Jan Harasimowicz: Schwärmergeist und Freiheitsdenken. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit (= Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; Bd. 21), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, XVII + 418 S., ISBN 978-3-412-20616-1, EUR 54,90
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Während sich die in den letzten Jahren erschienenen Bände der angesehenen und für die Schlesienforschung wichtigen Reihe Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte überwiegend dem 19. und 20. Jahrhundert widmeten, behandelt der 2010 herausgegebene 21. Band der Neuen Forschungen erneut mittelalterliche und frühneuzeitliche Themen. Diese traditionell für die Reihe wichtige zeitliche Fokussierung begrüße ich ausdrücklich.
Es ist auch ein in vieler Hinsicht unkonventionelles Buch: Nicht weil es sich in diesem Fall um einen Sammelband handelt - diese Form haben bereits früher einige Bände angenommen -, sondern weil es gesammelte Aufsätze eines polnischen Kunsthistorikers und Schlesienforschers in Übersetzung bietet. Diese Leistung der Übersetzerin, der Herausgeber und der Redaktion will ich hier an erster Stelle unterstreichen, denn die fehlende oder wenigstens mangelhafte Verständigung der Historiker über die Grenzen hinweg gehört immer noch zu wesentlichen Problemen des Forschungsdiskurses. Es scheint einer der Gründe des Reihenherausgebers, Joachim Bahlcke, zu sein, sich mit diesem Band verstärkt dafür einzusetzen, die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern aus Ostmitteleuropa, "die in der Regel in ihrer jeweiligen Muttersprache publizieren" (VII), zu fördern. Zwar sind die meisten Beiträge in anderen Zusammenhängen bereits auf Deutsch erschienen - hier lohnt der Blick auf das im Anhang abgedruckte Verzeichnis -, trotzdem wird es der Leser begrüßen, die Texte in einer strukturierten Form in die Hand zu bekommen.
Jan Harasimowicz gehört mit Sicherheit zu den prominentesten unter den etablierten polnischen Forschern im Bereich der Geschichte und Kunstgeschichte Schlesiens. Er ist ein anerkannter Kenner der Materie, der mit seinen Projekten in vielen Forschungszentren auch in Deutschland vertreten ist. Für sein Engagement wurde er im Herbst 2010 mit der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg ausgezeichnet.
Die Beiträge werden in fünf Blöcke geordnet: Katholisch - evangelisch - schlesisch. Zur 'schlesischen Einmaligkeit' (3- 89), 'Blutige' und 'unblutige' Märtyrer. Zur Heiligen- und Heldenverehrung ( 93-155), 'Der sanfte Tod'. Zur ars morendi und pompa funebris (159-213), 'Gott zu Ehren, uns allen zum ewigen Gedächtnis'. Zur Architektur und Kunst (235-312), Zusammenarbeit und Rivalität. Zur schlesisch-polnischen Nachbarschaft (315-373). Viele der Aufsätze sind aus der direkten akademischen Praxis des Autors entstanden. Der Forschungs- und Lehrtätigkeit an den Universitäten in Breslau und Thorn verdankt er - wie er selbst im Begleitwort formuliert - das Einhalten der wissenschaftlichen Standards (XVII). Dem didaktisch orientierten Forschungsinteresse schuldet sich wahrscheinlich auch die an einigen Stellen sichtbare Vereinfachung der angewandten Begrifflichkeit, z. B. wenn der Autor über "Allegorien des Dreißigjährigen Krieges" in Bezug auf ein zeitgenössisches Gemälde aus den Jahren 1634 bzw. 1636 spricht (345), oder den Calvinisten die "reformatorische 'Linke'" für den Bildersturm an die Seite stellt (9).
Der Aufbau der Beiträge entspricht einer klassischen Strukturierung: Zuerst berichtet der Verfasser faktografisch über die historische Situation in der untersuchten Region. Es werden anhand der Standardwerke der deutschen und polnischen Fachliteratur über Schlesien die Abläufe der geschichtlichen Ereignisse, die konfessionelle Aufteilung des Landes und die Informationen über die Akteure dieser Prozesse anschaulich dargestellt. Danach wird das Augenmerk dem Ausdruck dieser vielfältigen religiös-politischen und sozialen Veränderungen, nämlich der Kunst, gewidmet. Harasimowicz vertritt die These, dass Kunstwerke in der Frühen Neuzeit »die Funktion als Mittel der konfessionellen Überzeugung« ausübten (25). Dementsprechend räumt er in seinen Beiträgen der Analyse der Ikonographie viel Platz ein. Darauf liegt ausdrücklich der Schwerpunkt der meisten Beiträge. Mit viel Liebe zum Detail und großem Interesse an nuancierten Darstellungen vermittelt er dem Leser das Gefühl für die Besonderheit Schlesiens als Kunstregion (siehe insbesondere das erste Kapitel). Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Beitrag zum Vergleich der politischen und kulturellen Entwicklungen in Schlesien und Großpolen (Die 'nahe' und 'ferne' Vergangenheit in den ständischen Bildprogrammen der Frühen Neuzeit. Schlesien und Großpolen im historischen Vergleich, 353-373). Harasimowicz knüpft damit auch an die Tradition der polnischen kunsthistorischen Schule, die sich in Wrocław mit der Forschung von Zofia Kębłowska-Ostrowska und Konstanty Kalinowski erfolgreich etabliert hat.
In dieser Verflechtung der Vermittlung vom historischen Wissen und der kunstgeschichtlichen Präsentation liegt zweifelsohne die Stärke des Bandes. Seine Lektüre ist den Vertretern beider Fächer mit Nachdruck zu empfehlen.
Dem Band ist ein Verzeichnis ausgewählter Schriften von Jan Harasimowicz ein Verzeichnis der Erstdrucke der hier abgedruckten Beiträge, ein Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen sowie ein Personen- und Ortsregister beigefügt.
Małgorzata Morawiec