Arnd Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963 (= Zeithistorische Studien; Bd. 21), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 641 S., ISBN 978-3-412-16101-9, EUR 64,00
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Nicht nur die SED-Geschichtsschreibung, sondern auch ein heute noch geläufiges Vorurteil betrachtet die Bodenreform in der SBZ / DDR als erfolgreiche soziale "Umwälzung". Der Berliner Historiker Arnd Bauerkämper hingegen kommt in seiner Studie über "Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur", in der die Resultate zehnjähriger Forschungsanstrengungen gebündelt werden, zu einer deutlichen Relativierung dieser "Umwälzungsthese". Demnach war die ländliche Gesellschaft der Jahre 1945 bis 1963 durch den zentralen Widerspruch von "Zwangsmodernisierung" und andauernder "Tradition" geprägt. Denn - so Bauerkämper gegen allzu hermetische Totalitarismus-Deutungen wie Sigrid Meuschels These von der "gleichsam stillgestellten Gesellschaft" - "auch die ländliche Gesellschaft war in der DDR nicht nur Objekt der Diktatur" (14).
Bauerkämper wählt drei methodische Zugänge - einen politikgeschichtlichen, einen sozialgeschichtlichen und einen handlungstheoretischen. Zunächst werden die Agrarpolitik der Sowjets und der SED sowie ihre "Kurswechsel" diskutiert (Kapitel 2, 51-221), gefolgt von Kapiteln über die sozioökonomischen Wirkungen dieser Politik (Kapitel 3, 223-408) und über die eigenwillige "Handlungspraxis [...] ländlicher Bevölkerungsgruppen gegenüber den staatlichen Eingriffen" (Kapitel 4, 409-492). Um es vorwegzunehmen: Gerade das letzte Kapitel enthält die interessantesten Beobachtungen, zumal "erst in den letzten Jahren [...] die Wahrnehmung und das Verhalten der ländlichen Bevölkerung [...] in den Blick der [...] Forschung getreten" sind (29).
Demgegenüber erscheinen die Darlegungen zur Agrarpolitik methodisch und inhaltlich wenig innovativ. Zwar erhält der Leser einen gründlichen Überblick über diverse Phasen der SED-Agrarpolitik, doch werden im Wesentlichen bekannte Forschungsergebnisse präsentiert. Dabei hätte das gesichtete Archivmaterial erweiterte Erkenntnisse über konzeptionelle Konflikte und die Hintergründe agrarpolitischer Kurswechsel durchaus zugelassen. Doch leider erfährt der Leser in Bauerkämpers Politik-Kapitel weder etwas über die 1950 eskalierenden Konflikte zwischen Ulbricht und Paul Merker um das Neubauern-Bauprogramm noch vom im selben Jahr erfolgten Kurswechsel von der allgemeinen Neubauernförderung zur exklusiven Förderung vertriebener "Umsiedler-Neubauern", welche die Agrarpolitik zwischen 1950-1952 bestimmte. Überhaupt wirkt der methodische Zugriff auf "das Politische" fragwürdig: Die Darstellung der SED-Agrarpolitik erscheint - sieht man vom bekannten "Abweichler" Kurt Vieweg ab - viel zu sehr aus einem Guss und arbeitet interne Konfliktlinien sowie dahinterstehende Akteurskonstellationen kaum heraus, vom Verhältnis der sowjetischen und deutschen Akteure ganz zu schweigen. Innovativ aber erscheinen die knappen "vergleichende[n] Perspektiven" zwischen der SBZ / DDR, der Sowjetunion und anderen Staaten Osteuropas (205-220).
Eigenständigeres zu sagen hat Bauerkämper im Kapitel über den politisch induzierten sozialen Wandel des "Landes". Die Schilderung lässt die Not- und Mangelsituation zahlreicher Neubauernhöfe in Brandenburg ebenso deutlich werden wie die Verteilungskonflikte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Doch auch hier gibt es gelegentlich Defizite: So entbehren die Ausführungen zu den überlebensnotwendigen staatlichen Kredit-Subventionen für Neubauern (268f.) jedes systematischen Zugriffs. Deshalb erfolgt eine Unterscheidung zwischen Betriebs- und Baukrediten ebenso wenig wie der wichtige Hinweis darauf, dass jedes Kreditangebot (aufgrund der darin enthaltenen Rückzahlungspflicht) zwangsläufig gerade die sozial Schwächsten abschrecken musste - was sich auch im Falle der Neubauern-Kredite so auswirkte. Wo Bauerkämper auf den Abriss zahlreicher Gutsanlagen im Rahmen des frühen Neubauern-Bauprogramms hinweist, spricht er undifferenziert von "Gebäuden" (274), ohne die wichtige Unterscheidung zwischen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden vorzunehmen oder den (beträchtlich höheren) Anteil von Kasernenabrissen einzubeziehen. Eine systematische Darstellung der Bauplanung - was war ein "Kernbautyp" und wie veränderte er sich? - sucht man ebenso vergeblich wie eine politisch-planerische Gewichtung der nur kurz gestreiften Lehmbauweise (272 f.) gerade für die Region Brandenburg. Eine allzu flüchtige Erwähnung des DDR-Umsiedlergesetzes, die dieser eigenständigen Phase der SED-Agrarpolitik nicht gerecht wird (277f.), aber hier immerhin erstmals erfolgt, vervollständigt das unbefriedigende Bild.
Neuland betritt Bauerkämper im selben Kapitel allerdings mit seiner Darstellung neuer landwirtschaftlicher Institutionen und ihrer Bedeutung für den gesellschaftlichen Wandel (301 ff.). Dies gilt insbesondere für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), deren empirisch basierte Entwicklungsgeschichte für Brandenburg (330 ff.) einen wichtigen Beitrag zu einer noch zu schreibenden Geschichte der ländlichen Gesellschaft in der DDR nach 1952 darstellt. Dabei ergänzt Bauerkämpers weithin abstrakte Darstellung recht gut neuere mikrohistorische Annäherungen an dörfliche Kollektivierungsgeschichten. Ähnliches Innovationspotenzial enthält der konfliktgeschichtliche Ansatz, mit dessen Hilfe Bauerkämper die Beziehungsgeschichte ländlicher Bevölkerungsgruppen rekonstruiert (347 ff.). Die systematische Ausdifferenzierung von Konfliktlagen - neben der bekannten zwischen "Neu- und Altbauern" auch die erst neuerdings ernsthaft diskutierte zwischen "Vertriebene[n] und Alteingesessene[n]" (354) - sowie von gruppenspezifischen Soziallagen bei Landarbeitern, LPG-Mitgliedern oder Frauen vermittelt wichtige Einsichten in die innere Zerklüftung einer ländlichen Gesellschaft, die gerade deshalb zu gemeinsamen (Abwehr-)Haltungen gegenüber der gesellschaftsverändernden Politik der SED kaum in der Lage war. Leider fehlt der Versuch, die analytisch getrennte Betrachtung einzelner Gruppen oder Gruppenkonflikte systematisch in Wechselbeziehung zu setzen. Gleichwohl bieten Bauerkämpers Beobachtungen - etwa zur sozialen Auffangfunktion der frühen LPG (381 ff.) - wichtige Anhaltspunkte für weiterführende Forschungen.
Das gilt - wie eingangs bemerkt - erst recht für die Analyse des "Verhalten[s] ländlicher Bevölkerungsgruppen" zur SED-Agrarpolitik und den dadurch angestoßenen Transformationen. Nirgends hat man bisher so viel Neues über die lokale Eigendynamik bei der Durchführung der Bodenreform gelesen, über "willkürliche Enteignungen und ungerechtfertigte Landvergabe" (414), über das Wechselspiel zwischen dörflichen "Klientelbeziehungen und Korruption" (416). Besonders verdienstvoll ist es, dass Bauerkämper diese gruppenspezifischen Handlungslogiken und -spielräume zwischen "entschlossene[r] Abwehr und flexible[r] Anpassung" (427) auch für die 1950er-Jahre thematisiert. Freilich hätte die verallgemeinernde Rede über "die bäuerlichen Akteure" (434) oder "die Vorbehalte der Bauern gegen die Kollektivbetriebe" (450) differenziert werden sollen - ebenso wie das Klischee von der "Sehnsucht der Vertriebenen" schlechthin "nach dem Leben in ihrer alten Heimat" (460). Dennoch werden entscheidende Faktoren der Gesellschaftsentwicklung - das Wechselspiel von "Inklusion und Exklusion" vor dem Hintergrund der "Beharrungskraft dörflicher Milieus" (463), die "abschirmende Funktion dörflicher Honoratioren" (469) oder die ambivalente Relation dörflicher "Herrschaftsträger" zu örtlichen Beziehungsnetzen (471) - überzeugend herausgearbeitet. Gleiches gilt für die konflikterzeugende Rolle der SED-Agrarpolitik (465f.) Vor allem zeigt Bauerkämper, dass die einander überlagernden Konflikte der ländlichen Gesellschaft der SBZ / DDR "eine geschlossene Abwehr" gegenüber dem Regime nicht zuließen, zumal Letzteres "interne Auseinandersetzungen [...] gezielt vertiefte" (500). Infolgedessen habe es in der DDR "kein Ende abweichenden Verhaltens", sondern stets nur "neue Arrangements" gegeben (483).
Einer so umfangreichen und auch inhaltlich umfassenden Arbeit kleinere Irrtümer nachzuweisen, wäre billig und soll daher unterbleiben. Vermerkt sei jedoch, dass die unkritisch weitergegebene Behauptung Bauerkämpers, die Flüchtlingseingliederung habe bereits seit Juli 1948 "offiziell als abgeschlossen" gegolten, unzutreffend ist (365). Wäre die Bedeutung des erst 1950 in Kraft getretenen DDR-Umsiedlergesetzes als Höhepunkt besonderer Vertriebenenförderung angemessen gewürdigt worden, hätte diese Fehleinschätzung vermieden werden können. Und noch etwas Formales: Die typisch "Bielefelder" Anmerkungspraxis, der sich Bauerkämper verpflichtet weiß, die seine Anmerkungen jedoch zu unübersichtlichen, die Zuordnung einzelner Belege eher behindernden als fördernden Blöcken anschwellen lässt, sollte zu Gunsten kurzer und klarer Fußnoten aufgegeben werden. Vielleicht ist der Bruch mit derart fragwürdiger "Tradition" auch ohne "Zwangsmodernisierung" zu schaffen?
Zusammenfassend ist zu sagen: Die vorliegende Studie über "Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945-1963" mag aufgrund der aufgelisteten Kritikpunkte nicht vollends zu jener Gesamtdarstellung der "Ländliche[n] Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur" geworden sein, die ihr Titel verspricht. Arnd Bauerkämper hat aber eine beeindruckende Forschungsleistung vorgelegt, an deren methodischen und inhaltlichen Wegmarken sich jede darüber hinausführende Studie zur ländlichen Gesellschaft in der DDR wird orientieren müssen. Darüber hinaus lässt sich anhand dieser Arbeit etwas grundsätzlich sehr Wichtiges lernen: Was es heißen kann, Gesellschaft ernst zu nehmen - gerade auch im Kontext einer totalitären Diktatur.
Michael Schwartz