Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.): Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Begleitband zur Bayerischen Landesausstellung im Stadtmuseum Amberg (9.5.2003 - 2.11.2003), Stuttgart: Theiss 2003, 376 S., 80 Abb., 1 CD-ROM, ISBN 978-3-8062-1810-7, EUR 34,90
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König für einen Winter. Seine Gegner verspotteten Friedrich V. von der Pfalz als "Winterkönig", noch ehe er Krone und Erbland verloren hatte und ins niederländische Exil fliehen musste. 1619 hatten die böhmischen Stände dem jungen Kurfürsten, Führer der protestantischen Union, die Sankt-Wenzelskrone angetragen. "Das ist ein gewagtes", soll Friedrich gesagt haben (24) und nahm das Angebot an. Was bewog ihn dazu, die Habsburger und die Katholische Liga unter der Führung seines ärgsten dynastischen Konkurrenten, Maximilians I. von Bayern, derart herauszufordern?
Im Ausstellungskatalog "Der Winterkönig. Friedrich von der Pfalz. Bayern und Europa im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges" wird diese Frage mehrfach gestellt. Es gehört zu den Vorzügen des Bandes, dass die Antwort darauf nicht eindeutig ausfällt. Die Beiträge beleuchten das Leben Friedrichs perspektivreich und methodisch vielfältig. Das Zeitalter des Kurfürsten soll sich in seiner Biografie spiegeln. Die Stationen Friedrichs - Heidelberg, London, Amberg, Prag und Den Haag - werden als Ausgangspunkte für politikgeschichtliche, biografische, kunstgeschichtliche, mediengeschichtliche, wirtschafts- und landesgeschichtliche Darstellungen genommen. Hier gelingt aber nicht nur die interdisziplinäre Zusammenschau, bemerkenswert ist vor allem die Zusammenarbeit deutscher, tschechischer und niederländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jenseits der üblichen Sprachbarrieren kann deshalb diejenige Herrschaftsphase ins Zentrum gerückt werden, die Friedrich von der Pfalz doch in die Geschichte eingehen ließ, wie Pánek zu recht anmerkt (101).
Diese Zusammenarbeit bewahrt auch vor einer engen regionalgeschichtlichen Ausrichtung. Es handelt sich schließlich um den Katalog der Landesausstellung 2003 des Hauses der Bayrischen Geschichte in Amberg. Etwas Lokalstolz ist hinsichtlich der Zielgruppe der Ausstellung gar nicht zu vermeiden. Er schlägt sich im stadtgeschichtlichen Beitrag des Amberger Archivdirektors Laschinger und im wirtschaftsgeschichtlichen Beitrag des Projektleiters Wolf nieder. Auch wenn Wolf seine Thesen mit der gebotenen Vorsicht formuliert, greift seine "genuin ambergische Perspektive" (65) zu kurz. Doch die Biografie des "Winterkönigs" trägt von selbst über Landesgeschichtsschreibung hinaus. Bleibt dem Laien das Staunen, was ein Amberger in der weiten Welt zu schaffen hatte, so bietet sich dem Fachpublikum der sonst rare Einblick in die tschechischen und niederländischen Quellen und Forschungen. Die europäische Dimension des Themas wird durch die Beiträge von Hartmann zu den konfessionellen Kulturen im 17. Jahrhundert und den Beitrag von Bahlcke zum "böhmisch-pfälzischen" Staatsgründungsexperiment, dem Beitrag Páneks zur Königsherrschaft in Böhmen und schließlich dem Kaisers zum dynastischen Gegenspieler Friedrichs, Maximilians I. von Bayerns, umfassend in Szene gesetzt.
Es hätte sich angeboten, die "Winterkönigin" Elisabeth Stuart, englische Königstochter und Gemahlin Friedrichs, mit in den Titel zu nehmen. Ihre Eheschließung mit dem Kurfürsten ist der Schlüssel zur kurpfälzischen Statusaspiration. Sowohl die königsgleiche Prachtentfaltung in Heidelberg als auch der Schritt zur Annahme der Königswürde in Böhmen und schließlich das höfische Leben der Exilierten in Den Haag kennzeichnen ein Statusverhalten, das sich wie ein roter Faden durch die Biografie zieht. Schon die Hochzeitsfeierlichkeiten wiesen beide in der hochadligen Kommunikationsform von Luxus und Zeremoniell als Königspaar aus. Die Beibehaltung dieses Herrschaftsdesigns im Exil erhielt ihre politischen Ansprüche aufrecht. Kurios ist sie nur, weil die Exilierten von eigenen finanziellen Ressourcen vollständig abgeschnitten waren.
Die Charakterisierung des Königtums Friedrichs als "böhmisches Abenteuer", die man bis zu den ersten Schmähliedern der Flugschriften zurückverfolgen kann, wird in der Einleitung der Herausgeber durch ein zeitgenössisches Gedicht vorgestellt und mit einem Fragezeichen versehen, von Friedrichs angeblicher "hoffart" (13) bis hin zu seinem angeblich erbarmungswürdigen Ende: "Der vor hett auff dem Haupt ein Cron / Hat jetzt kaum ein gantz Hemet an / Helff Gott dem armen Friderich" (15). Die biografisch ausgerichteten Beiträge von Bilhöfer, Marshall, Pánek, Greonveld und von Rohr schreiben auch gegen die Häme an, die den Verlierer der Schlacht am Weißen Berg in der Publizistik seiner Zeit mit ganzer Härte traf. Es war wohl die Fallhöhe des "Winterkönigs", die ihn zu einem Medienereignis werden ließ. Hubková beschreibt dieses Ereignis in ihrem Beitrag über illustrierte Flugschriften.
Obwohl der "Winterkönigin" Elisabeth Stuart in der Gesamtkonzeption ein angemessener Stellenwert zukommt, bleibt die Art ihrer Darstellung leider stereotyp. Gerade Marschall verlässt bei der biografischen Skizze die vorgefertigten Muster nicht, nach denen historische Frauengestalten beschrieben werden. Unnötig ist es, sehr alte Geschichtsschreibung zu zitieren, das Brautpaar habe sich sofort verliebt (34). Unnötig ist auch, das Interesse an ihrem Leben damit zu begründen, sie sei "eine der romantischsten Figuren der europäischen Geschichte" (44). Ärgerlich sind Spekulationen über emotionale Beweggründe ihrer Entscheidungen. Gegen den Vorwurf von Eigensucht und Arroganz wird Elisabeth Stuart zum Beispiel mit dem Argument verteidigt, in jungen Jahren habe "ihre Hingabe an Friedrich sie blind" gemacht und später habe sie nur den "aufrichtigen Wunsch" gehegt, "seine Lage zu verbessern" (44).
Die geschlechtsstereotype Wahrnehmung gipfelt in der Kritik Páneks an einer "disproportionalen" Forschungslage, da es mehr Arbeiten zur Königin als zum König gäbe. Elisabeth Stuarts "dramatisches Schicksal" habe sie "zumal für einige Historikerinnen" zum Thema werden lassen (101). Kulturgeschichtlich neu zu überdenken sind auch einzelne Bewertungen in Bilhöfers sonst sachkundiger Lebensbeschreibung Friedrichs. Die Hofkultur in Heidelberg dürfte kaum aus dem Wunsch zu erklären sein, der englischen Prinzessin Standesgemäßes "bieten zu können" (21). Die Adressaten des repräsentativen Aufwandes sind außerhalb der Ehe zu suchen.
Der Ausstellungskatalog zeigt mit den Beiträgen von Laschinger zur Amberger und Hepp zur Heidelberger Residenz, mit dem Beitrag Freses zum 'Hortus palatinus' in Heidelberg, dem Beitrag Fučikovás über die Prager Kunstsammlung und dem Hoogsteders zur Gemäldesammlung am Königshof in Rhenen ein Panorama materieller Herrschaftskultur. Es wäre ein zusätzlicher Gewinn gewesen, wenn diese kunstgeschichtlichen Betrachtungen an die Forschungsdiskussion angebunden worden wären, die unter den Stichworten "politische Kultur" allgemein und "symbolische Herrschaftskommunikation" im Besonderen geführt wird. Unerwähnt bleibt auch die Hofforschung, die sich im Umkreis der Residenzenkommission der Göttinger Akademie der Wissenschaften zu einem fruchtbaren Forschungszweig entwickelt hat. Hier ist aber zu bedenken, dass sich die Beiträge stattdessen auf tschechische und niederländische Forschungsliteratur beziehen.
Ein besonderer Schatz des Ausstellungskatalogs verbirgt sich hinter der CD-Rom, welche die Druckversion ergänzt. Denn die Landesausstellung präsentierte auch den archäologischen Fund des Tilly-Lagers vor Heidelberg 1622. Der Beitrag von Ludwig, Benner und Klein fällt schon formal aus dem Rahmen. Zwar passt die Beschäftigung mit der Ausstattung der Söldner zum Anspruch, das Leben des Pfalzgrafen als Anlass für ein Zeitgemälde zu nehmen, aber es ist eine gute Entscheidung, die Ergebnisse der Ausgrabungen auch digital zu veröffentlichen. Eine Auswahl aus Platzgründen wäre eine bedauerliche Einschränkung.
Der Ausstellungskatalog bleibt die Antwort auf die Frage, warum Friedrich V. von der Pfalz die Konfrontation mit Kaiser und Altgläubigen suchte, letztlich schuldig. Warum blieb die Unterstützung für den hoffnungsvollen jungen Kurfürsten aus, warum versagte seine und seiner Gattin Diplomatie? Die Beiträge konzentrieren sich auf den Protagonisten, die Analyse reichspolitischer Kräftekonstellation steht nicht im Vordergrund. Doch der biografische Ansatz trägt. Im Leben des Winterkönigs und seiner Gemahlin spiegelt sich tatsächlich fassettenreich die Herrschaftskultur des 17. Jahrhunderts. Der Ausstellungskatalog ist nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen Abbildungen eine lohnende Lektüre.
Anmerkung:
Zu dieser Publikation erschien bereits eine Rezension von Gabriele Wimböck, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 11, http://www.sehepunkte.de/2003/11/4365.html
Manuela Sissakis