Jan Harasimowicz / Matthias Weber (Hgg.): Adel in Schlesien. Band 1: Herrschaft - Kultur - Selbstdarstellung (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 36), München: Oldenbourg 2010, 587 S., ISBN 978-3-486-58877-4, EUR 59,80
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Joachim Bahlcke / Wojciech Mrozowicz (Hgg.): Adel in Schlesien. Band 2: Repertorium: Forschungsperspektiven - Quellenkunde - Bibliographie (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 37), München: Oldenbourg 2009, 841 S., ISBN 978-3-486-58878-1, EUR 89,80
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Joachim Bahlcke / Stefan Rohdewald / Thomas Wünsch (Hgg.): Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, Berlin: Akademie Verlag 2013
Joachim Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008
Joachim Bahlcke / Wolfgang Matt (Hgg.): Die autobiographischen Aufzeichnungen des schlesischen Theologen Friedrich Lucae (1644-1708). Eine Textedition zur Geschichte des reformierten Protestantismus in Europa, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022
Mit dem Titel Adel in Schlesien liegen nun in zwei ansprechend gestalteten Bänden die Ergebnisse eines interdisziplinären und internationalen, tschechisch-deutsch-polnischen Forschungsprojektes vor. Band 1: Herrschaft -Kultur - Selbstdarstellung fasst die Ergebnisse einer gleichnamigen Tagung zusammen, die im Rahmen des Projektes 2006 in Breslau/Wrocław stattgefunden hat. Entsprechend den Sektionen der Tagung werden die Ergebnisse zu Fragen von Herkunft und Memoria (I), Beziehungsgeschichte (II), Politik, Wirtschaft und Verwaltung (III) sowie der Bildung und des Mäzenatentums (IV) von kunsthistorischer, geschichts- und literaturwissenschaftlicher Seite beleuchtet. Der Band greift damit aktuelle Fragen der Adelsforschung auf und wendet diese auf einen in seiner politisch-territorialen Zugehörigkeit höchst wechselhaften und in seiner Struktur äußerst komplizierten Raum Mitteleuropas an. Zeitlich reichen die Beiträge vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Abgesehen von dem geschichtskulturell nutzbaren Ziel, Schlesien im europäischen Kontext zu betrachten ( Grußwort der Kultusminister), verfolgen die Herausgeber - der Historiker Matthias Weber und der Kunsthistoriker Jan Harasimowicz - die Absicht, die Bedeutung des Adels für die Kultur- und Landesgeschichte Schlesiens deutlich zu machen (17). Die einzelnen Beiträge richten sich, dem Konzept einer Tagung entsprechend, eher an Spezialisten als an Neueinsteiger. Diese bekommen mit dem zweiten Band (Repertorium. Forschungsperspektiven - Quellenkunde - Bibliographie) aber eine exzellente von Sachkennern verfasste Einführung in die territoriale Struktur und die wirtschaftlich-sozialen Grundlagen und Entwicklungen dieser mitteleuropäischen Region (Teil A). Den Forschern bietet der zweite Band eine äußerst nützliche Übersicht der Bestände in polnischen, tschechischen und deutschen Archiven sowie eine fast 4000 Titel zählende Auswahlbibliographie zur Geschichte des schlesischen Adels.
Aus Platzgründen können nicht alle Beiträge in gleicher Ausführlichkeit behandelt werden. Es wird im Folgenden deshalb vor allem darum gehen Ertrag und Desiderata der Forschung für die jeweiligen Felder zu benennen.
In der Architektur der Schlösser, Mausoleen, Adelsresidenzen und Stiftskirchen formulierte der schlesische Adel ein vielfältiges Bildprogramm, in dem sich der Wunsch, die Anciennität des eigenen Geschlechtes herauszustellen, häufig mit einem politisch-konfessionellen Anliegen verband (Beitrag Harasimowicz, 35-52). Der frühneuzeitliche Militäradel schöpfte bei seiner Selbstinszenierung in der Sepulkralkultur zwar aus einem gemeinsamen Fundus an Symbolen. Die militärischen Tugenden wurden bei den schlesischen Offizieren, so das Ergebnis der Untersuchung von Antje Kempe, aber früher herausgestellt, als dies in Böhmen oder im Herrschaftszentrum Wien der Fall war. Kempe führt diese Beobachtung auf die im 17. Jahrhundert "noch nicht zentralisierte Stellung der Armee im Gefüge des Hofes" (99) zurück. Ihr Befund zum Charakter des "Absolutismus" in der Habsburgermonarchie korrespondiert so, auch wenn dies nicht ausdrücklich festgestellt wird, mit den Ergebnissen, die Jeroen Duindam oder Katrin Keller auf anderen Untersuchungsfeldern gewonnen haben.
Wie Jerzy Gorzelik und Maciej Kulisz mit ihren Beiträgen zur Stiftungstätigkeit des katholischen Adels in Oberschlesien sowie den Grabmälern und Inschriften des protestantischen Adels in Niederschlesien zeigen, war die adelige Repräsentation jeweils konfessionell gebunden. Im ersten Fall folgte sie dem Anliegen einer demonstratio catholica (113-114) und damit auch einer politischen Loyalitätsbekundung gegenüber dem Herrscherhaus. Neben der Selbstrepräsentation, die in beiden Fällen eine wesentliche Rolle spielt, vermittelte die protestantische Sepulkralkultur Niederschlesiens eine konfessionell bestimmte Didaxe des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen (131).
Der selbstgestellte Anspruch der Herausgeber, der europäischen Verwobenheit ebenso gerecht zu werden, wie der landesgeschichtlichen Besonderheit wird mit dem Beitrag von Werner Paravicini (135-206) beeindruckend eingelöst. Paravicini argumentiert in seinem äußerst gut lesbaren Beitrag gegen das geometrische Bild eines allmählichen Kulturgefälles von West nach Ost und plädiert dafür, die Verhältnisse mit dem differenzierten Konzept eines Kulturtransfers zu betrachten. Anhand von vier Fallstudien weist er nach, wie weit die Verflechtungen und die Aneignung eines gemeinsamen Habitus und einer symbolischen Formensprache des "Westens" in Schlesien reichten. Der tatsächlich selbst erfahrene, aber auch medial vermittelte Kommunikationsraum reichte von Schlesien nach England im Norden und Portugal im Süden. Bevor eine "Kulturgeographie Europas" (179) gezeichnet werden kann, müssen, so Paravicinis Plädoyer, die bereits vorhandenen breiten Studien zu Universitäten und Klerikern um ähnliche Untersuchungen zu Fürsten und zum Adel ergänzt werden.
Die Desiderate künftiger Forschungen betont auch Eckart Conze (305-320). Conzes Augenmerk gilt vor allem dem 19. Jahrhundert sowie der Krisenerfahrung nach dem Ersten Weltkrieg (317-318). Die Rolle des Adels bei den Prozessen von Nationalisierung und Nationsbildung, die Kernbestände adeliger Identität, Eigen-und Fremddefinitionen von Adel und Adeligkeit, der Wertehorizont (310-311), aber auch der Eigensinn adeligen Handelns im Kontrast zur Nachahmung bürgerlicher Werte müssen, so Conze, genauer bestimmt werden. Der Autor stellt mit Recht heraus, dass der Befund eines Sonderwegs oder einer Sonderstellung häufig auf die Perspektive der Betrachtung zurückgeht. Die oberschlesischen Magnaten, im deutschen Kontext als Sondertypus wahrgenommen, sind vor einer europäischen Vergleichsfolie, die England und Böhmen einbezieht, nur ein Beispiel unter vielen (312). Wenn, wie der Autor selbst feststellt, Ostmitteleuropa ein kulturelles Konstrukt ist (306), lohnt es, so sei hinzugefügt, zu fragen, ob der Adel des betroffenen Raumes sich selbst als eine mitteleuropäische Entität begriff und ob das Untersuchungsfeld Mitteleuropa nicht eher zugunsten einer (trans)nationalen oder regionalen Perspektive ausgeweitet bzw. eingeschränkt werden sollte.
Die von Conze formulierten Desiderata werden in dem vorliegenden Band mit dem Beitrag von Jürgen Joachimsthaler (437-465) bereits zum Teil erfüllt. Joachimsthaler verbindet das literarische Werk von acht schlesischen Autoren verschiedener Generationen zu einem eigenen Typus Modernisierungsliteratur, die er als Antwort auf die großen Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts und 20. Jahrhunderts begreift. So kann der von Conze als Analysekategorie eingeforderte Eigensinn in der Modernisierungsliteratur durchaus ausgemacht werden, wenn auch ambivalent gewertet oder als das Andere ethnisiert (454-455, 457).
Fast unerforscht ist das Verhältnis zwischen schlesischem Adel und der Kirchenelite, inner- und außerhalb Schlesiens, auch wenn Joachim Bahlcke mit seiner Untersuchung bischöflicher Traditionen (337-362) erste Ergebnisse für die Frühe Neuzeit liefern kann.
Unzweifelhaft liegt der Wert der in dem Band zusammengefassten Beiträge nicht zuletzt darin, die Forschungslücken klar benannt zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass die jeweils formulierten Desiderata in künftigen Untersuchungen ähnlich transdisziplinär und transnational angelegt werden wie in dem vorliegenden Band. Der wissenschaftlichen Schlesienforschung sei es gewünscht!
Maria Rhode