Götz-Rüdiger Tewes / Michael Rohlmann (Hgg.): Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Politik, Kultur und Familiengeschäfte in der europäischen Renaissance (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; Bd. 19), Tübingen: Mohr Siebeck 2002, 609 S., ISBN 978-3-16-147769-0, EUR 129,00
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Während in Oberitalien der Krieg zwischen kaiserlich-päpstlichen Truppen und der französischen Armee tobte, starb in Rom Papst Leo X. (Giovanni de' Medici) nach heftigen Fieberschüben in der Nacht des 1. Dezembers 1521 im Alter von 46 Jahren. Das Schwarzwerden und Anschwellen der Leiche wurde als sicheres Indiz für ein Verbrechen gedeutet, und bald kursierte in der Ewigen Stadt das Gerücht, die französische Fraktion - namentlich der frankophile Mundschenk Malaspina - sei für das frühzeitige Ableben des ohnehin schon kränklichen und übergewichtigen Pontifex verantwortlich.
Allein, das Verhör des Verdächtigen und die Obduktion ergaben keine eindeutigen Hinweise auf einen Giftanschlag. Daraufhin veranlasste der Cousin des Verstorbenen, der Kardinalnepot und nachmalige Papst Clemens VII., Giulio de' Medici, eigenhändig die Freilassung Malaspinas. Mit dieser Geste, so schreibt Pastor, habe Giulio angeblich versucht, "sich Franz I. nicht zum unversöhnlichen Feinde zu machen, falls derselbe in die Sache verwickelt sein sollte". [1]
So makaber diese Episode anmutet, sie steht geradezu exemplarisch für die schicksalhafte, rund zweihundert Jahre währende Beziehung der berühmtesten Florentiner Dynastie zum französischen Königshaus: Eine von politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen geprägte Hassliebe im Wechselbad skrupellosen Lavierens, wobei das Schicksal des Einzelnen stets der Familienräson untergeordnet blieb.
Der vorliegende Tagungsband konzentriert sich auf die nachgerade zukunftsweisende - aber eben auch ambivalente und mysteriös endende - Phase, in der mit Leo X. der erste aus dem Hause Medici die Kathedra Petri bestieg und dergestalt während seiner achtjährigen Amtszeit (1513-1521) entscheidend das weitere Zusammengehen seiner Familie mit den Herrschern Frankreichs prägte. Die beiden Herausgeber und ausgewiesenen Italianisten, der Historiker Götz-Rüdiger Tewes und der Kunsthistoriker Michael Rohlmann, veranstalteten im Herbst 1999 in Rom ein interdisziplinäres Symposium, das neues Licht in ebendiese Verstrickungen brachte.
Wie Tewes und Rohlmann in der Einleitung erklären, wurde die Idee, eine solche Tagung auszurichten, sowohl aus ihrem beiderseitigen Interesse an der schillernden Figur Leos X. und seiner Familie als auch aus der Notwendigkeit heraus geboren, das von der Forschung bisher viel zu wenig wahrgenommene politische, kulturelle und finanzielle Beziehungsgeflecht zwischen dem ersten Medici-Papst und Frankreich transparenter zu machen. Diese "Fokussierung auf die Medici-Frankreich-Achse", so die Herausgeber, "ist eine sachlich gerechtfertigte, aus der Politik des Medici-Papstes selbst resultierende Konsequenz. Leo X. schenkte eben keine Raffaelgemälde nach Deutschland oder Spanien, die Medici schickten dorthin keine Altargemälde. Nur den französischen König ließ der Papst in seinen Gemächern porträtieren, nur den vom französischen Königshaus präsentierten, 'französisch' gewordenen Mönch Francesco di Paola sprach er in einem forcierten Kanonisationsprozess heilig. Im Vatikan sangen vornehmlich französische Sänger französische Kompositionen; die Medici feierten französische Hochzeiten [...]. Ihre dringend und immer dringlicher benötigten Finanzmittel schöpften die Medici und ihre befreundeten, verwandten Bankiers ganz überwiegend aus dem französischen Königsreich, nicht aus dem spanischen oder gar deutschen und erst recht nicht aus dem englischen [...]" (9).
In insgesamt zwölf Beiträgen untersuchen mehrheitlich deutschsprachige Forscher diesen Themenkomplex, wobei die beiden Herausgeber, was den Umfang, aber auch die Methodik betrifft, besonders gewichtige Beiträge geliefert haben. Zunächst entwickelt Tewes das Prinzip des "do ut des", das als Leitgedanke die politischen, finanziellen und familiären Beziehungen zwischen den Medici und Frankreich charakterisiert. Lange vor der - notabene eher überraschenden - Wahl Leos X. waren die Medici so eng wie kaum eine andere italienische Familie mit der französischen Krone verstrickt und auch von ihr abhängig. In besonderer Weise gilt dies für das auf Frankreich ausgerichtete Finanznetzwerk der Bankiersfamilie. Daher sah sich Leo X., so folgert Tewes, förmlich gezwungen, allfällige persönliche Vorbehalte gegenüber den Franzosen aufzugeben, wollte er das von Mittelsmännern in Lyon verwahrte Vermögen seiner exilierten Familie zurückgewinnen, sich Frankreich als Aktionsfeld für künftige Finanzgeschäfte sichern und durch etwaige Ehebündnisse mit dem französischen Hochadel den sozialen Aufstieg seiner Angehörigen besiegeln. Nur so ist es wohl auch zu verstehen, dass der Papst Ludwig XII. und besonders dessen ab 1515 regierendem Nachfolger Franz I. in wesentlichen Punkten über die Maßen entgegenkam. Das gilt sowohl für kirchliche Gunsterweise gegenüber den Franzosen, die im Konkordats-Vertrag von Bologna (1515) und der prestigeträchtigen Heiligsprechung des neuen französischen Nationalheiligen Francesco di Paola (1519) gipfelten, als auch hinsichtlich politischer Hilfestellungen, wie der von Leo X. begrüßten Eroberung Mailands durch die Franzosen (1515) und der eindeutigen Parteinahme zu Gunsten der (vergeblichen) Bewerbung Franz' I. um die Kaiserwürde.
Die Hoffnungen freilich, die Leo X. auf diese nur schwer vor den anderen europäischen Großmächten zu rechtfertigende und daher oft verheimlichte Bevorzugung setzte, gingen - zumindest vorerst - nicht in Erfüllung. Franz I. stellte sich schon bald als unberechenbarer und unzuverlässiger Bündnispartner heraus, der den Pontifex des Öfteren durch Indiskretionen desavouierte. Gleichwohl schien diese Allianz dem Papst das einzige Mittel, um die Hegemonie der den Medici seit jeher verhassten Habsburger in die Schranken zu weisen und die partikularen und natürlichen Interessen seiner Familie zu wahren. Erst als die Übermacht Karls V. erdrückend wurde, im Mai 1521, sah sich der Pontifex zu einem pragmatischen Seitenwechsel genötigt und ging mit den Habsburgern die für Italien verhängnisvolle antifranzösische Allianz ein.
Im Gegensatz zu Tewes konzentriert sich Rohlmann auf kulturelle und künstlerische Berührungspunkte innerhalb der Medici-Frankreich-Achse. Er legt überzeugend und spannend den propagandistisch-prophetischen Charakter einzelner Kunstwerke dar, die im Spannungsfeld zwischen Leo X. und Franz I. stehen. Dabei macht er das allusorische Potenzial von Bild- und Reliquiengeschenken, die dem französischen König überreicht wurden, deutlich. Er untersucht eingehend das Freskenprogramm der vatikanischen Stanza dell'Incendio, das den amtierenden Papst im Antlitz seiner gleichnamigen Vorgänger als durch Vorsehung erwählten Bewahrer und Verteidiger päpstlicher Autorität und Heilsbringung feiert und zugleich den jungen Franz I. als Garanten für die Machtentfaltung des Hauses Medici ins Bildgefüge integriert.
Umreißen die beiden Herausgeber somit kenntnis- und facettenreich die Rahmenhandlung zwischen politisch-finanziellen Avancen und künstlerischen Beschwörungsformeln in dieser doch eher einseitigen Allianz, in der Leo X. zur Hauptsache als Gebender und die Franzosen als Nehmende erscheinen, so spiegeln die übrigen, qualitativ durchwegs hoch stehenden und innovativen Einzelstudien die gefährliche Gratwanderung dieser Annäherung.
So zeigt beispielsweise Pietschmann die fatale Fehleinschätzung des Papstes, der irrig meinte, durch die Heiligsprechung des Francesco di Paola den Franzosenkönig "in eine Art göttliche Pflicht" (159) nehmen zu können, und auch Kempers illustriert in seiner scharfsinnigen Analyse der Stanza dell'Incendio den mangelnden Realitätssinn Leos X., der hoffte, mit seiner Kreuzzugsidee eine "union des princes" (375) unter seiner Leitung bewirken zu können. Ganz allgemein vermisst man bei Leo X. das weitsichtige Kalkül und den latenten Argwohn gegenüber den Franzosen, wie sie dessen Vater, Lorenzo dem Prächtigen, von Böninger in seinem Aufsatz über die frühe Frankreich-Politik der Medici attestiert werden.
Doch nicht allein die politische Blauäugigkeit des bekanntermaßen kurzsichtigen Medici-Papstes verhinderte ein allzu reibungsloses Zusammenwirken dieser zwei europäischen Mächte, sondern auch kulturelles Miss- und Unverständnis. Die von Fritz rekonstruierte, burleske Geschichte, in der ein Bildgeschenk des apostolischen Unterhändlers Bibbiena auf die Galanterie des ungestümen Königs anspielt, zeugt ebenso von solchen Ressentiments wie der klug geschriebene Beitrag von Tauber über den selbstbewusst-chauvinistischen Hof des jungen Franz I., der mit Zeichen- und Symbolsystemen operierte, die den Italienern bisweilen nur ein Achselzucken entlockten und sie in ihrem Vorurteil der gallischen Unkultiviertheit bestärkten. Wo hingegen unbestrittenermaßen kulturelle Gemeinsamkeiten bestanden, etwa auf der musikalischen und bibliophilen Ebene, da konstatieren die Beiträge von Roth und von dem Knesebeck primär eine erbitterte Konkurrenz zwischen Leo X. und Franz I.
Aussagekräftig sind schließlich zwei Beiträge, die auch einen Blick auf die Frankreich-Beziehungen der Medici nach dem tragischen Tod Leos X. werfen. Dabei führen sie deutlich das gesteigerte Selbstvertrauen und Autonomiestreben der Dynastie vor Augen. Maissen legt dar, wie die Medici im Laufe des 16. Jahrhunderts eine autochthone Historiographie begründeten, die im "mito etrusco" wurzelte und damit ihr Geschlecht aus der spätmittelalterlichen Florentiner Stifterlegende um Karl den Großen als Erneuerer der Arno-Stadt loslösten. Strunck hingegen unterzieht das Bild Leos X. in späteren mediceischen Dekorationsprogrammen einer kritischen Prüfung und kommt zum Schluss, dass die Rolle des ersten Medici-Papstes von seinen Nachkommen je nach politischer Großwetterlage definiert wird: Bald wird Leo X. als Befreier Italiens und als Bezwinger Frankreichs überhöht, bald ist er das religiöse Grundpfand für die Verbindung der beiden Mächte, und im Pariser Audienzzimmer der Königinmutter Maria de' Medici erscheint er als versöhnliche Gründerfigur der Allianz zwischen Frankreich und der Florentiner Familie.
Das anbiedernde, letztlich ganz Europa polarisierende "do ut des" Leos X. gegenüber den Franzosen, das in diesem lesenswerten Tagungsband deutlich zum Ausdruck kommt, hat sich, langfristig betrachtet, zumindest für seine Familie durchaus gelohnt; eigentlich stellt sich nur noch die Frage, ob der wankelmütige Pontifex für den Weiterbestand dieser Koalition gar mit seinem Leben bezahlen musste.
Anmerkung:
[1] Ludwig von Pastor: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance und der Glaubensspaltung. Von der Wahl Leos X. bis zum Tode Klemens' VII. (1513-1534), Erste Abteilung, 5.-7. Auflage, Freiburg i. Br. 1923, 347.
Matthias Oberli