Steven Saxonberg: The Fall. A Comparative Study of the End of Communism in Czechoslovakia, East Germany, Hungary and Poland (= International Studies in Global Change; Vol. 11), London / New York: Routledge 2000, XVII + 434 S., ISBN 978-9058230973, USD 70,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Agnieszka Zagańczyk-Neufeld: Die geglückte Revolution. Das Politische und der Umbruch in Polen 1976-1997, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014
Der Regimewechsel 1989/90 in den vier Staaten in Ostmitteleuropa ist oft beschrieben worden. Steven Saxonberg interessiert in der überarbeiteten Fassung seiner an der Universität Uppsala verteidigten Dissertation primär die Frage, wie es zu erklären ist, dass der Systemwechsel jeweils unterschiedlich ablief. Er geht dabei so vor, dass er nach einer kurzen Rekapitulation der Ereignisse die in der Literatur genannten wichtigsten Argumente für den Zusammenbruch der bisherigen Systeme darstellt: Wirtschaftskrise, Legitimitätsverlust, Gorbačevs Perestrojka und das Entstehen einer Zivilgesellschaft. Jeder dieser Einzelfaktoren, so der Verfasser, ist für sich genommen eine notwendige, aber keine hinreichende Ursache für das Scheitern der bisherigen Systeme. Sein Anspruch ist es, ein Modell zu entwickeln, das sowohl die dem Zusammenbruch zugrunde liegenden Ursachen als auch die "Trichotomie" zwischen Revolution, Demokratisierung und fortgesetzter autoritärer Herrschaft zu erklären vermag, das heißt die Frage beantwortet, weshalb es zu welcher Entwicklung kam.
In der in drei Teile mit insgesamt elf Kapiteln klar gegliederten Arbeit entfaltet Saxonberg zunächst sein analytisches Raster, geht dann auf die einzelnen Ursachen des Zusammenbruchs ein und arbeitet anschließend die Unterschiede der Entwicklungen in den vier Staaten 1988/89 heraus. Er zielt nicht auf eine "grand theory" sondern auf Ergebnisse mittlerer Reichweite und verwendet dabei in manchmal erfrischender Weise unterschiedliche, aber miteinander kompatible Ansätze, darunter auch solche, die Anleihen bei marxistischen Gedankengängen machen. So geht er von einer "herrschenden Klasse" in den nach sowjetischem Muster gestalteten Gesellschaften aus und definiert sie als die Angehörigen des Parteiapparats und der Staatsbürokratie vom Betriebsmanager oder Leiter der Betriebsparteiorganisation an aufwärts (51).
Das "Modell", das Saxonberg verspricht, wird in mehreren Stufen expliziert, wobei der Leser sich dank kontinuierlicher Zusammenfassungen jederzeit auf dem jeweiligen Stand der Argumentation weiß, allerdings um den Preis nicht zu übersehender Redundanzen. Saxonberg arbeitet mit großer Kompetenz grundlegende, für das Verständnis realsozialistischer Gesellschaften notwendige Zusammenhänge heraus. Beim konkreten Ablauf des Systemwechsels unterstreicht er die Interdependenz struktureller Faktoren und akteursbezogener Gegebenheiten, bezieht die unterschiedlichen Voraussetzungen und strategischen Überlegungen der Eliten ebenso ein wie die Dynamik von Kosten-Nutzen-Analysen unterschiedlicher rebellierender Akteure und gelangt gerade durch die Berücksichtigung revolutionstheoretischer Überlegungen wie enttäuschter steigender Erwartungen zu neuen Einsichten.
Der Schwerpunkt der empirischen Vertrautheit des Autors liegt deutlich in der Tschechischen Republik, doch hat er auch zu den anderen Fallbeispielen sowie zu theoretischen Ansätzen zum Systemwechsel eine Fülle von Literatur in englischer, deutscher, tschechischer und schwedischer Sprache zur Kenntnis genommen. Hinzu kommen Interviews, die der Autor mit früheren führenden Politikern, Beratern und Oppositionellen geführt hat, 55 in der Tschechoslowakei, zehn in Ungarn und sechs in Polen. Ostdeutsche Gesprächspartner (Honecker und Sindermann) finden sich unter zwölf bei anderen Autoren abgedruckten Interviews.
Störend sind zahlreiche Druckfehler, insbesondere bei Eigennamen. Kleinere sachliche Unrichtigkeiten (so waren die interviewten polnischen Experten Gebethner und Winczorek nie Abgeordnete; es wird vernachlässigt, dass bei den Senatswahlen in Polen 1989 nur im ersten Wahlgang absolute Mehrheitswahl erforderlich war, im zweiten aber relative Mehrheit reichte (377) et cetera) sind bei der Fülle der verarbeiteten Informationen fast zwangsläufig. Sie trüben aber kaum das Gesamtbild einer Arbeit, die mit neuen Fragestellungen neue Erkenntnisse zu scheinbar wohlvertrauten Fakten liefert.
Klaus Ziemer