William J. Ashworth: Customs and Excise. Trade, Production, and Consumption in England 1640-1845, Oxford: Oxford University Press 2003, XIII + 396 S., ISBN 978-0-19-925921-2, EUR 55,00
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Steuern und Zölle gehören in Deutschland zurzeit nicht gerade zu den Themen, die in der historischen Forschung spontane Begeisterung auslösen. Etwas anders liegt der Fall in Großbritannien. Hier haben in den letzten Jahren beispielsweise die Arbeiten von John Brewer und Mike Braddick zu Steuern und Staatsbildung weit über das Terrain der Wirtschaftsgeschichte hinaus wichtige Beiträge zum Verständnis des englischen und später britischen Staates am Vorabend der Industrialisierung und des Aufstiegs Großbritanniens zur Weltmacht geleistet. [1]
In diese Reihe ist auch die vorliegende, umfang- und detailreiche Studie von William J. Ashworth einzuordnen, die zudem mit dem Enddatum des Untersuchungszeitraums - 1845 - den Zeitsprung in die Moderne wagt. Die Studie ist zweipolig aufgebaut. Als Gegengewicht zu den regulierenden und intervenierenden Kräften des Staates durch den Ausbau von Steuer- und Zollbehörden, die Wachstumsbranchen wie die Baumwoll- und Eisenindustrie auf Kosten von Konsumgütern wie Bier und Tee förderten (315), beleuchtet der Autor die Strategien, die Konsumenten, Produzenten und Händler anwandten, um staatlicher Kontrolle und finanzieller Belastung zu entgehen. Die Parallelgeschichte von fiskalischer Regulierung und deren Vermeidungsstrategie wird doppelt gespiegelt in den beiden Themenkomplexen Steuern und Zölle. Während Ashworth nachweist, dass das Verbrauchssteuersystem in England erfolgreich implementiert und gleichzeitig als Matrix für weitere Verwaltungsreformen in anderen Bereichen staatlichen Handelns genutzt wurde, blieb das Zollverfahren diffus, uneinheitlich und schlecht kontrolliert, wovon nicht nur der blühende Schmuggel profitierte, sondern auch lokale und regionale Zolleinnehmer, die sich durch Löcher und Unebenheiten in der Gesetzeslage auf halb-legalem und illegalem Weg bereichern konnten.
Beide Komplexe - Steuern und Zölle - werden etwa gleichwertig mit viel Liebe zum Detail, aber ohne eine einzige Statistik, behandelt und bieten stattdessen interessante kulturgeschichtliche Einblicke etwa in die Welt des englischen Zollhauses im 18. und 19. Jahrhundert, die am Beispiel des notorischen London Customs House aufgezeigt werden (Kapitel 8: Life on the Waterfront). Darüber hinaus lernen die Leser einiges über die praktische Erfassung von Zöllen und Steuern etwa durch den Gebrauch des Hydrometers zur Ermittlung des Alkoholgehalts von Spirituosen (216 f.). Des Weiteren präsentiert der Autor minuziös die einzelnen Finanzbehörden und ihr Personal. In dieser Perspektive auf die Mechanismen von Steuern- und Zollverfahren (beziehungsweise deren Umgehung) liegt vielleicht der größte Gewinn der vorliegenden Studie. Denn die der Arbeit zugrunde liegende These, der modernisierte Steuerstaat habe den finanziellen und wirtschaftlichen Aufstieg Großbritanniens zum Zentrum des Industrie- und Handelskapitalismus und schließlich zur Weltmacht des 19. Jahrhunderts gefördert, ja erst ermöglicht, ist keineswegs neu. Mit dem Verweis auf Joseph Schumpeter in der Einleitung zu seiner Arbeit (5) gibt das Ashworth selbst zu verstehen. Auch Brewer und Braddick haben - neben vielen Anderen - ihre Studien auf den Parametern des wachsenden Fiskalstaates aufgebaut. Ashworth dekliniert das Argument lediglich weiter ins 19. Jahrhundert. Das alles tut er allerdings gut. Hier kann er aufzeigen, wie die fiskalische Interventionspolitik der Regierung allmählich den finanzpolitischen Vorstellungen eines freien Spiels des Marktes nachgab und die für die wirtschaftliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts so entscheidende Laissez-Faire Politik das englische Steuersystem überformte (Kapitel 6, Dismantling the Fiscal-Military State).
Das Buch ist interessant und in seiner Dichte und Nähe zu den Akteuren des Finanzstaates England / Großbritannien wichtig und lesenswert. Leider fehlt am Ende ein Resümee, das die verschiedenen Stadien und unterschiedlichen Strategien von Steuer- und Zollerhebung noch einmal hätte zusammenfassen können. Ebenso bedauerlich ist das Fehlen einer Bibliografie, die sich der Leser mühsam aus Index und Fußnoten zusammenstellen muss.
Anmerkung:
[1] John Brewer: The Sinews of Power: War, Money and the English State 1699-1783, London 1989; Michael J. Braddick: The Nerves of State: Taxation and the Financing of the English State, 1558-1714, Manchester 1996; ders.: State Formation in Early Modern England, c.1550-1700, Cambridge 2000.
Raingard Eßer