Götz-Rüdiger Tewes: Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 95), Tübingen: Niemeyer 2001, X + 470 S., ISBN 978-3-484-82095-1, EUR 68,00
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Die Lektüre dieser Kölner Habilitationsschrift ist ein "per aspera ad astra", wenn es so etwas je gegeben hat. Denn der Weg durch die ökonomischen Beziehungen des Renaissancepapsttums zu den Ländern Europas wird dem Leser durchaus nicht leicht gemacht - doch der Lohn ist ihm sicher: Am Ende dieses Buches steht wahrhaftig ein Zuwachs an Erkenntnis, und dies für einen ganz zentralen Bereich der europäischen Geschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Der Frage nach Qualität und Intensität der Kontakte der europäischen Länder zur päpstlichen Zentrale geht der Autor auf eine Weise nach, die den spezifischen Charakter des Papsttums als einer weltumspannenden, supranationalen Institution für eine vergleichende und die nationalstaatlichen Gesichtspunkte auch früherer römischer Forschungen weit hinter sich lassende Geschichtswissenschaft auf eindrucksvolle Weise fruchtbar macht. Dabei konzentriert er sich nicht ausschließlich auf die Besetzung der besonders prominenten Bischofssitze, sondern berücksichtigt alle Arten von Benefizien, bis hin zu Pfarrkirchen. Durch diese Verbreiterung des Forschungsgegenstandes erzielt er zugleich eine deutlich größere Tiefenschärfe, als dies durch einen Gang von Gipfel zu Gipfel möglich wäre.
Götz-Rüdiger Tewes wertet für die drei Pontifikate Calixts III. (1455-1458), Innozenz' VIII. (1484-1492) und Leos X. (1513-1521) die im 18. Jahrhundert erstellten "indici" zu den Kanzleiregistern der päpstlichen Bürokratie aus. Durch die Beschränkung auf diese Beispiele und durch den nur punktuellen Rückgriff auf die Register selbst kann er Entwicklungen aufzeigen, die ansonsten nur durch eine historiographische Fabrik hätten eruiert werden können, - es ist fraglich, ob mit größerem Erfolg.
Die Darstellung gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Großabschnitt stellt der Verfasser das von ihm untersuchte Phänomen tabellarisch und "versprachlicht" dar, im zweiten Abschnitt kontextualisiert er den von ihm beschriebenen Befund und zieht Schlussfolgerungen für die jeweiligen Kirchen- und Nationalpolitiken. Er identifiziert, ausgehend von den in den "indici" verzeichneten Diözesen, politische Räume - Deutsches Reich, Frankreich, Spanien und Portugal, Italien und den Rest des Orbis christiani, den er als "fließende Peripherie" bezeichnet -, deren Beziehungen zur Kurie für jeden der genannten Pontifikate analysiert werden. Dabei werden regelmäßig zuerst die Räume und ihre römischen Kontakte einzeln vorgestellt, danach die behandelten Materien beschrieben und schließlich die betreffenden Personen in den Blick genommen. Die einzelnen Räume bleiben dabei jedoch keine homogenen Blöcke, sondern sie werden einer gründlichen Binnendifferenzierung unterzogen. So kann Tewes im Kapitel über Calixt III. für das Deutsche Reich eine ganz eindeutige Dominanz der nord- und südwestdeutschen Diözesen feststellen, während er für Frankreich eine Zweiteilung des Landes in die Herrschaftsräume Burgund, Bretagne und Lothringen mit einer hohen Dichte an römischen Kontakten und die königsnahen und zentralen Großprovinzen, die sich durch auffällige Kurienferne auszeichneten, beobachtet.
Während die deutschen Kurienkontakte in der Zeit Calixts III. eindeutig die der anderen Räume überwogen, steigerte sich der französische Anteil unter Innozenz VIII. geradezu explosionsartig und ließ sowohl Deutschland als auch Italien zurücktreten. Diese Entwicklung setzte sich unter Leo X. fort. Besonders für Frankreich kann man nun von einem kontinuierlich intensivierten Rombezug ausgehen, auch Spanien kommunizierte in hohem Maße und in relativ großer interner Ausgeglichenheit mit der Kurie, in Italien blieb die bereits zuvor angelegte Dominanz der nördlichen Diözesen über den Süden - auf insgesamt hohem Niveau - bestehen. Die als "Pfründenjäger" bezeichneten Mehrfachprovidierten rekrutierten sich fast ausschließlich aus dem Kreis der Kurialen, doch auch diese zielten - wie die anderen Bittsteller - meist auf Benefizienakkumulation in ihren Heimatregionen ab. Dabei wird deutlich, wie gering der deutsche Anteil innerhalb dieser Personengruppe ausfällt: Ein Hinweis auf die fast völlige Abwesenheit der persönlichen Kurienbeziehungen von Deutschen im Verhältnis zu Franzosen, Spaniern und Italienern.
Im zweiten Großabschnitt seiner Untersuchung wendet Götz-Rüdiger Tewes sich zuerst den kirchenpolitischen Rahmenbedingungen zu, in die seine Ergebnisse zu platzieren sind. Es handelt sich dabei regelmäßig um entweder formal ausgehandelte oder durch Gewohnheitsrechte zur Norm gewordene Kompromisse zwischen der Universalmacht "Papsttum" und den werdenden Nationalstaaten. Nach diesen rechtlichen Grundlagen bestimmt der Verfasser die so genannten "Interessenräume" der Päpste, also die Regionen, denen sich die Kurie nicht ausschließlich auf Anfragen reagierend annäherte - sie werden als "Zuwendungsräume" bezeichnet -, sondern die sie aktiv durch Kurialbreven erfasste. Für Calixt III. fällt auf, dass einerseits innerhalb Frankreichs und Spaniens Zuwendungs- und Interessenräume korrelierten, andererseits das als wichtigster Zuwendungsraum identifizierte Deutsche Reich zugleich kaum als Interessenraum in Erscheinung trat, - Ergebnis des Desinteresses des Kaisers an den päpstlichen Kreuzzugsplänen und des antirömischen Affekts des deutschen Episkopats. Unter Innozenz VIII. entdeckte die französische Monarchie das Mittel der päpstlichen Pfründenprovision zunehmend als Element ihrer Patronagepolitik: Gerade königliche Amtsträger, überhaupt der juristisch gebildete Adel, gerieten in den Genuss von Pfarrkirchen - ein markanter Kontrast zur zögerlichen Wahrnehmung des Präsentationsrechts durch Kaiser Friedrich III. Diesem Befund entsprach der hohe französische Anteil bei den Annatenzahlungen Europas an die Kurie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der sich vor allem auf Pfarrkirchen bezog. Für Leo X. kann man von einer massiven Intensivierung dieser Tendenzen ausgehen: Gerade Frankreich wurde zum wichtigsten finanziellen Partner der Kurie, was sich jedoch nicht - oder nur zu einem geringen Anteil - in den Annatenregistern niederschlug. Dieser Befund bildet das Scharnier für eine sehr detaillierte Untersuchung der französischen Kurienbeziehungen unter dem ersten Medici-Papst, von detektivischem Spürsinn getrieben und teilweise spannend wie ein Kriminalroman.
Im 15. Jahrhundert hatte sich die Medici-Bank als wichtigstes Bindeglied zwischen dem Papsttum und der französischen Monarchie, die ihre Kurienkontakte zunehmend ausbaute, etabliert. Dies sowohl auf der Ebene der finanziellen Transaktionen (für die Einziehung der Servitien- und Annatenzahlungen) als auch hinsichtlich der Vertretung französischer Interessen am päpstlichen Hof. Besonderes Augenmerk verdienen in diesem Zusammenhang die Person und Aktionen des Florentiner Bankiers Dominicus de Attavantis und das Bankhaus Bartolini, das die Medici-Bank in Lyon gleichsam beerbt hatte. Leonardo Bartolini nämlich gewährte Leo X. (und seinen weltlichen Verwandten) vier bedeutende Kredite, für die er als Sicherheit die annatenpflichtigen Bullen für französische Benefizien direkt von der apostolischen Kammer erhielt. So wurde - mit Einwilligung des französischen Königs! - ein Großteil des französisch-römischen Finanzstroms zur Finanzierung des Medici-Haushalts verwendet; dies geschah andererseits heimlich, unter Ausschluss der respektiven Öffentlichkeiten, indem der Annatenverkehr nach Rom bewusst verschleiert wurde. Diese hochkomplizierte Strategie ruhte auf seit langem begründeten und sorgfältig gepflegten Kontakten der Medici zur französischen Oberschicht und einer ausgereiften diplomatischen Tradition der französischen Könige gegenüber der Kurie.
In dem Kapitel, das den zweiten Hauptteil seiner Arbeit abschließt, konfrontiert Götz-Rüdiger Tewes den zuvor ausführlich dargestellten wirtschaftshistorischen Befund mit den verschiedenen nationalen Traditionen von Kurienkritik an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Die zum Teil bekannten deutschen "Gravamina" kann er dabei als sich stereotyp wiederholende, völlige Fehleinschätzungen der tatsächlichen Lage entlarven. Diese waren generiert durch eine kaum zu übertreffende Entfremdung Deutschlands von Rom, einer Missachtung der Kurie und einer in jeder Hinsicht inferioren Diplomatie des Reiches. In Spanien hingegen hatte die lebhafte Romkritik Konsequenzen, die sich zum Nutzen der "nationalen" Interessen (oder eher: der Interessen der Monarchie) auswirkten; es gelang eine starke Verknüpfung des Benefizienwesens mit der Patronagepolitik der spanischen Krone und zugleich die überwiegende Bindung von Pfründen an Empfänger aus der Herkunftsregion. In Frankreich schließlich war die Situation sehr viel "klagwürdiger" als in Deutschland; die rigide Kontrolle des Romganges durch die Monarchie und die Abschottung des französischen Pfründenmarktes vor Fremden führten jedoch dazu, dass die reale Situation kaum als problematisch empfunden wurde. Während in Deutschland laut geklagt wurde, ohne dass eine wirklich kritische Situation dazu Anlass gegeben hätte, blieben in Frankreich real vorhandene Probleme unbeklagt.
Wo eine zentrale Staatsgewalt existierte und aktiv auf die Kurienbeziehungen ihrer bepfründeten Untertanen einwirkte, konnte das Benefizienwesen zum Nutzen sowohl der römischen Zentrale als auch der Monarchien und Eliten der jeweiligen Länder gestaltet werden. In Deutschland hingegen stand man den Möglichkeiten einer kontrollierten Gestaltung des Verhältnisses zu Rom weitgehend hilflos - unfähig - gegenüber. Zu den Bedingungen der Reformation gehörte, so das Fazit von Götz-Rüdiger Tewes, nicht der päpstliche Zugriff auf die kirchlichen Finanzen eines Landes, sondern das Fehlen seiner Formung.
Diese Arbeit zeigt auf höchst eindrucksvolle Weise, wie sehr eine auf intensiven und detaillierten Quellenstudien ruhende Untersuchung, die den häufig erhobenen Ruf nach europäisch vergleichenden Ansätzen wirklich erhört, zur gründlichen Revision von historiographischen Stereotypen und lieb gewordenen Vorurteilen beitragen kann. Dass eine solche Leistung primär in Rom erbracht wurde, spricht nicht gegen das Papsttum als würdiges Objekt zeitgenössischer Geschichtswissenschaft.
Christian Wieland