Bettina Beer: Körperkonzepte, interethnische Beziehungen und Rassismustheorien. Eine kulturvergleichende Untersuchung (= Kulturanalysen; Bd. 4), Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2002, 453 S., ISBN 978-3-496-02735-5, EUR 35,00
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Bettina Beer, eine empirisch arbeitende Ethnologin, stellt sich in diesem Buch die Aufgabe, dem interethnischen Vergleich von Körperkonzepten nachzugehen, eine wichtige Zielsetzung, da gängige Rassismustheorien vom "weißen" Blick ausgehen und die Körperkonzepte der Indigenen in aller Regel außen vor bleiben. Die Untersuchung ist in drei Teile gegliedert, eine 60 Seiten umfassende Einleitung, in der zu den Problemen, Zielen und Begriffen der Studie alles Wichtige gesagt wird, eine rund 180 Seiten umfassende Darstellung von Fallbeispielen aus Feldstudien der Verfasserin sowie einen dritten Teil, der Rassismustheorien unterschiedlicher Provenienz diskutiert und in Beziehung zu den beiden ersten Teilen setzt. Beer beabsichtigt, sich einem ganzen Set von Fragen zu widmen. Darunter findet sich der Anspruch, an vier unterschiedlichen Fallbeispielen den von der Ethnologie bislang vernachlässigten Körperkonzepten komparatistisch nachzugehen. Die Autorin stellt auch die Frage nach der Begründung weitergehender kulturspezifischer Vorstellungen in Körperkonzepten. Sie thematisiert daneben die Frage nach dem Zusammenhang von Ethnozentrismus und Rassismus und nach der Ubiquität von Rassismus. In ihrem Vorgehen möchte sie den von europäischen und US-amerikanischen Historikerinnen und Historikern gemachten Fehler vermeiden, anhand von schriftlichen Quellen lediglich Elitediskurse abzubilden. Zu diesem Zweck verlegt sie sich auf empirische Untersuchungen auf den Philippinen und in Papua-Neuguinea, die sie mit Literaturbeispielen aus China und von der Nation of Islam abgleicht, in denen die inkriminierten Eliten eine große Rolle spielen.
Der erste Teil problematisiert die Begrifflichkeit, der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den gesellschafts- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen bedienen, wenn Sie über "Rasse" und perzipierte körperliche Unterschiede zwischen Menschen verschiedener "Ethnien" sprechen. Getreu dem Diktum George L. Mosses, dass Rassismus eine "visuelle Ideologie" ist, die auf Stereotypen aufbaut, stellt Beer die Perzeption körperlicher Unterschiede ins Zentrum ihres Buches, eine kluge Operationalisierung eines an sich überkomplexen Problems. Sie gibt im Folgenden Definitionen der Schlüsselkonzepte, die für ihr Vorhaben zentral sind, also Definitionen von Körpern und Körperbildern, von Ethnozentrismus, Stereotyp, Vorurteil und Fremdenfeindlichkeit, von Rasse und Rassismus.
Im zweiten Teil stellt Beer ihre sehr aufregende und methodisch gut durchdachte Feldforschung vor, die sie bei den philippinischen Ati, der Nation of Islam, den Han-Chinesen und den Wampar in Papua-Neuguinea angestellt hat. Dies ist wohl überlegt, den Beer hat versucht, in einer vierdimensionalen Matrix (politische Organisation, Status- und Machtverhältnisse, Migration und Fremdkontakte sowie Wirtschaftsweise) bei ihren Fallbeispielen möglichst viele abweichende, distinktive Merkmale zu finden. Zwei der Gruppen sind majoritär (Han-Chinesen; Wampar), zwei minoritär (Nation of Islam; Ati).
Der dritte Teil der Untersuchung diskutiert Rassismustheorien, wobei Beer nacheinander den Kolonialismusansatz, marxistische und neo-marxistische Rassismustheorien, "postmoderne" Erklärungsansätze und Diskurstheorie, soziobiologische Rassismustheorien und Theorien des rationalen Handelns vorstellt. Jedes der Unterkapitel wird mit einem Diskussionsteil beschlossen, der Vor- und Nachteile des jeweiligen Ansatzes erörtert. Von einer Kenntnisnahme der umfangreichen historischen Spezialliteratur kann indessen nicht die Rede sein, dafür zitiert Beer den ironisch-herablassenden Kommentar des britischen Schiffsarztes George B. Worgan vom Ende des 18. Jahrhunderts in der Diskussion der Coorie-Kultur (260).
In der Diskussion der marxistischen Rassismustheorien fehlen so wichtige Autoren wie Eugene D. Genovese, der Doyen der marxistischen Sklavereigeschichte, und die Feministin Elizabeth Fox-Genovese, die mit ihren Studien zum Rassismus bekannt geworden ist. Kein Wort wird über Karl Marx verloren, der in seinen Abhandlungen über den Bürgerkrieg über "Rassen" geschrieben hat und auf den die These von der verschleiernden Funktion des Rassenbegriffs zurückgeht. Berechtigt ist indessen der Vorwurf, auch die Vertreter der marxistischen beziehungsweise neomarxistischen Schule hätten ihre Ergebnisse zu stark aus den Elitendiskursen bezogen. Nicht gerecht wird Beer diesem Ansatz da, wo sie ihren eigenen unscharfen Ideologiebegriff den Marxisten unterschiebt, um ihn dann zu kritisieren. Ideologie ist gerade bei den Marxisten ein Schlüsselkonzept, das in seiner Komplexität über die hier gegebene Definition hinausgeht.
Interessant wird es dann in der Präsentation der "postmodernen" Erklärungsansätze. Zunächst einmal wird postuliert, es würden nur solche Ansätze referiert, die sich selbst als "postmodern" bezeichneten. Die grundlegende Definition der "Postmoderne" stammt dann aber nicht aus einer Zusammenschau eben dieser Autoren, sondern wurde einem fünfseitigen Aufsatz aus der "Encyclopedia of Cultural Anthropology" entnommen (298 f.). Infolgedessen gerät die Vorstellung wissenschaftlicher "Theorien", die unter der Sammelbezeichnung "Postmoderne" zusammengefasst werden, zur Karikatur derselben. Der Ansatz von Rattansi, der sich genau der Zuschreibung "Postmoderne" erwehren möchte, indem er auf die Präzision und Empirie der Genealogie und Archäologie nach Foucault verweist, wird offensichtlich nicht verstanden (301). Wieso Foucault, der ausdrücklich von sich selbst nicht als Post-Strukturalist, geschweige denn als Postmodernem gesprochen hat, entgegen den eingängigen Ausführungen hier überhaupt erörtert wird, ist schwer verständlich. Nachgerade absurd wird es, wenn Foucault die Auffassung unterstellt wird, Bio-Macht sei ein Kennzeichen des modernen Staates (306). Wenn Bio-Macht, wie Foucault schreibt, eine Sonderform der Macht ist und Macht kein Zentrum, keinen zentralen Ort hat - was auch Beer zu unterstellen scheint - wie kann dann Bio-Macht auf den "modernen Staat" begrenzt sein? Und wieso gehen "postmoderne" Ansätze von Schichtung aus? (319).
Die Untersuchung soziobiologischer Rassismustheorien gehe vom Rassismus als einem "normalen" Aspekt von Inter-Gruppen-Beziehungen aus, erfahren wir. Dargestellt wird dies vor allem an den Schriften Pierre van der Berghes, eines ebenso prominenten wie untypischen Mitglieds der sehr diversen Gruppe von Soziobiologinnen und Soziobiologen. Beer ordnet sich selbst diesem Paradigma in gewisser Weise zu, wenn sie es auch in Einzelaspekten kritisiert und mit Elementen der Rational-Choice-Schule verbunden sehen möchte (328).
Im zweiten Teil der Untersuchung verstehe ich zwar die strukturalistischen Auswahlprinzipien der Verfasserin, mir entgeht aber, was die "Nation of Islam" (NOI) in diesem Kontext zu suchen hat. Zum einen ist die Nation of Islam unter anderem eine Religion. Beer kennzeichnet sie an anderer Stelle als "Ideologie" (179). Niemand käme auf die Idee, Katholiken als "Ethnie" zu bezeichnen, weil sie eine gemeinsame Identität ("Wir-Gefühl") haben und sich vorwiegend endogam verhalten. Hier wird der Formalismus des verwendeten Begriffs von Ethnie deutlich, der es eben erlaubt, die "Nation of Islam" in eine Reihe mit den Ati und den Han-Chinesen zu stellen. Bei der Bewertung der NOI in der Rubrik "politische Organisation" ist es dann auch verwunderlich zu lesen, es handele sich um den "Versuch einer Nationenbildung" (64), während doch "hierarchische Theokratie" viel zutreffender wäre. Die historischen Phasen der NOI werden zudem falsch dargestellt: Die UNIA Marcus Garveys hat sich in den dreißiger Jahren nicht aufgelöst. Liest man auf Seite 175, viele Anhänger Garveys seien zur NOI abgewandert, so wird dem auf Seite 177 widersprochen. Die undeutliche und schwammige Einordnung der NOI als "Ethnie", "Religion" und "Ideologie" muss die im Hintergrund stehende Frage, ob es sich bei den Theorien der Nation of Islam um Rassismus handele, beeinflussen. Beer kennt die Forschung, die Rassismus als "visuelle Ideologie" mit gesellschaftlicher Herrschaft verbindet. Sie weicht der eigentlichen Frage jedoch aus, wo sie "Herrschaft" mit "Macht" verwechselt. So sehr es stimmt, dass "Macht" jederzeit neu verhandelt werden muss und keinen Ort hat, so sehr ist daran festzuhalten, dass es gesellschaftliche Dominanz gibt und dass Rassismus ein probates Mittel ist, diese Herrschaft zu perpetuieren (203 f.). Auffällig ist auch, dass dieses Kapitel nicht auf empirisch ermittelten Beobachtungen basiert, sondern vollständig aus der Literatur gearbeitet ist und sich dabei auf die Analyse von Elitequellen beschränkt.
Die Untersuchung Beers hinterlässt gemischte Gefühle. Im empirischen Teil ist es ein Vergnügen, den Ausführungen der Autorin zu folgen. Im stärker systematisierenden dritten Teil hätte ich mir eine größere begriffliche Präzision und ein genaueres Hinschauen gewünscht. Ich würde dieses Buch, ungeachtet meiner Kritik, jedoch in einem Seminar zur Geschichte des Rassismus verwenden, weil es einen Einstieg in die Vielfalt der theoretischen Ansätze darstellt.
Norbert Finzsch