Gerd Schwerhoff / Marion Völker / Stadt Bautzen (Hgg.): Eide, Statuten und Prozesse. Ein Quellen- und Lesebuch zur Stadtgeschichte von Bautzen (14. - 19. Jahrhundert), Bautzen: Neisse Verlag 2002, 240 S., ISBN 978-3-934038-16-5, EUR 8,80
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Bautzen feiert - Budyšin swjeći - ist das Motto der zahlreichen Aktivitäten zum tausendjährigen Stadtjubiläum des ehemaligen politischen Zentrums der Oberlausitz. Neben mehreren Ausstellungen, wissenschaftlichen Tagungen und einem prunkvollen Festumzug lässt sich dies auch an der Konjunktur historischer Neuerscheinungen zur Oberlausitz festmachen, die rechtzeitig zum Stadtjubiläum in lange nicht gekannter Zahl den Buchmarkt erobern. [1]
Eines der genau zu diesem Zeitpunkt erschienenen Werke ist das hier vorzustellende Buch, das sowohl inhaltlich als auch auf Grund seiner Konzeption und Entstehung beachtenswert erscheint. Das vorliegende "Quellen- und Lesebuch" wendet sich nicht nur an die Fachwissenschaft, sondern ebenso an die historisch interessierte Öffentlichkeit und trägt dennoch nicht unwesentlich zur Erweiterung unserer Kenntnisse über das Rechtsleben in einer der oberlausitzischen Sechsstädte bei. Inhalt und Aufbau machen es nicht nur für Landeshistoriker interessant, sondern auch für rechts- oder kriminalitätshistorisch interessierte LeserInnen oder für die Verwendung in Lehrveranstaltungen.
Der Band ist entstanden in Zusammenhang mit der Planung einer Bautzener Ausstellung zur städtischen Rechtskultur der Frühen Neuzeit und ging aus einem Seminar an der Technischen Universität Dresden hervor. Bei den BeiträgerInnen handelt es sich daher vorwiegend um Studierende.
Dem Leser wird keine umfassende Stadt-Rechts-Geschichte Bautzens in der Frühen Neuzeit geboten - der Band kann dies nicht, und er will dies auch nicht. Er bietet Mosaiksteine aus der Geschichte einer Stadt, die bislang kaum erforscht ist. Dies verwundert, wenn man die Bedeutung Bautzens als Sitz des Oberamts und der Oberlausitzer Ständeversammlungen, ihre konfessionelle Sonderstellung - die lutherische Stadt war zugleich Ort des katholischen Domkapitels, das sowohl die Reformation als auch die Übergabe der Oberlausitz an Sachsen 1635 überlebte - oder etwa die Zweisprachigkeit Bautzens und seines Landgebietes (deutsch-sorbisch) berücksichtigt. Diesen und weiteren Aspekten, vor allem aber der Geschichte der städtischen Strafgerichtsbarkeit trägt der Band Rechnung. Nach fünf einleitenden Aufsätzen (10-48) stehen in den fünfundzwanzig weiteren, kurzen Beiträgen jeweils einzelne charakteristische Quellen im Mittelpunkt, die ediert, interpretiert und in die Forschung eingebettet werden. Dass bei den AutorInnen dabei mitunter auch ein wenig die Lust am spektakulären Kriminalfall befriedigt wird, zeigt sich bereits an den Überschriften ("Im Angesicht des Todes"; "Ein 'Hundsfott' vor Gericht"; "Das Gnadengesuch einer Giftmörderin"). Dies tut der oft hohen Qualität der Beiträge aber keinen Abbruch, und außerdem scheint eine gewisse Sensationslust ja ein Phänomen zu sein, von dem die kriminalitätshistorische Forschung insgesamt manchmal nicht ganz unberührt sein dürfte.
Der Band gliedert sich in sechs Abschnitte, die sich der Entwicklung der städtischen Gerichtsbarkeit (50-88), den Trägern städtischer Verwaltung (90-109), gerichtlichen Konflikten (112-136), der (körperlichen) Strafpraxis (138-178), Inhaftierungsmaßnahmen (182-206) sowie den Wandlungen städtischer (Straf-) Gerichtsbarkeit um die Wende zum 19. Jahrhundert (208-232) widmen, wobei hier aus der Fülle der Beiträge nur einige wenige hervorgehoben werden können. Dem Leser breiten sich kaleidoskopartige Einblicke über Normen und Devianz im Umfeld einer frühneuzeitlichen Stadt aus: über eine Ehebrecherin und Giftmörderin, die auf ihr Gesuch hin von der Strafe des Säckens, das ist Ertränken zusammen mit Hund, Hahn, Schlange und Katze in einem Sack, zu Schwertstrafe und nachmaligem Rädern begnadigt wurde (172-178), über Ehrenhändel, etwa in Zusammenhang mit Schwängerung und nicht eingehaltenem Eheversprechen (117-123) oder einem Injurienprozess (124-130). Oder in einem sehr interessanten Artikel über die sich wandelnden, zunehmend differenzierten Umgangsweisen mit Selbstmord gegen Ende des 18. Jahrhunderts, die zeigen, wie sich Administration und Gerichtsbarkeit verstärkt für das jeweilige Individuum und die sozialen Umstände eines Suizids zu interessieren begannen (208-215). Man erfährt über den Ablauf von Stadtgerichtsverfahren mit sorbisch sprechenden Beteiligten und über die Einführung eines sorbischen Dolmetschers (38-47) oder über die Aus-, Ein- und Übergriffsversuche der Landesherrschaft in die städtische Administration Bautzens, das seine Gerichtsautonomie immerhin bis ins Jahr 1856 verteidigen konnte.
Viele der Beiträge gehen damit über die Analyse regionaler Besonderheiten hinaus und beleuchten die Forschungsmöglichkeiten, die sich auf der Basis des Oberlausitzer oder im engeren Sinne Bautzener Quellenmaterials in der Zukunft noch bieten. Der Band wird beschlossen von einer Bibliografie zur Bautzener Stadtgeschichte; er ist bebildert und zu einem sehr ansprechenden Preis erhältlich. Eine Leserschaft, die über den Kreis der unmittelbar Lausitz- oder Bautzeninteressierten hinausreicht, ist ihm zu wünschen.
Anmerkung:
[1] Unter den Neuerscheinungen seien nur genannt: Joachim Bahlcke (Hg.): Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Wirtschaft und Kultur vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Leipzig 2001. Ders./Volker Dudeck (Hg.): Welt - Macht - Geist. Das Haus Habsburg und die Oberlausitz 1526-1635. Ausstellungskatalog, Görlitz/Zittau 2002. Karlheinz Blaschke: Beiträge zur Geschichte der Oberlausitz. Gesammelte Aufsätze, Görlitz/Zittau 2000. Ernst-Heinz Lemper: Görlitz. Eine historische Topographie, Görlitz/Zittau 2001.
Alexander Schunka