Rezension über:

Mirosława Czarnecka / Jolanta Szafarz (Hgg.): Hochzeit als ritus und casus. Zu interkulturellen und multimedialen Präsentationsformen im Barock (= Beihefte zum ORBIS LINGUARUM; Bd. 12), Wrocław: Oficyna Wydawnicza ATUT - Wrocławskie Wydawnictwo Oœwiatowe 2001, 569 S., ISBN 978-83-87299-47-7
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Rezension von:
Małgorzata Morawiec
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Małgorzata Morawiec: Rezension von: Mirosława Czarnecka / Jolanta Szafarz (Hgg.): Hochzeit als ritus und casus. Zu interkulturellen und multimedialen Präsentationsformen im Barock, Wrocław: Oficyna Wydawnicza ATUT - Wrocławskie Wydawnictwo Oœwiatowe 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 7/8 [15.07.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/07/3181.html


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Mirosława Czarnecka / Jolanta Szafarz (Hgg.): Hochzeit als ritus und casus

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Das Interesse der Forschung an einem Buch, das bereits vor zwei Jahren erschienen ist und trotzdem erst jetzt zur Rezension "freigegeben" wird, mag wohl hauptsächlich durch die Qualität begründet sein. Eine weitere - weniger relevante - Ursache für die "Gnade der späten Besprechung" liegt in dem immer noch nicht perfekt funktionierenden Vertrieb der ostmitteleuropäischen Publikationen im Westen, zumal es sich in dem Fall um einen neuen (und kleinen) Verlag aus Breslau handelt. An dem Verlag haftet noch ein weiterer Nachteil, dass er nämlich den Autoren keine Sonderdrucke gewährt, sodass auch die - durchaus angesehenen - Verfasser die verspätete Rezeption ihrer Beiträge nicht auffangen konnten. Trotz dieser Unzulänglichkeit kann ein interessierter Leser aber sehr wohl an einem schönen (und voluminösen) Buch seine Freude finden.

Es ist ein Sammelband, dessen ambitionierter Titel durchaus den Kern der Absichten der Herausgeberinnen trifft. Aus der profunden Kenntnis der Materie setzten sich die beiden Germanistinnen aus Breslau zum Ziel, ein so kompliziertes und vielschichtiges sozial-politisches Gestaltungsinstrument wie die "Hochzeit" als unabdingbares Element in der frühneuzeitlichen Gesellschaft in einem multikulturellen Kontext zu zeigen, den sie über den "plurinationalen" Ansatz hinaus durch das Prinzip der interdisziplinären Aufarbeitung des Phänomens ergänzten (8). Um dieser Erscheinung in ihrer gesamten kultur-politischen Breite Herr (oder in diesem Fall: Frau) werden zu können, versammelten sie Repräsentanten der benachbarten geisteswissenschaftlichen Fächer (und Nationen) und teilten ihnen "fachspezifische" Aufgaben zu. Diese doppelte (fach- und nationenübergreifende) Vorgehensweise ist für die polnische Germanistik nicht selbstverständlich, und an der für den Band getroffenen Autorenwahl erkennt man eine weitere - von den Herausgeberinnen bewusst vorgenommene - "Ungewöhnlichkeit": Neben Beiträgen etablierter und erfahrener Forscher werden in dem Band Aufsätze des wissenschaftlichen Nachwuchses präsentiert. Entstanden ist eine gelungene Mischung von "großen Würfen" und Fallstudien. Der Inhalt des Bandes verdient es, zumindest nach dem Prinzip "relata refero" zusammengefasst zu werden.

Im Eröffnungsaufsatz von Maria Bogucka, "Die altpolnische Ehe: Ziele und Prinzipien der Partnerwahl", wird aus der Perspektive der polnischen Geschichtsschreibung und anhand polnischer Quellen das Ehemodell des 17. Jahrhunderts in Altpolen herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, wie wenig soziale Modelle der Christianitas von den einheimischen polnischen abweichen, und wie sehr sich der Prozess der Institutionalisierung der Ehe schichten- und nationenübergreifend an den Prinzipien des nüchternen Kalküls und des Pragmatismus orientierte. Und dies trotz der auch in Polen verbreiteten galanten Dichtung, die Liebe als Motiv für die Eheschließung durchaus kannte und anerkannte!

Ebenso im Umkreis der "altpolnischen Hochzeitscarmina" bewegt sich der Beitrag von Ludwika Ślękowa. Die Autorin untersucht hier das altpolnische Epithalamium in seiner sozialen und funktionellen Bedeutung. Als Fazit stellt sie fest, dass gerade diese Gattung als geeignete Materialbasis für Untersuchungen der historischen Kontexte und der kulturellen Konnotationen fungieren könnte. Dass auch in dieser Hinsicht komparatistische, länderübergreifende Erkenntnisse zu erwarten sind, versteht sich bei dem heutigen Forschungsstand von selbst.

Im nächsten Beitrag nutzt Jan Kvapil den Hochzeitskontext, um Tradition und Entwicklung in der böhmischen Barockliteratur aufzuzeigen. Mit exemplarischen Texten der böhmischen Gelegenheitsdichtung und der Hochzeitspredigten verweist er aber auch auf den Gebrauchscharakter dieser Literatur. Und wiederum ist der kulturhistorische und ethnografische Wert dieser "Quelle" von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die (Gelegenheits-)Dichtung aus den Ländern der Wenzelskrone birgt immer noch - neben vielen kultur- und literaturhistorischen Gemeinsamkeiten - einen Schatz an Informationen über die Originalität und Kontexte der böhmischen Hochzeitsrituale.

Einen nicht weniger originellen (obwohl für das Schlesien der Frühen Neuzeit nicht außergewöhnlichen) Hochzeitsritus präsentiert Arno Herzig in seinem Aufsatz "Jüdische Hochzeiten im Barockzeitalter". Hier werden - von einem ausgewiesenen Kenner der Materie - Unterschiede zum christlichen Kulturkreis herausgearbeitet und Hinweise auf die Kanonisierung der Hochzeitsbräuche als gemeinschaftsstiftendes Element gegeben.

Das "Herrscherheiraten" charakterisierte Heinz Duchhardt in seinem kurzen Aufsatz "Die dynastische Heirat als politisches Signal" als komplexen Vorgang der Staatsräson, der im Rahmen des höfischen Zeremoniellwesens seinen Platz gebührend verteidigt. An diesem Beitrag wird deutlich, wie breites Wissen und stringente Argumentation zur Herausbildung einer präzisen These führen können. Das "Staatsheiraten", diesmal im Haus Wittelsbach, thematisiert in dem Beitrag "Spiegelungen der Präsentation. Die Münchener Fürstenhochzeit von 1568 in den Dialogen von Massimo Troiano" auch Stefan Krist.

Als urbane Repräsentationsbestrebungen und städtische Kontrollmechanismen werden in dem Text von Edward Kizik Danziger Hochzeitsordnungen analysiert. Dietmar Peil widmet sich in seinem Beitrag den barocken Hochzeitsemblemen und Alexandra Beck der lutherischen Ehekonzeption, die besonders anschaulich in der schlesischen Kunst des 16. und 17. Jahrhundert zum Tragen kam. Den Band vervollständigen philologische Gedichtanalysen der Breslauer Germanisten Tomasz Jabłecki und Paweł Nowicki. Den abschließenden Beitrag "Die 'geistliche Hochzeit'. Zur allegorischen Einkleidung der unio mystica bei berocken Dichtern" hat Cezary Lipiński geliefert.

Im zweiten Teil des Bandes bekommt der Leser - um selbst quellenorientiert weiterarbeiten zu können - noch einige Rara zu Gesicht. Es werden hier in einer breiten Auswahl Drucke aus der Universitätsbibliothek Breslau zusammengestellt. Repräsentativ vertreten sind viele Gattungen der barocken Literatur: von den juristischen, theologischen und kulturhistorischen Traktaten zur Hochzeit und Eheschließung über historische Chroniken bis hin zu fiktiven Texten wie Romanen, Schäferspielen, Gelegenheitsgedichten und Epigrammen. In allen werden barocke Hochzeitsmotive und Hochzeitsrituale thematisiert. Die Lektüre dieses Teils sei allen angehenden, aber auch etablierten Forschern empfohlen, denn der Erkenntniswert dieser Texte steht hinter dem schlichten Vergnügen beim Lesen keineswegs zurück. Der Anhang ist mit einem nützlichen Anmerkungsapparat und biografischen Notizen zu den barocken Autoren versehen. Was leider fehlt, ist ein Personenregister. Aber von diesem eher technischen Mangel sollten sich die Interessierten nicht abschrecken lassen.

Małgorzata Morawiec