Imke König: Judenverordnungen im Hochstift Würzburg (15.-18. Jh.) (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 1999, 331 S., ISBN 978-3-465-03008-9, EUR 39,00
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Dieses Buch ist eine rechtswissenschaftliche Frankfurter Dissertation, die unter der doktorväterlichen Obhut von Michael Stolleis entstanden ist. Die Verfasserin bearbeitet laut eigener Angabe den Part "Hochstift Würzburg" in den von Stolleis und Karl Härter herausgegebenen "Repertorien der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit", wodurch sie auf ihr Thema gestoßen ist: die Rechtsbestimmungen für die Juden im Fürstbistum Würzburg. Die strukturelle Nähe der Dissertation zur Projektarbeit ist deutlich ersichtlich. Gemessen an den Maßstäben der Geschichtswissenschaft mangelt es ihr ausgesprochen an methodischer Selbstständigkeit beziehungsweise überhaupt an einer methodischen Fundierung - ein Kritikpunkt, der voranzustellen ist, weil er den Einstieg in Buch und Thema berührt.
Zunächst scheint die Darlegung von Sinn und Zweck der Arbeit der Verfasserin kein besonderes Anliegen gewesen zu sein. Die Einleitung bietet einen nur 20 Zeilen langen Abschnitt über "Judenverordnungen als Teil der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung", wobei die Frage, was "Judenverordnungen" - ich persönlich empfinde diesen ohnehin nicht zeitgenössischen Begriff als unglücklich - eigentlich seien und ob man hierbei von einem geschlossenen Regelungsbereich sprechen kann, nicht aufgeworfen wird. Sogleich aber wird man mit den strukturellen Grundbedingungen des Fürstbistums Würzburg konfrontiert (Territorialumfang, landständische Verfassung et cetera), allerdings unter der irreführenden Überschrift "Judenverordnungen im Hochstift Würzburg", denn darum geht es hier nicht. Der darauf folgende Abschnitt macht mit dem "Untersuchungszeitraum und Untersuchungsgegenstand" bekannt, das ist das Verordnungsgeschehen von 1467 bis zum Ende des Herrschaftsgebiets 1802. In diesem Rahmen nimmt sich die Verfasserin vor, "Entwicklungstendenzen aufzuzeigen und insbesondere der Frage nach Emanzipationsgesichtspunkten in den Judenverordnungen nachzugehen" (7). Das ist zwar ein (aus sachlichen wie methodischen Gründen wenig aussichtsreiches) Erkenntnisinteresse, bei der sodann angekündigten "Beantwortung dieser Fragen" bleibt jedoch schleierhaft, welche Fragen denn gemeint sind. Auch der ebenso knappe Einleitungsteil D begnügt sich mit einer wenig erhellenden Absichtserklärung, dass nämlich "ein Beitrag zur Erforschung der frühneuzeitlichen Policeygesetzgebung ... geleistet werden" soll, und dass das gewählte Spezialthema es ermögliche, "ein Bild der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Stellung der Juden im Hochstift Würzburg .... zu entwerfen" (9). Kurzum: Im Gegensatz zu den Mitarbeitern im Kontext der "Frankfurter Policeyforschung" ist der Verfasserin die Problematik normativer Quellen nicht bewusst [1]. Denn was lässt sich im gegebenen Rahmen über die "Emanzipation" der Juden auf Grund von Verordnungen erfahren? Wie verlässlich ist die konsequente Fixierung auf ein einzelnes Territorium?
Ins Bild passt somit auch, dass die Verfasserin kein Interesse für die historiographische Tradition mitbringt. Wenigstens summarische, wenn denn schon nicht kritisch-analytische Bemerkungen über den Stand der Forschung gehören aber zum Grundbestand einer jeden wissenschaftlichen Arbeit - und bei einem derart sensiblen Gegenstand wie der jüdischen Geschichte allemal. Daher ist von Rezensentenseite zu vermerken, dass aus den Jahren 1920 (D. Weger) und 1922 (M. Bohrer) Dissertationen über die hochstiftische Judenschaft vorliegen, die den gesamten Zeitraum des Königschen Werks abdecken. In jüngerer Zeit entstanden Darstellungen zu den Stadtwürzburger Juden im 19. Jahrhundert (U. Gehring-Münzel) sowie eine Überblicksdarstellung über die Gesamtgeschichte (R. Flade, 1987). Auch ist das übergreifend auf Franken bezogene Schrifttum über die Geschichte der Juden nicht zu übersehen (eine Gesamtdarstellung von L. Heffner erschien schon 1855), das hier nur mit den Namen Friedrich Lotter, Rudolf Endres, Klaus Guth und Klaus Wittstadt aus jüngerer Zeit verbunden werden soll. Daneben ist die spezifisch judaistische Forschung zu nennen, in erster Linie natürlich das Ortsverzeichnis Germania Judaica III, - aber warum nur hat die Verfasserin in ihrer 1998 angenommenen Dissertation den 1995 erschienen Band III, 2 mit dem 14-seitigen Ortsartikel "Würzburg" nicht herangezogen? Wie dem auch sei: Verglichen mit anderen historischen Regionen beziehungsweise alten Territorien kann man daher nicht wirklich sagen, dass das Stift Würzburg einen besonders vernachlässigten Gegenstand darstellt. [2]
Diesen Einwendungen zum Trotz hat die Verfasserin in dem, was ihre selbst gestellt Kernaufgabe war, gute und nützliche Arbeit geleistet: die Erhebung und systematische inhaltliche Befragung der für Juden relevanten Gesetze in der Erstreckung von rund dreieinhalb Jahrhunderten (hätte sie mit Ausnahme der entbehrlichen Bischofsliste nicht auf Grafiken, Karten und - vor allem - Indices verzichtet, wäre der Nutzwert aber noch größer). In zahlreichen Details schafft die Verfasserin sachliche beziehungsweise kausale Verknüpfungen (etwa bezüglich der Rolle der Landstände und hier insbesondere des Domkapitels), die die Forschung weiterbringen.
Die Untersuchung basiert, so die Aussage der Verfasserin (8), auf der Auswertung von "etwa 200 Einzelverordnungen". Diese waren von verschiedenen Fundstellen zu kollationieren, ergeben aber insgesamt ein kohärentes Quellencorpus. Dadurch und durch (mit Ausnahme einer einzigen Akte aus dem Stadtarchiv Würzburg) den Verzicht auf subsidiäre lokale Überlieferungen (und gegebenenfalls nicht in den Druck gegangene Spezialverordnungen!) erklärt sich die relativ schmale archivische Ausbeute.
Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Eine gute thematische Grundlage bietet der einleitende Überblick über die Rechtsgeschichte bis zum Ende des Mittelalters (Kapitel 1). Darauf folgt ein recht heterogenes Kapitel, das auf rund 40 Seiten "die Situation der Juden" in der Frühen Neuzeit schildern will und dabei nacheinander auf Vertreibungen, Schutzherrschaft, Bevölkerungsstatistik, "Erwerbsleben- und Siedlungsverhalten", Steuern, Wohnverhältnisse und die jüdische Selbstverwaltung eingeht. Kapitel 3 stellt en détail "inhaltliche Aspekte der Judenverordnungen" dar. Der Zeitraum umfasst genau 150 Jahre von 1467 bis 1617, wobei die Verfasserin 34 Verordnungen zur Grundlage hat. Da die diversen Ausweisungsbefehle hiervon eingeschlossen sind, sei einer von ihnen hervorgehoben: Die lange avisierte Ausweisung der Juden aus dem Fürstbistum 1560/1561 durch Fürstbischof Friedrich von Wirsberg war ein einschneidender Vorgang für die Würzburger Juden, die nun entweder das Territorium verlassen oder außerhalb der Städte und Marktflecken Zuflucht suchen mussten (siehe unten). Von dieser Maßnahme, für die sich Wirsberg auf Drängen des Kapitels bei Kaiser Ferdinand I. persönlich eine Erlaubnis abgeholt hatte, leitete sich die im Ganzen deutlich restriktive Politik der Würzburger Fürstbischöfe und Domkapitel in der Folgezeit ab (unter anderem 235).
Das folgende Kapitel 4 dagegen, das nun "Judenregelungen [!] im Zeitraum von 1617 bis 1802" untersucht, hat 163 Bestimmungen zur Grundlage, die sich mit 54 auf das 17. und mit 109 auf das 18. Jahrhundert verteilen. Die Verfasserin konstatiert folglich die gemeinhin angenommene, mehr oder minder kontinuierliche Verdichtung policeylicher Regelungstätigkeit vom 15. zum 18. Jahrhundert hin. Die durch diese Kapiteleinteilung suggerierte Zäsur des Jahres 1617 wird allerdings nicht plausibel gemacht. 1617 starb zwar Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, der das Hochstift bekanntermaßen einer in ihrer Kompromisslosigkeit wegweisenden katholischen Konfessionalisierung unterzogen hatte. Die Rechtsstellung der Juden aber veränderte weder er maßgeblich, noch taten dies seine Nachfolger, denn formaliter galt das Nichtansiedlungsgebot für Juden weiterhin. Wie die Verfasserin aber selbst hervorhebt (122, 173), standen die immer wieder erneuerten Verbote im Gegensatz zur schon unter Mespelbrunn geübten Praxis, die durch den (leider hier nicht spezifizierten) Heimfall ritterschaftlicher Lehen in die fürstbischöfliche Verfügungsgewalt geratenen Juden zu dulden. Ähnlich wie in manchem anderen Territorium wurde im Fürstbistum somit - wie zu schließen wäre - die Fiktion aufrecht erhalten, dass Juden zwar nicht geduldet wurden, obwohl sie auf Grund spezifischer rechtlicher Bedingungen eben doch ein Bleiberecht erhielten.
Für die Diffusion des Judentums in den ländlichen Bereich ist Franken ja als das Beispiel schlechthin bekannt: Nach den territorialen und städtischen (Nürnberg!) Vertreibungen siedelten sich viele Juden in den in Mainfranken überaus zahlreichen "Sonderrechtsgebieten" an. Dabei ist zu unterscheiden einerseits zwischen den Mediatgebieten innerhalb des Fürstbistums und den fremdherrlichen Enklaven (2). König nennt (50-53) den in der Literatur erhobenen Befund für das Jahr 1800, dem zufolge in den in der Regel klösterlichen Mediatorten rund 20% aller hochstiftischen Juden (3.672) lebten, und zwar in vergleichsweise großen Siedlungen. Sie machten insgesamt 1,4% der Gesamtbevölkerung aus. In Mainfranken (= heutiger bayerischer Regierungsbezirk Unterfranken) insgesamt aber lag der Bevölkerungsanteil der Juden bei 4%, was auf die mancherorts (und insbesondere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) unbeschränkte Zulassungspraxis der Reichsgrafen und -ritter verweist. Sofern die Fürstbischöfe nicht die Lehnsherrschaft über die ritterschaftlichen Besitzungen geltend zu machen verstanden, konnten sie den Zuzug der Juden weder kontrollieren noch sie zum eigenen Vorteil fiskalisch erfassen (unter anderem 115, 235).
Das letzte Kapitel (5) nimmt sich die Verordnungen nach "formalen Gesichtspunkten" vor. Was der Rechtshistorikerin als "Formalfrage" erscheint - wer verordnet was aus welchem Anlass, mit welcher Begründung und welcher Konsequenz im Fall der Nichtbefolgung - steht dem Allgemeinhistoriker freilich als ein Komplex von Kernfragen vor Augen, die nicht nach-, sondern vorrangig zu behandeln wären. Die Feststellung der Verfasserin in diesem Kapitel, dass ein "Großteil der Verordnungen" auf Wiederholungen beruhte beziehungsweise nur unmaßgeblich modifiziert wurde (285-291), relativiert im übrigen ihre eigene Aussage über die erhöhte Verordnungsdichte im 17. und 18. Jahrhundert und zieht die Frage nach der inhaltlichen Differenzierung mit sich. Gerade an dieser Stelle bietet die "Policeyforschung" der Kritik ja eine offene Flanke [3], die durch vorausschauende Argumentation "abzudichten" wäre.
Im Rückblick auf die angedeutete Ausgangsfrage nach dem eventuellen emanzipatorischen Potenzial der "Judenverordnungen", stellt König in ihrer "Schlußbemerkung" fest, dass "das Thema der Emanzipation oder Integration der Juden bis zum Ende des Hochstifts in den Verordnungstexten keine Rolle [spielt]" ( 313). Es ist dies zwar eine im beschränkten rechtsgeschichtlichen Verfahren gewonnene Einsicht. Schon die (König nicht bekannte?) Tatsache, dass die vielerorts in Deutschland gegen die Juden gerichteten pogromartigen "Hepp-Hepp"-Krawalle Anfang August 1819 in der alten Residenzstadt Würzburg ihren Ausgang nahmen [4], deutet indes stark darauf hin, dass dieser Befund mit der gesellschaftlichen Realität eines tief verwurzelten traditionellen Antisemitismus korrelierte.
Anmerkungen:
[1] Ich verweise nur auf die eingehende Problemerörterung von Achim Landwehr in seiner in derselben Reihe erschienenen Dissertation: Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a. M. 2000, hier S. 17-38.
[2] Vgl. jetzt für das Mittelalter Karlheinz Müller, Die jüdische Gemeinde, in: Ulrich Wagner (Hg.), Geschichte der Stadt Würzburg, Bd. I: Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Bauernkriegs, Stuttgart 2001, S. 515-542 [der zweite Teilband 2002 liegt mir noch nicht vor].
[3] Vgl. etwa Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647-663.
[4] Die Literatur hierzu ist inzwischen reichhaltig. Vgl. wohl zuletzt Christoph Kampmann, Protest gegen die Obrigkeit? Zur Deutung der judenfeindlichen Unruhen während des Vormärz, in: Historisches Jahrbuch 171 (2001), S. 471-500, hier S. 480-485.
Stephan Laux