Herbert Grabes (ed.): Writing the early modern English nation. The Transformation of National Identity in Sixteenth- and Seventeenth-Century England (= Costerus New Series; 137), Amsterdam / Atlanta: Editions Rodopi 2001, XV + 199 S., ISBN 978-90-420-1525-8, EUR 37,00
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Bridget Orr: Empire on the English stage 1660-1714, Cambridge: Cambridge University Press 2001, 350 S., ISBN 978-0-521-77350-8, GBP 40,00
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Die Studie von Bridget Orr und der von Herbert Grabes herausgegebene Sammelband nähern sich der Geschichte Englands von einer ähnlichen Perspektive. Beide Arbeiten sind im Bereich der Frühen Neuzeit angesiedelt und decken den Zeitraum der Tudor- und / oder der Stuartmonarchien ab. Beide Bücher untersuchen das Phänomen nationaler Identität und Selbstvergewisserung durch die Medien der Literatur und der Darstellenden Künste. Literatur- und Geschichtswissenschaften sind in den vergangenen Jahren zweifellos stärker in einen Dialog getreten. Impulse gingen hier beispielsweise von britischen Historikern wie Steven Zwicker und Kevin Sharpe aus, die eine stärkere Einbeziehung der zeitgenössischen Kultur im traditionellen Sinne des Wortes in die Interpretation historischer Prozesse und Ereignisse einfordern. [1]
Die vorliegende Studie der New Yorker Literaturwissenschaftlerin Bridget Orr folgt diesem interdisziplinären Ansatz mit ihrer Analyse heroischer Dramen und Komödien in der englischen Restaurationszeit, die Orr bis zum Tod von Königin Anne ausdehnt. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei - wie der Titel des Buches bereits vermuten lässt - der Repräsentation außereuropäischer Gesellschaften auf der englischen Bühne. Damit versucht Orr eine Neuinterpretation eines Genres, das in der literaturwissenschaftlichen Forschung bislang vornehmlich als verfremdeter Spiegel der britischen und insbesondere der englischen Gesellschaft in der Metropole London interpretiert worden ist. Innenpolitik und die Ordnung der Geschlechter seien, so Orr, bisher als die Leitthemen dieser Werke herausgearbeitet worden. Demgegenüber schlägt Orr eine dritte Interpretationsebene der Dramen mit exotischem Hintergrund vor. In ihrer Lesart diente die dramatische Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich, Neuspanien und exotischen Utopien wie Amazonien, um nur ein paar der dramatischen Handlungsorte zu nennen, der Selbstvergewisserung Großbritanniens als neuer, aufsteigender Weltmacht. Auf dem Hintergrund historischer Studien von Steven Pincus, David Armitage und Anthony Pagden diskutiert Orr britische Vorstellungen (im wahrsten und im übertragenen Sinne) vom absolutistischen Regime, exemplifiziert im Osmanischen Reich, vom Konzept der "Universalmonarchie", etwa im Fall der spanischen Eroberungen in Lateinamerika, und vom wachsenden englischen Kolonialismus im Karibischen Raum und als Handelsmacht auf den Ost- und Westindischen Inseln. [2]
Die besprochenen Dramen rangieren von den bekannteren Stücken Aphra Behns wie "Oroonoko" und "The Widdow Ranter" zu den Werken weniger bedeutender Dramaturgen wie Elkanah Settle, Charles Sedley und Charles Shadwell, deren bizarre und verworrene Stücke um Liebe und Ehre heute wohl zu Recht vergessen sind. Damit ist zunächst ein Problem angesprochen, was den Aussagewert des Buches für Nicht-Literaturwissenschaftler angeht. Die Rezensentin hat sich in den komplizierten Handlungssträngen mit einer Fülle von Personen, denen in der einen oder anderen Form im Verlauf der jeweiligen Dramen Gewalt angetan wird, heillos verstrickt. Orr stellt eine unübersichtliche Reihe von Stücken vor, die in der Bibliografie nicht weniger als sieben Seiten einnehmen, mehr oder weniger ähnlich konzipiert sind ("honour and love") und vielfach nur kurz und episodenhaft skizziert werden, um dann dem nächsten Drama Platz zu machen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Das zweite Problem sieht die Rezensentin im generösen Umgang mit der Chronologie und dem Fachvokabular. Zwar bezieht sich Orr in ihrer Übernahme des Begriffs der "Universalmonarchie" auf Pincus' Studie der englischen Pamphlete des 17. Jahrhunderts, dennoch wirkt die Kategorie im Hinblick auf die politischen Ambitionen der europäischen Großmächte des 17. Jahrhunderts unangemessen (siehe beispielsweise 179). Ebenso "leichtsinnig" taucht der Begriff der "Translatio Imperii" auf (beispielsweise 136). Schließlich war auch Lockes Diskussion der Kategorie "Eigentum" und dessen Nutzung nicht der erste englische Versuch, Kolonialprojekte zu rechtfertigen. Die Theorie der effektiven Inbesitznahme wurde bereits von den ersten englischen Siedlern hundert Jahre vor den "Two Treatises of Government" zur ideologischen Untermauerung ihrer Expansionspläne angewandt. Neben der Darstellung allzu vieler allzu verschlungener Handlungen irritieren zudem vor allem die zahlreichen sprachlichen Neuschöpfungen Orrs. Da wird in einer Art und Weise "suicided" (259), "calvinized" (182) und "narrativized" (191), wie man es sonst nur von George Bush und Donald Rumsfeld zu hören bekommt.
Trotz dieser Kritikpunkte hat das Buch auch wichtige Einsichten in den dramatischen Umgang englischer Literaten mit der außereuropäischen Welt zu bieten. Interessant ist beispielsweise das Auftauchen neuer Charaktere auf der englischen Bühne, welche die ambivalente Haltung der englischen Gesellschaft gegenüber den Kolonien und ihren Ausbeutern spiegelt. Plantagenbesitzer auf der Bühne erschienen oft als unzivilisierte Wüstlinge, die durch den Aufenthalt in der Karibik verroht wurden oder, was häufiger dem Stereotyp der Londoner Gesellschaft entsprach, bereits vor ihrer Abreise über den Atlantik den unteren sozialen Schichten in England entstammten. [3] Selbst ehrenwerte Kolonialbeamte standen auf der sozialen Hierarchie der Restaurationsgesellschaft weit unter der landbesitzenden Elite, die allerdings mit Begeisterung die neuen Kolonialwaren wie Tee und Kaffee konsumierten. Eindeutiger ist die Darstellung der Osmanen, die zwar bis zum Ende des 17. Jahrhunderts mit Furcht und Respekt vor den militärischen Leistungen eines höchst expansionistischen Staates präsentiert werden, aber auf der Bühne im Wesentlichen an ihrem despotischen System kranken, das sich in den meisten Dramen durch ungezügelte Lust und willkürliche Gewalt äußert. Demgegenüber strahlen vor allem die europäischen Heldinnen moralische Integrität und Überlegenheit aus, denen sich die osmanischen Tyrannen auf der Bühne gelegentlich beugen. Selbst wenn viele der so dargestellten Christinnen ihre Tugendhaftigkeit mit dem Leben bezahlen müssen, bleiben sie die moralischen Siegerinnen der Geschichte. Ähnlich verfahren die meisten Autoren mit den englischen Erzrivalen des 16. Jahrhunderts: den Spaniern, deren Kolonialreich ebenfalls an der (katholischen) Despotie ihrer Herrscher krankt. Diese Kritik steht für Orr gleichnishaft für das politische Selbstverständnis Englands als neuer internationaler Handelsmacht, die sich eben nicht durch ein tyrannisches Regiment, sondern durch Mäßigung und rationale Überlegung auszeichnet und sich zudem als Gegner der niederländischen (und französischen) Ansprüche auf eine neue, nun nach Pincus ökonomisch definierte Universalmacht verstand und sich gegen die überwältigende Dominanz einer europäischen Macht aktiv zur Wehr setzte. Interessanterweise erscheinen die großen Gegner Englands während des 17. Jahrhunderts, die Niederländer, allerdings nicht als Schurken auf den Bühnen exotischer Stücke (sieht man einmal von John Drydens "Amboyna" ab). Diese Interpretationen sind überzeugend, wenn auch nicht wirklich überraschend. Insgesamt hätte sich die Rezensentin allerdings eine stärkere Kontextualisierung der Stücke in ihren Entstehungs- und Rezeptionszusammenhang gewünscht.
Die Lektüre des von dem Gießener Anglisten Herbert Grabes herausgegebenen Sammelbandes stellt demgegenüber eine weniger herausfordernde, aber deshalb nicht weniger interessante Lektüre dar. Die Sammlung von insgesamt acht Aufsätzen geht auf ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Thema "Kulturelle Identität als Problem der Neuzeit in Europa" an der Universität Gießen zurück. Fünf Essays wurden bereits in anderen Publikationen veröffentlicht, drei davon in den aus dem Forschungsprojekt hervorgegangenen Suhrkamp-Taschenbüchern "Nationale und kulturelle Identität" (1991 herausgegeben von Bernhard Giesen), "Nationales Bewußtsein und kollektive Identität: Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit" (1994 herausgegeben von Helmut Berding) und "Mythos und Nation" (1996 herausgegeben von Helmut Berding). Es spricht für den hohen internationalen Standard der Arbeiten, dass mit der vorliegenden Publikation eine englischsprachige Sammlung erschienen ist, die bereits ihren Weg in die Bibliotheken und auf die Leselisten englischer Universitäten gefunden hat. Dabei ist das Thema "nationale Identität" in England keineswegs neu, sondern in den letzten Jahrzehnten von Historikern und Literaturwissenschaftlern intensiv erforscht worden.
Sowohl die turbulente Geschichte der englischen und ab 1603 beziehungsweise 1707 der britischen Monarchie als auch die Entstehung eines aus verschiedenen Teilkönigreichen zusammengesetzten Staates haben bereits früh zur Ausbildung einer patriotischen Literatur geführt, in deren Zentrum einerseits die Monarchie, andererseits die protestantische Religion stand (so die traditionelle Lesart der englischen nationalen Identität). Gleichzeitig, so argumentiert Grabes in seiner Einleitung, entstand in England unterstützt durch eine Reihe anderer Faktoren - im europäischen Vergleich hoher Alphabetisierungsgrad, relative Prosperität breiterer Schichten, hoher Urbanisierungsgrad - eine "Öffentlichkeit", die mit Hilfe von Pamphleten und Tagesdruckwerken die politische Lage des Landes diskutierte. Dieses Genre steht im Mittelpunkt der meisten hier zusammengestellten Arbeiten. Thematisch konzentrieren sich die Aufsätze auf die Rolle der Monarchie und der protestantischen Religion für das Selbstverständnis der englischen Nation. Zeitlich strecken sich die Arbeiten von der englischen Renaissance (Claus Uhlig) bis zur Restauration (Franz Wieselhuber). Die Zeit des Bürgerkriegs und der Republik wird nicht behandelt.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt allerdings auf der Tudordynastie mit ihrem propagandistischen Großaufgebot von Literatur und öffentlicher Zeremonie zur Erhöhung der Monarchen (Stefanie Rück, Herbert Grabes, Martina Mittag). Eng verbunden mit der Rolle des Protestantismus ist die Abwehrstellung der englischen Nation gegen Spanien, die ebenfalls als konstitutiv für die englische Identität gilt. Problematisch wurde diese Mischung vor allem unter Maria Tudor, der sich Herbert Grabes in seinem ersten Aufsatz in dieser Sammlung widmet ("England or the Queen? Public Conflict of Opinion and National Identity under Mary Tudor"). Religion, Monarchie und die Frontstellung gegen eine andere Macht sind zweifellos wichtige Versatzstücke zur Konstruktion nationaler Identität. Dennoch lässt der Sammelband die Kritik an diesen Facetten vermissen. Das mag daran liegen, dass die ursprünglichen Texte teilweise bereits vor mehreren Jahren geschrieben worden sind. Obwohl in den meisten Artikeln neuere Literatur eingearbeitet worden ist, fehlt etwa eine kritische Diskussion der Rolle des Protestantismus im englischen nationalen Bewusstsein, wie sie in der britischen Geschichtsschreibung beispielsweise Tony Claydon und Ian McBride angestoßen haben. [4] Das Pendel der britischen Tudorforschung scheint zurzeit stärker in das katholische Lager auszuschlagen. Diese Tendenz, die Kontinuität der katholischen Welt im England des 16. Jahrhunderts wiederzuentdecken, hat sich auch auf die Identitätsforschung ausgewirkt, die den Protestantismus elisabethanischer Prägung nun nicht länger als das einigende Band der englischen Nation interpretiert. Ebenso interessant wäre es gewesen, englische nationale Identität nicht nur in Auseinandersetzung mit dem Gegner Spanien zu interpretieren, sondern auch hier die anderen Königreiche der Britischen Inseln mit einzubeziehen. Die Expansionsbestrebungen Heinrichs VIII. nach Wales und Irland fanden ihren propagandistischen Niederschlag in der Rekonstruktion einer mythischen britischen Geschichte, auf die Grabes in seinem zweiten Aufsatz ("'Elect Nation': The Founding Myth of National Identity") hinweist. Vor allem in der Auseinandersetzung mit der walisischen Historiografie standen sich konkurrierende Vorstellungen vom Ursprung der Nation gegenüber. Einen ebensolchen "Wettstreit" um die Seniorität als Nation auf den Britischen Inseln fochten die politischen Propagandisten in Schottland und England nach der Thronbesteigung Jakob I. aus. Obwohl weder die schottische noch die walisische oder die irische nationale Geschichtsschreibung Thema dieses Sammelbandes ist, so fehlt doch eine Diskussion der Herausforderung durch die "Peripherien" als Faktor in der Konstruktion nationaler Identität. Ein Überblickskapitel über Themen und aktuellen Stand der Forschung zu nationaler Identität im Allgemeinen und dem englischen Beispiel im Besonderen wäre wünschenswert gewesen. Dennoch ist diese Aufsatzsammlung sehr zu begrüßen. Sie bietet solide, größtenteils auf beachtlichem, intensivem Quellenstudium beruhende Aufsätze, die einen Einstieg in die Thematik ermöglichen, ohne sich im Fachjargon oder im wissenschaftlichen Schlagabtausch zu verhaspeln.
Anmerkungen:
[1] Siehe dazu beispielsweise Kevin Sharpe / Peter Lake (Hg.): Culture and Politics in Early Stuart England, Basingstoke 1994; Steven N. Zwicker: Lines of Authority. Politics and English Literary Culture, 1649-1689, Ithaka / London 1993.
[2] Steven Pincus: Protestantism and Patriotism. Ideologies and the Making of English Foreign Policy, 1650-1668, Cambridge 1996; David Armitage (Hg.): Theories of Empire, 1450-1800, Aldershot 1998; Anthony Pagden: Lords of all the World. Ideologies of Empire in Spain, Britain and France, c. 1500-c.1800, New Haven 1995.
[3] Siehe dazu beispielsweise Orrs Interpretation von Aphra Behns "The Widdow Ranter", 229f.
[4] Tony Claydon und Ian McBride (Hg.): Protestantism and National Identity. Britain and Ireland, c.1650-c.1850, Cambridge 1998.
Raingard Eßer