Klaus Garber: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 597 S., 38 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-22252-9, EUR 34,90
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Klaus Garber ist für seine grundlegenden Studien zur frühneuzeitlichen Kultur- und Literaturlandschaft der Gebiete jenseits von Oder und Weichsel bekannt, seine Verdienste im Erschließen der Barockbestände in Mittel- und Ostmitteleuropa sind unschätzbar. Er ist vielen Generationen von Germanisten als Autor des heute als Standardwerk für die angehenden Philologen geltenden und breit rezipierten Buches Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion der Natur in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts ein Begriff. Bei der Recherche für dieses Buch wurde ihm zum ersten Mal die Universitätsbibliothek in Breslau zur Forschungsgrundlage (576). Sein Interesse für die Stadt selbst geht auf das Jahr 1979 zurück. Für die späteren Forschungen besuchte er nämlich, betreut von niemand anderem als dem Nestor der Barockforschung, Marian Szyrocki, Breslau und es wurde ihm klar, welche Schätze die vom Krieg größtenteils in den Altdruckbeständen unversehrt gebliebene, bedauerlicherweise jedoch bei den Handschriftensammlungen schwer angeschlagene ehemalige Breslauer Stadtbibliothek birgt:
"Nun [1979] war sie vereint mit den Resten der im Krieg schwer getroffenen Universitätsbibliothek und den aus ganz Schlesien nach dem Krieg in die Hauptstadt geströmten Handschriften und alten Drucken. Im Gebäude der ehemaligen Universität auf der Sandinsel neben der Kirche St. Maria auf dem Sande hatten sie ihre Bleibe gefunden, während die neuere Literatur im alten und weitgehend unversehrten Gebäude der Breslauer Stadtbibliothek am Roßmarkt vereinigt wurde" (577).
Mit diesem Zitat werden auch die Eckpunkte für die Besprechung des Buches Das alte Breslau genannt: die Topografie der Stadt; ihre politische und kulturelle Bedeutung für ganz Schlesien; ihre Rolle als Größe und Bezugspunkt für die historischen Ereignisse. Wie ein roter Faden ziehen sich diese Charakteristika der Stadt durch die Studie. Bereits in seinem sehr philologisch aufgebauten ersten Kapitel über das berühmte Lobgedicht Johann Andreas Mauersbergers "Breßlau / Die Weit=Berühmte Stadt" werden diese Spezifika der Kommune mit einem dichterischen Beispiel vor Augen geführt. Ein Lob der Stadt, verfasst nach klassischen spätantiken Mustern, eigebettet in der humanistischen Dichtertradition, "poetisch stilisiert" (9), leitet diese Kulturgeschichte Breslaus ein. Dieses Gedicht sagt, gründlich von Garber gelesen und von ihm anhand der mittlerweile klassischen Interpretation Ewa Pietrzaks ausgelegt, auch alles, worauf sich der Autor in dem Buch stützt: Es werden die Herrscher über die Stadt genannt, ihre geografische Lage gepriesen, kulturelle, literarische und konfessionelle Entwicklungen beschrieben, die Gerichtsbarkeit und die Gelehrsamkeit der Honoratioren gelobt, die soziale Struktur der Stadt und ihres Umfelds umrissen. "Ich mag nicht alle Künst in dieser Stadt erzehlen", schreibt Mauersberger (18), Klaus Garber stellt sich dieser Aufgabe allerdings viel gründlicher als sein erster Cicerone.
War das erste Kapitel eine Art philologische Invokation, verpflichten sich die nächsten einem anderen Genre. Es wird historisch. "Es gibt kein zweites Territorium im alten deutschen Sprachraum, das so eigenwillige, besondere und verwickelte geschichtliche Konturen aufweist wie eben Schlesien" (20), so die Feststellung Garbers. Dieser Behauptung geht er in den nächsten zwei Kapiteln "Historische Vergegenwärtigung" und "Silhouette Breslaus" nach.
Wie gerne hätte ich als angehende Barockforscherin in meiner Assistentenzeit in Breslau diese klar strukturierte Beschreibung der historischen und konfessionellen Wirren in Schlesien gelesen! Garber führt seine Leser souverän über die zahlreichen Herrscherwechsel, die konfessionellen Veränderungen im katholischen wie auch im evangelischen Lager, soziale und politische Anhänglichkeiten und Abhängigkeiten des städtischen Bürgertums und des schlesischen Adels hindurch. Es sind Klippen, deren historisches Verständnis unerlässlich ist für das Begreifen der Vielfalt von kulturellen und kulturgeschichtlichen Abläufen in Schlesien und in seiner Kulturmetropole (siehe 51-55).
Den einzelnen Schritten zum Verständnis der historischen und politischen Entwicklung Schlesiens folgend, kommt der Leser im dritten Kapitel "Wiege des Glaubens" zur Darstellung der sich in der Architektur der Stadt widerspiegelnden konfessionellen Situation: der Dominsel - dem Zentrum der kaiserlichen Macht in Gestalt der katholischen Bischöfe -, und der städtischen Kirchen: St. Elisabeth und St. Maria Magdalena. Diese symbolisierten ihrerseits (mit den beiden Gymnasien) die intellektuelle Stärke des protestantischen Bürgertums.
"Von den Kirchen geht es weiter zu den Schulen, von den Bischöfen und Predigern zu den Schulmännern und Inspektoren. Es gehört zu den faszinierenden Aspekten städtischer Kulturgeschichte in der Frühen Neuzeit, dass die Ressorts in personeller Hinsicht nicht strikt getrennt waren, Doppelbesetzungen erfolgen konnten, Übergänge sich fließend ausnahmen" (121).
Trotz der fast jahrhundertelang fehlenden Universität hat sich Breslau mit seinem Umland zu einer "Hochburg des Wissens" (Kap. 5, 121-177) und zum "Zentrum des verschriftlichten Wortes" (Kap. 6, 178-280) entwickelt. Die schlesischen Gymnasien: in der Stadt Breslau selbst, aber auch in Goldberg (gegründet und geleitet von Valentin Trotzendorf [1490-1556]), in Brieg unter Herzog Georg II. (gegründet 1564), das Schönaichianum in Beuthen an der Oder standen an der Wiege einer gelehrten Schulkultur, die in der preußischen Zeit in eine Neugründung mündete: die einer Volluniversität.
Garber entwirft mehrere Porträts der Schulmänner und Professoren, deren pädagogisches, schriftstellerisches, bibliothekarisches Talent und Engagement hervorragendes Zeugnis für die Qualität literarischen Lebens in Schlesien liefern. Sein Höhepunkt erreichte es natürlich mit der barocken Dichtung eines Martin Opitz. Dessen Mitstreiter im dichterischen Dialog mit den Ereignissen des 17. Jahrhunderts konnten aber ebenfalls literarisch auf hohem Niveau Schritt halten (siehe Kap. 8, 281-338). In Schlesien hat sich Ciceros Weisheit "inter arma silent Musae" nicht bewahrheitet.
Der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert gestaltete sich in Breslau und Schlesien literarisch bei weitem nicht so spektakulär; Klaus Garber hält jedoch gerade diese Zeit für ein "ideales Beobachtungsfeld", denn der "lyrische Elan [blieb] über das Ende des [17.] Jahrhunderts hinaus erhalten" (339). So widmet er die zwei letzten Kapitel seines Buches der Zeit der "Bewahrung einer großen Tradition" (339-375) und dem "Alteuropäischen Erbe und [den] Wegen in die Moderne" (376-443), in denen er sich den regionalen Forschungen und der Aktivität der Vereine und Akademien - typische Formationen des 18. Jahrhunderts - zuwendet.
Die große Stärke des Buches ist seine Struktur. Klaus Garber ersinnt seine "Kulturgeschichte einer geistigen Metropole" konsequent als Interpretation einer Verknüpfung des Politischen und des Kultur-Literarischen. In dieser Beschreibung entsteht eine Interaktion, die kulturgeschichtlich einmalig ist: es zeichnet eine Region aus, die in ihrer Entwicklung bis in das beginnende 18. Jahrhundert hinein moderner nicht hätte sein können. Für dieses Panorama entschuldigt der Leser gerne einen fast ein Viertel des Buches umfassenden Bilder-, Anmerkungs-, Register- und Literaturteil. Das Nachwort rundet den Band mit einer privaten Erinnerungsnote ab.
Małgorzata Morawiec