Julian Kliemann / Michael Rohlmann: Wandmalerei in Italien. Die Zeit der Hochrenaissance und des Manierismus. Aufnahmen von Antonio Quattrone und Ghigo Roli, München: Hirmer 2004, 495 S., 236 Farbtafeln, ISBN 978-3-7774-2255-8, EUR 132,00
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Hält man das hier zu besprechende Buch in den Händen, so möchte man nicht glauben, dass diese Publikationsform jemals einen Ersatz in digitaler Form finden könnte. Der schwere, in seinem Genre und Format (27 x 32,5 cm) aber wohlproportionierte Band, ist ohne Frage ein weiteres Glanzstück der Gattung des illustrierten Kunstbuches, wie man es aus dem Hirmer-Verlag inzwischen kennt. Ihr Kennzeichen ist die gleichwertige Behandlung von Bild und Text, an die man in ästhetischer, wie auch in technischer und wissenschaftlicher Hinsicht höchste Ansprüche stellt. Dem von hinderlichen Lichtverhältnissen, lärmenden Touristenströmen und ärgerlichen Auflagen der Denkmalwächter und Besitzer, ungestörten Leser ermöglichen die hervorragend gedruckten, ausnahmslos farbigen Abbildungen eine ästhetische Erfahrung, die jene des Originals in manchem Aspekt übertreffen mag, jedenfalls aber fruchtbar ergänzt. Dies gilt besonders für Werke wie Michelangelos Deckenausmalung der Sixtinischen Kapelle und Raffaels Stanzen im Vatikan, die im vorliegenden Band auf insgesamt 58 Tafeln in vorzüglichen Gesamt- und Detailaufnahmen zu sehen sind, was etwa einem Viertel der Tafeln entspricht. Kennt man diese Werke schon gut aus Abbildungen anderer Prachtbände nach denselben Vorlagen, so sind die meisten der übrigen abgebildeten Objekte von Antonio Quattrone und Ghigo Roli eigens für diese Publikation neu fotografiert worden. Die Bilddokumentation ist desto wertvoller, wo es sich um Orte handelt, die dem Fachmann zwar bekannt, jedoch nur unter erheblichen Schwierigkeiten zu besichtigen sind, was etwa für die Deckenausmalung der Carracci in der Galleria des Palazzo Farnese gilt oder auch für Salviatis großartige Fresken im Palazzo Ricci-Sacchetti.
Erweiterten Ansprüchen hat in einem Überblickswerk dieser Art aber auch der Text zu genügen. Er kann sich nicht darauf beschränken, allein die neuesten Kuriosa der Spezialforschung auszubreiten, sondern in angemessener sprachlicher Form zu einer Sichtweise der Objekte anzuleiten, welche anerkannte ebenso wie avanciertere, wissenschaftliche Perspektiven integriert und sowohl dem interessierten Laien wie auch dem Wissenschaftler den aktuellen Kenntnisstand vermittelt. Julian Kliemann und Michael Rohlmann, ausgewiesene Spezialisten der Geschichte der Kunst Italiens mit Verbindung zur Bibliotheca Hertziana, haben diese Herausforderung bewältigt, ohne allzu unangenehme Kompromisse eingehen zu müssen, es sei denn vielleicht, dass man auf Fußnoten, diese Zeichen entwickelter Gelehrsamkeit, zu verzichten hatte. Ausgewählte Forschungsliteratur wird aber im Anhang jeweils zu den einzelnen Objekten angeführt, und gelegentlich - allerdings sehr unsystematisch und unregelmäßig - wird im Text in Klammern ein Verweis angebracht. Je nach der Prominenz der Objekte sind die Angaben zudem sowohl qualitativ wie quantitativ unterschiedlich, und so wäre ein Kommentar hierzu mit Sicherheit hilfreich gewesen.
In den formalen und weiteren konzeptuellen Aspekten hatten sich die Autoren an das bewährte Schema der Hirmer-Reihe zur italienischen Wandmalerei seit der Giotto-Zeit zu halten, zu der Steffi Roettgen zwei und Joachim Poeschke einen Band beigetragen haben. Diese Bände setzen auf das Prinzip der repräsentativen Auswahl von Objekten, die chronologisch geordnet, katalogartig in einer Tafelserie mit erläuterndem Text zu jedem Objekt vorgestellt werden. Ein relativ kurzer Text zum Gesamtkomplex - im vorliegenden Band sind es zwei - fungiert als Einleitung und enthält Abbildungen und Erläuterungen von wichtigen Objekten, die nicht im Katalogteil aufgenommen sind.
In den vier Bänden der Reihe ist insgesamt ein Auswahlkorpus jener Gattung entstanden, die im Italien der Frühen Neuzeit die öffentliche Erscheinung der Malerei als Kunstform wesentlich geprägt hat. Mit dem Ende des 16. Jahrhunderts zeigt sich hier eine Wende an - so argumentiert Michael Rohlmann am Ende seines Einleitungsaufsatzes - insofern das Fresko die Leitfunktion zusehends an das mobile Staffeleibild verliere, von dem immer stärker die entscheidenden Neuerungen und Entwicklungen der Malereigeschichte ausgehen würden. Hieraus ergibt sich eine Begründung für die vierbändige und nun also abgeschlossene Buchreihe, doch zeigt der Verlauf der historischen Entwicklung an, dass die grundsätzliche Beschränkung des Blickes auf die Wandmalerei schon im 16. Jahrhundert streckenweise problematisch wird. Manche Formen und Entwicklungen lassen sich nicht befriedigend ohne Blick über die Grenzen der Wandmalerei hinaus erklären. Man denke etwa an die Ausstattung der Scuola del Santo in Padua, deren Fresken natürlich mit der Leinwandmalerei Venedigs in Relation gesehen werden müssen. Die meisten der im vorliegenden Band erwähnten Künstler haben auch keineswegs nur als Wandmaler gearbeitet. Doch Gegenstand des Buches, wie auch der ganzen Reihe, ist ohnehin gar nicht die Geschichte der Gattung, als vielmehr die Präsentation von repräsentativen Meisterwerken, die je für sich historisch erklärt werden.
Dies ist besonders interessant, wo es sich um komplexere, geplante Bildsysteme handelt. Nur solche als "Bildzyklen" bezeichnete Werke werden in den Katalog aufgenommen und in einem eigenen Artikel monografisch behandelt. Die Artikel sind von unterschiedlicher Länge, meist mit Augenmaß nach der - sehr unterschiedlichen - Bedeutung des Objektes bemessen, sodass der Artikel zu Raffaels Stanzen zweiundzwanzig Seiten umfasst mit vierzehn Vergleichsabbildungen im Text, während die Kürzesten einschließlich Vergleichsabbildungen nur an die vier Seiten zählen. Die Texte beginnen mit den Umständen der Auftraggeberschaft, Datierung, Nennung der Urheber, fahren fort mit der Erläuterung der Themen und zielen schließlich auf die Erfassung der spezifisch künstlerischen Aspekte, wie etwa der Modi der Bilderzählung, der Verknüpfung der einzelnen Themen, der Art und Weise des Umganges mit der Illusion, der Integration des Betrachters. Beide Autoren folgen diesem Schema im Prinzip, wenn auch mit Unterschieden in der Argumentationsweise und in der Betonung der Aspekte. Wenn Rohlmann immer wieder auf die jeweilige Betrachteransprache verweist und gelegentlich auch stimmungshaltige Formulierungen zur Wirkungsweise wagt ("Tod und Leid reichen in unsere Welt hinein" heißt es etwa zu Pordenones "Beweinung" in Cremona; 219), so argumentiert Kliemann grundsätzlich knapper. Fragen der ikonografischen Deutung stellt er jeweils etwas stärker in den Vordergrund, wobei diese Aspekte aber, wie beispielhaft die Texte zu Poggio a Caiano oder zur Galleria Farnese zeigen, auch in Relation zur anschaulichen Situation kritisch und überaus kenntnisreich diskutiert werden, sodass man hier und da gerne auch noch etwas länger den Gedankengängen des Interpreten gefolgt wäre.
Auch in den beiden Einleitungstexten steht nicht die Darstellung einer Entwicklungsgeschichte der Gattung im Vordergrund. Kliemann befasst sich hier mit der profanen Wandmalerei, deren Grundprobleme er luzide und knapp erläutert, wobei er historische Aspekte fast beiläufig einbringt, etwa den Hinweis auf die besondere Antikenrezeption des 16. Jahrhunderts, die gefördert wurde durch die neuen Erkenntnisse von Ausgrabungen und humanistischer Forschung. Tatsächlich wäre der nur angedeutete, direkte Vergleich von profaner und sakraler Wandmalerei aufschlussreich und interessant gewesen, denn die beiden Bereiche entwickeln sich in der Tat asynchron - was sich denn auch in der Auswahl der zwanzig Beispiele im Katalogteil durchaus niederschlägt. Unübersehbar erreicht die profane Wandmalerei im 16. Jahrhundert eine enorme Vielfalt, und die Gattung erlebt in diesem Aufgabenfeld eigentlich ihre goldene Zeit. Für die sakrale Wandmalerei, die von Rohlmann einführend nach den unterschiedlichen Bildorten und entsprechenden Aufgaben vorgestellt wird, kann das nicht in gleicher Weise gesagt werden. Sie scheint im Jahrhundert der Reformation gehemmt zu sein. Einerseits hat sie den reichen Traditionen der früheren Zeit zu folgen, andererseits verwehrt, wie Rohlmann richtig anmerkt, die neue Renaissancearchitektur, die zumindest in ihren Leitmonumenten auf Autonomie der architektonischen Gestaltung setzt, der bunten Bilderausstattung ihre freie Entfaltung.
Dies muss im Ergebnis heißen, dass man in der sakralen Wandmalerei grundsätzlich anderes zu erwarten hat als im profanen Bereich. Tatsächlich ist es für die Jahrhunderte vor 1600 sehr oft der Fall, dass ein sakraler Raum - im Gegensatz zu einem Profanraum - nicht nach einem konsistenten künstlerischen Programm ausgestattet wird, sondern viel eher sich nach und nach, auch in chaotischer Fügung und Schichtung der unterschiedlichsten Bildmedien, allmählich "füllt", wobei man den Regeln des kirchlichen Bildgebrauches und den kultischen Gepflogenheiten des Ortes folgt. Konsistente "Bildzyklen" oder systematisch von einem oder einer Gruppe von Autoren gefügte Ausstattungen findet man entsprechend im 16. Jahrhundert im sakralen Bereich allenfalls in abgrenzbaren Teilbereichen, in einzelnen Kapellen oder in Oratorien, selten einmal in der Ausstattung eines ganzen Langhauszyklus (hier das Beispiel Cremona, wo aber zu Beginn ebenfalls keine konsistente Konzeption vorhanden war). Was sich an einzelnen Orten als neues künstlerisches Konzept zu entwickeln beginnt, findet erst in der illusionistischen Bilderhülle des 17. Jahrhunderts seine Vollendung - dies gibt den nur im Einleitungsaufsatz erwähnten und abgebildeten Kuppelfresken Correggios ihr historisches Gewicht. Im 17. Jahrhundert wird die sakrale Freskomalerei zu jener neuen Form finden, die sich mit der barocken Architektur und ihrer plastischen Ausstattung, aber auch mit der Leinwandmalerei und der Goldschmiedekunst etc. zu jener, den Betrachter vollständig umfassenden Struktur fügt, die man mit dem modernen Begriff des Gesamtkunstwerks nicht ganz unpassend bestimmt hat. Die profane Wandmalerei kann dagegen vom Beginn bis zum Ende des 16. Jahrhunderts mit in sich schlüssig vollendeten Hauptwerken aufwarten. Zum Auftakt allerdings ist Symmetrie gegeben: Mit Michelangelos Ausmalung der Decke der Cappella Sistina und Raffaels Fresken der Stanzen sind in beiden Sphären gleichwertige Leistungen erbracht und Maßstäbe für die Zukunft gesetzt. Beide Werkkomplexe wirken in der Gattung bis zum Ende des Jahrhunderts und weit darüber hinaus nach. Die originellste Adaption und Umdeutung von Michelangelos Sixtina-Decke findet an der Wende des 17. Jahrhunderts aber bezeichnenderweise im profanen Bereich statt - in der Freskierung der Galleria des Palazzo Farnese durch Annibale und Agostino Carracci, die denn auch den passenden Schlusspunkt des Bandes bildet.
Bleibt anzumerken, dass dieser letzte "Bildzyklus" (der Begriff ist nicht nur hier schwierig) auch den Weg in die Zukunft weist, findet er doch in Pietro da Cortonas Fresko im Palazzo Barberini eine kongeniale Fortentwicklung, was zeigt, dass die großartige Geschichte der italienischen Wandmalerei um 1610 keineswegs zu Ende ist. Für eine Darstellung der Leistungen der Wandmalerei des 17. Jahrhunderts wäre allerdings der schon für das 16. Jahrhundert nicht unproblematische, ausschließende Blick auf die Wandmalerei stärker zu kontextualisieren. Die Vorzüge der katalogartigen Darstellungsform für einen derartigen Bildband sind allerdings so zahlreich und evident, dass man sich gleichwohl wünschte, der Hirmer-Verlag könnte sich zu einem fünften Band durchringen, in dem von Pietro da Cortona, über Guido Reni und Giovanni Lanfranco bis hin zu Luca Giordano und Tiepolo großartiges Material in Fülle in der bewährten Form präsentiert werden könnte.
Hubert Locher