Hannah Baader / Ulrike Müller-Hofstede / Kristine Patz (Hgg.): Ars et Scriptura. Festschrift für Rudolf Preimesberger zum 65. Geburtstag (= Berliner Schriften zur Kunst; 15), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2001, 272 S., 75 s/w-Abb., ISBN 978-3-7861-2393-4, EUR 99,00
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Festschriften scheinen heutzutage grundsätzlich keinen guten Leumund mehr zu genießen: schon ein nur kursorischer Blick in zufällig herausgegriffene Rezensionen zeigt, dass nicht selten grimmige Abscheu und müde Skepsis vorherrschen, wenn es darum geht, ihnen gegenüber kritisch Stellung zu nehmen - den Vogel schießt hierbei sicherlich Fritz von Klinggräff ab, der im Oktober 2001 anlässlich der Festschrift für den Berliner Soziologen Dietmar Kamper das bissige Verdikt formulierte: "Festschriften sind obszöne Veranstaltungen. Da wird einer zur Festsau erklärt, um ihn anschließend am Spieß zu braten. So funktioniert der Wechsel akademischer Generationen: Den Ehrenplatz in den Festschriftregalen gibt es, damit man endlich Platz macht für seine Schüler." [1].
Doch selbst moderater angeschlagene Töne klingen kaum freundlicher: "(....) Festschriften sind wegen der nicht seltenen Zufälligkeit der darin versammelten Themen eher bei den Jubilaren als beim Publikum beliebt", spottete Nikolaus Katzer im Juni 2001 anlässlich einer anderen Publikation [2]. Und was die Einschätzung des wissenschaftlichen Wertes der in den Festschriften anscheinend so zufällig versammelten Aufsätze angeht, ist es aufschlussreich, sich die im Frühjahr 2002 veröffentlichten Mitteilungen des Verbandes der Geografen an deutschen Hochschulen (VGHD) anzuschauen [3], wo es betreffs der grundsätzlichen Relevanz der diversen wissenschaftlichen Publikationsformen eindeutig heißt: "Veröffentlichungen in nicht-referierten Zeitschriften, institutseigenen Sammelbänden und Festschriften sind weniger bedeutend."
Der Grund für diese Herabsetzung der Festschrift ist dabei sicherlich in der problematischen Spannung zu suchen, der diese Gattung unterworfen ist und die auch weitestgehend den Anspruch bestimmt, an dem derartige Publikationen zu messen sind: Denn primär soll hier ja ein Jubilar gefeiert werden, indem man ihm eine (wie Carlo Bertelli dies im vorliegenden Band so poetisch formuliert) "corona (...) vicina all'altezza dei suoi studi e dei suoi interessi" (175) aufsetzt, die aus den einzelnen Beiträgen von Kollegen, Freunden und Schülern geflochten wurde.
"(...) all'altezza dei suoi studi e dei suoi interessi": das bedeutete jedoch nicht nur eine thematische Nähe zu den bevorzugten Interessensgebieten des Gefeierten, sondern auch eine qualitative Herausforderung, denn im Idealfall sollten die einzelnen Festschriftbeiträge ja zugleich einen Reflex vom intellektuellen Radius des Jubilars, seinem methodischen Profil und seinem gedanklichen Reichtum geben - sei es, dass sie zum Beispiel auf der Grundlage von ihm erarbeiteter Ergebnisse weiterführende Forschungen anstellen, sei es, dass sie von ihm eingeschlagene Denkwege weiterverfolgen und neue, solcherart zu erlangende Ziele aufzeigen: idealerweise wäre stets ein expliziter oder stummer Diskurs mit dem zu Feiernden zu wünschen.
Doch die Realität stellt sich häufig anders dar: Angesichts von Termindruck und genereller Überlastung verkommt die Festschrift zu einem lästigen Ritual, dem man nur noch fahrlässigen Respekt zollt, denn da es an Zeit und Ruhe zu einer spezifischen Auseinandersetzung mit den Interessen und Leistungen des Geburtstagskindes fehlt, füllen sich nicht wenige Festschriften mit aus Zettelkästen und Schubladen gezogenem Material, das dann auch verantwortlich ist für die beklagte Zufälligkeit der in dem Band versammelten Themen.
Indem die so gesammelten Texte jedoch zugleich - der Feierlichkeit des Anlasses entsprechend - überwiegend große Namen und Werke des jeweiligen Forschungsgebietes in den Blick nehmen, denen jedoch auf den wenigen, im Rahmen der Publikation zugemessenen Seiten kaum Gerechtigkeit widerfahren kann, verschärft sich die eingangs konstatierte Spannung zwischen Anspruch und Erfüllung nur noch mehr - und so wird die Textsorte "Festschriftbeitrag" zunehmend als ein Synonym für wissenschaftliche Leichtgewichtigkeit abqualifiziert.
Es ist von daher umso erfreulicher, dass es den Herausgeberinnen des vorliegenden Bandes gelungen ist, Rudolf Preimesberger zu seinem 65. Geburtstag eine Festschrift zu organisieren, die all diese Klippen souverän umschifft. Möglich, dass ihnen dabei auch der Umstand zu Hilfe kam, dass Preimesbergers Interesse an der Wechselbeziehung von "Ars et scriptura" sozusagen die beiden Grundbestandteile kunstgeschichtlicher Arbeit umgreift, zu der eben immer auch die einem Kunstwerk zu Grunde liegenden, es begleitenden, dokumentierenden, kommentierenden oder aber eben wissenschaftlich aufbereitenden Texte gehören. Mithin stellt sich bei der Lektüre keines der Beiträge das unangenehme Gefühl ein, er stehe zufällig und beziehungslos in der Reihe der Gratulanten.
Aber auch über diese allgemeine Text-Bild-Klammer hinaus sind die einzelnen Aufsätze stets bestrebt, in je eigener Weise einen Zusammenhang zum wissenschaftlichen Profil Rudolf Preimesbergers zu wahren - grob lässt sich die dabei getroffene Wahl in thematisch und methodisch motivierte Diskurse unterscheiden. So befasst sich John Shearman mit dem Petersdom, der von Preimesberger wiederholt in seinen Schriften sowohl als Aufstellungsort von ihm erörterter Skulpturen wie auch als "Maiestas loci" (so auch der Titel einer 1993 erschienenen Studie über den Kuppelraum) eine wichtige Rolle spielte: indem Shearman eine Klärung und Unterscheidung der verschiedenen möglichen Bedeutungen des Begriffes "modello" unternimmt, versucht er, den Anteil Raffaels an der Genese des Holzmodells von Sankt Peter zu klären. Mit der Lateransbasilika hingegen beschäftigt sich Heinrich Thelen, wenn er zwei Zeichnungen Borrominis untersucht und an ihnen als zentrales Ordnungsprinzip des darin dokumentierten Entwurfsverfahrens die "Similitudo" herausarbeitet.
Nicht mit einer vom Jubilar in seinen Schriften thematisierten Architektur, sondern mit dem für Preimesberger so zentralen Künstler Gianlorenzo Bernini befasst sich Irving Lavin, der aus seiner langjährigen "obsession" oder "love affair" (143) mit dem Bildhauer heraus einen neuen, heute in Besançon aufbewahrten Engels-Bozzetto in die Diskussion einführt und zugleich Motivik und Provenienz eines weiteren Figuren-Modellos in Cambridge zu klären unternimmt. Paolo Prodi schließlich nimmt Preimesbergers Interesse für das doppelgestaltige Bild des Pontifex maximus als Kirchenoberhaupt und Herrscher zugleich zum Anlass, um eine neue, positivere Sicht auf Persönlichkeit und Wirken des berüchtigten Borgia-Papstes Alexanders VI. vorzulegen.
Eher methodischer Art sind hingegen die Anknüpfungspunkte der anderen Autoren gewählt, wobei die darin aufzuweisenden Fassetten zum Teil schwer voneinander zu trennen sind - nichtsdestotrotz lassen sich jedoch gewisse Schwerpunkte unterscheiden. So befassen sich Paola Barocchi (Varchis und Borghinis Reaktionen auf den Paragone-Streit und deren Folgen), Oskar Bätschmann (Albertis zu erweiterndes Verständnis von "historia"), Eberhard König (Vincenzo Giustianiani und Caravaggio als ihre Positionen wechselseitig erhellende Persönlichkeiten) und Hans Lüthy (die Kritiken von Charles Clément zur Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts) mit Fragen der Kunsttheorie. Hermann Fillitz teilt mit dem Jubilar das von den Herausgeberinnen in der Einleitung (8) konstatierte "Interesse an einer Rekontextualisierung" von Kunst, wenn er die historischen Implikationen der Situla des Aachener Domschatzes erörtert.
Primär ikonographisch ausgerichtet sind hingegen die Beiträge von Thomas Gaethgens (der die Wiener Karlskirche als Zurückweisung von in der Chapelle Royale zu Versailles architektonisch formulierten Ansprüchen des französischen Königs liest) und Werner Busch (seiner Analyse von Reynolds "Lady Cockburn" wäre der Verweis hinzuzufügen, dass sich in dem Bild über die ikonographische Trias "Madonna, Caritas, Cornelia" hinaus nicht zufällig auch die "Abbondanza" aufgerufen findet, wie der von Reynolds so sehr geschätzte Ludovico Carracci sie in einem um 1603/05 zu datierenden und heute in Rom [Pinacoteca Capitolina] befindlichen Gemälde dargestellt hat: lässt man die Reihe ikonographisch verwandter Darstellungen von in gleicher Weise auf ihren Müttern herumkletternden Kindern im Werke Reynolds Revue passieren, so überrascht es nicht, dieses Motiv dort erst ab 1773 feststellen zu können: dies ist das Erscheinungsdatum von Gavin Hamiltons "Schola Italica Picturae", in dem sich ein Nachstich des Carracci-Gemäldes von der Hand Domenico Cunegos befand).
Der Beitrag Harold Hammer-Schenks mit seiner zugleich das Text/Bild-Verhältnis in den Blick nehmenden Analyse von Leo von Klenzes 1814 veröffentlichter Architekturutopie leitet über zu jenen Studien, die sich mit dem Wechselverhältnis von Bild und Text befassen, wie es zum Beispiel anhand so unterschiedlicher Themen wie der Hypernotomachia Poliphilii (Horst Bredekamp), den Schöpfungen Arcimboldos (Carlo Bertelli), Francesco Mochis "Predigendem Johannes" (Joachim Moser), Poussins Pariser Selbstbildnis (Matthias Winner) oder der sich auch bildnerischer Mittel bedienenden Doktrinen (Pierangelo Schiera) nachgewiesen werden kann.
Victor Stoichita schließlich greift den von Preimesberger in den Bildern Jan van Eycks beobachteten Kunstgriff des gemalten Spiegeleffektes auf und verfolgt seine Implikationen in einer spanischen Darstellung des Erzengels Michaels aus dem 15. Jahrhundert (in diesem Beitrag kommt es zu kleinen bibliografischen Problemen in den Fußnoten, wenn einzelne Angaben zu Namen und Erscheinungsdaten lücken- oder fehlerhaft ausfallen; außerdem ist bei der Abbildung 5 auf Seite 13 der Bildausschnitt so knapp gewählt, dass das damit eigentlich zu zeigende Detail - der Konvexspiegel rechts über dem Kopf des Hl. Lukas - fast nicht erkannt werden kann: vergleiche dazu die hier beigestellte Illustration; dies sind jedoch Ausnahmen in dem ansonsten sehr sorgfältig und fast fehlerlos redigierten Band).
In seinem Bericht über die zu Ehren von Preimesbergers 65. Geburtstag organisierte Tagung an der Freien Universität Berlin bemängelte Johannes Hannemann, dass viele der dort gehaltenen Vorträge "stark (...) Konventionen der kunstwissenschaftlichen Hermeneutik verhaftet" geblieben seien [4] - über einen solchen Vorwurf ist diese, das methodische Profil wie die (im Schriftenverzeichnis zum Beschluss des Bandes dokumentierte) thematische Vielfalt des Jubilars würdigende Festschrift hingegen erhaben.
Anmerkungen:
[1] Aus: taz, Nummer 6576, 17.10.2001, Seite 16: "In Paradoxien und Parataxen"
[2] Aus: NZZ, 2.6.2001, Feuilleton
[3] Auch im Internet unter http://www.giub.uni-bonn.de/vgdh/mitteilung.html
[4] Tagesspiegel, 26.2.2001, S. 27: "Der Wettstreit zwischen den Künsten"
Henry Keazor