen Verfolgungen und dem protestantischen Exil", lässt sich nicht halten. Viel wichtiger dürfte gewesen sein, dass Coninxloo mit der Familie Brueghel direkt verschwägert war. Auf die Untersuchung anderer möglicher Vorbilder verzichtet der Autor. Zwar konstatiert er, Cornelis Corts Stiche nach Girolamo Muziano "könnten Coninxloo als Vorlagen für seine Waldlandschaften gedient haben" (116) - Bildvergleiche, die das belegen könnten, werden aber nicht angestellt.

Fragt man danach, ob sich in den Bildinhalten Hinweise auf eine Exilthematik finden lassen, so muss man zunächst feststellen, dass keine der signierten Waldlandschaften Coninxloos ein erkennbares ikonographisches Sujet aufweist. Alle sind "profane Landschaften", wie Papenbrock sie nennt, und zeigen lediglich Tiere, vereinzelt einen Jäger im Miniaturformat. Dass der Wald als Bild für das "desertum" stehen kann, für die biblische Wüste und den Rückzugsort der Eremiten, ist seit langem bekannt. Ein "protestantischer Modus" (123) zeigt sich darin sicherlich nicht; man denke nur daran, dass Jan Brueghel bereits 1595 eine ganz ähnliche Waldlandschaft für den Mailänder Erzbischof Federico Borromeo gemalt hatte. Coninxloos Interesse für den Wald und die Jagd könnte schon in seinem eigenen Namen begründet liegen: "het konings loo" bezeichnet einen königlichen (Jagd-)Forst, und Gillis (= Aegidius) war der Patron der Jäger.

Methodisch fragwürdig ist es auch, wenn Papenbrock als Kronzeugen für seine Argumentation Gemälde anführt, die Coninxloo nur zugeschrieben werden und stilistisch kaum mit seinen gesicherten Werken übereinstimmen, wie die "Landschaft mit Latona und den lykischen Bauern" (Sankt Petersburg) oder die beiden Landschaften mit Hagar (Aschaffenburg). Selbst wenn diese Bilder in seiner Werkstatt entstanden sein sollten, so malte doch Coninxloo in der Regel die Figurenstaffage nicht selbst. Zwar erwähnt Papenbrock dieses Faktum (134), übergeht aber die entscheidende Frage, ob es überhaupt Coninxloo selbst war, der das Thema festlegte, oder der Figurenmaler (oder gar der Auftraggeber). Da die Frage nach dem heutigen Kenntnisstand nicht beantwortet werden kann, lassen sich jedenfalls aus den Figurenszenen keine Schlussfolgerungen darüber ziehen, was Coninxloo in seinen Landschaften zum Ausdruck bringen wollte.

Diese Feststellung gilt auch für das bereits erwähnte Dresdner "Midasurteil". Hier liegt der Fall besonders kompliziert. Zu Recht apostrophiert Papenbrock das Bild als "Schlüsselwerk in der Geschichte der niederländischen Landschaftsmalerei" (137), bei dem sich die Landschaft von der Historie emanzipiert, indem sie sich selbstständig an der Erzählung beteiligt. Den Bezug zu Ovids Fabel stellte aber erst Karel van Mander her, der - wie sich stilkritisch einwandfrei zeigen lässt - die Figuren hinzufügte. Problematisch ist die Datierung von van Manders Eingriff. Papenbrock vermutet, er habe bereits vor Coninxloos Abreise nach Frankenthal an dem Bild mitgearbeitet (135). Das ist jedoch ausgeschlossen, denn die Figurenszene paraphrasiert den berühmten Stich des Hendrick Goltzius, der erst 1590 entstand, also zwei Jahre nach der Fertigstellung von Coninxloos Landschaft. Der Stilvergleich mit van Manders gesicherten und datierten Werken legt nahe, dass er die Figuren erst nach 1600 malte, als beide Meister in Amsterdam lebten und van Mander die Vita Coninxloos verfasste. Van Mander kombinierte das kunsttheoretisch aufgeladene Thema mit einem motivisch passenden (möglicherweise unvollendeten) Landschaftsbild, um seine Ansichten zur Landschaftsmalerei darzulegen; eine der neueren, reinen "Waldlandschaften" Coninxloos wäre für diese Historie nicht geeignet gewesen. Es gibt also keinen Anhaltspunkt dafür, dass Coninxloo diese Landschaft als "Metapher des Konfessionsstreites in den Niederlanden und den Exilorten" (139) konzipiert habe.

Eingangs bemerkt der Autor, "wie spannend die Kunstgeschichte sein kann, wenn man die richtigen Fragen stellt" (VI). Das provoziert die Gegenfrage nach der Gültigkeit seiner Antworten. Bringt die Gleichsetzung von Wald und Exil Licht in das Dickicht oder führt sie auf den Holzweg? Letztendlich verschweigt Coninxloo, wofür sein Wald als Gleichnis steht. Neu sind die Gefühle von Dunkel und Einsamkeit, die seine Bilder vermitteln. Wie er dahin kam, das wäre eine spannende Frage.


Martin Raspe