Josie McLellan: Love in the Time of Communism. Intimacy and Sexuality in the GDR, Cambridge: Cambridge University Press 2011, X + 239 S., 21 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-72761-7, GBP 17,99
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Unter dem ebenso viel versprechenden wie vieldeutigen Titel "Love in the Time of Communism", der an scheinbar ähnlich unvereinbare Gegensätze im Namen einer Novelle von Garcia Marquez erinnert, wagt die britische Historikerin Josie McLellan eine Annäherung an Intimität und Sexualität in der DDR. Wenn linke Kulturrevolutionäre in Westeuropa nach 1968 die Parole ausgaben "Das Private ist politisch!", so verdeutlicht die bemerkenswerte Studie McLellans, dass diesem Sachverhalt im kommunistischen Osten ungleich größere Geltung zukam.
Die konzise Arbeit gliedert sich in acht Teile; die sechs Kapitel des Hauptteils befassen sich mit Sex und Jugend, Ehe und Monogamie, der Politisierung von Sexualität durch Interventionen und Steuerungsversuche der SED-Diktatur, mit dem langen Kampf von Schwulen und Lesben um öffentliche Sichtbarkeit und Anerkennung, mit der DDR-Variante des Nudismus und schließlich mit der Erotikliteratur. Wer hier wichtige Themen vermissen sollte, wird im Zuge der Lektüre feststellen, dass dieses schmale Buch viele Facetten zumindest kurz anreißt, ohne sie freilich erschöpfend auszuloten.
McLellan bezeichnet es eingangs als dringliche Aufgabe, die "dramatischen Wandlungen" der sexuellen - und insbesondere heterosexuellen - Sitten in der DDR zu erklären (3).
Doch das leistet dieses ansonsten recht gelungene Buch nicht wirklich, obschon die Verfasserin gegen Ende nochmals kurz auf soziostrukturelle Basis-Veränderungen zu sprechen kommt, welche letzten Endes diese sexuelle Trendwende verursachten - die für Ost und West gleichermaßen relevanten sozioökonomischen Megatrends des Ausbaus von Sozialstaatlichkeit, des wachsenden Lebensstandards, des höheren Bildungsniveaus, des Wandels der Arbeitswelten. Statt diese Zusammenhänge zu vertiefen, gelingt McLellan vielmehr eine dichte Beschreibung der vielfältigen Wandlungen der DDR-Gesellschaft im Umgang mit Sexualität. Treffend werden diese Transformationsprozesse in der abschließenden Zusammenfassung auf drei Faktoren zurückgeführt: Auf einen politischen Strategiewechsel des SED-Regimes von rigider sexualpolitischer Kontrolle zu pragmatischer Permissivität; auf eine wachsende Eigendynamik gesellschaftlicher Verhaltensänderungen und daraus folgender Reformforderungen an die Politik, denen das Regime nachgab; und auf die große Bedeutung internationaler Entwicklungstrends, die nicht nur als DDR-Nachahmung westlicher Vorbilder missverstanden werden darf, sondern als eine spezifische Reaktion auf übergreifenden transnationalen Strukturwandel begriffen werden muss.
Das Kapitel über Sex und Jugend in der DDR beginnt nicht mit den andernorts kurz gestreiften "Zehn Geboten der sozialistischen Moral" der Ära Ulbricht, gegen deren mit Heuchelei und Repression verbundenen Konformitätsdruck ansonsten regimetreue Filme wie "Spur der Steine" Mitte der 1960er Jahre aufbegehrten. Stattdessen nimmt McLellan die für das Sexualverhalten entscheidende Umbruchphase um 1970 in den Blick. Publikationen wie "Das Magazin" mit seinen Aktfotografien und seinen Sexualaufklärungsansätzen spielen hier ebenso eine Rolle wie die für die DDR-Jugend wichtigen "Weltfestspiele" in Ost-Berlin 1973, die zu einer internationalen Begegnungsstätte wurden, und die offene Thematisierung von Gender-Konflikten in vielen DEFA-Filmen der 1970er Jahre. Statt einer verklärenden Liberalisierungs-Geschichte bietet McLellan erfrischend Ambivalentes: Der liberale Ton der DDR-Sexualaufklärung habe nicht verhindert, dass heterosexuell-monogame Rollenmodelle weiterhin dominierten und wenig Raum für sexuelle Abweichungen ließen. Zugleich aber hätten viele junge Menschen in den 1970er und 1980er Jahren einen bemerkenswerten Grad an "Autonomie" gezeigt - eine Folge nicht zuletzt der Rücknahme staatlicher Bevormundungspolitik und wachsender Permissivität auch der Elterngeneration etwa gegenüber "teenage sex" (51).
Die "heterosexuellen Revolutionen", denen sich McLellan im Kapitel über Ehe und Monogamie widmet, werden treffend an langfristigen Transformationstrends festgemacht, etwa am konstanten, nur um 1980 kurzfristig durch Honeckers massive sozialpolitische Geburtenförderung gebremsten Trend zum Rückgang ostdeutscher Geburtenraten, ferner an der im europäischen Vergleich extrem hohen, nur von Schweden übertroffenen Zunahme unehelicher Geburten und an der ebenso massiven Zunahme legaler Abtreibungen ab 1972. Auch die DDR-Scheidungsraten waren seit den 1970er Jahren exzeptionell hoch. DEFA-Filme wie "Die Legende von Paul und Paula" von 1973 signalisierten - mit Genehmigung der SED-Kulturpolitik - signifikante Wandlungen traditioneller Gender-Rollen. Interessant ist die Bedeutung, die McLellan den Strategiewechseln der SED-Politik unter Honecker für diese soziokulturellen Umbrüche zuschreibt, auch wenn deren Motive und Widersprüche im Dunkeln bleiben.
Die als heuchlerisch verstandene "Diktatur der Liebe" im SED-Staat (83) untersucht die Verfasserin eingehend am Beispiel der DDR-Sexualberatungsliteratur mit ihrer normativen Unterscheidung zwischen "guter und schlechter Sexualität" (etwa in Bezug auf Masturbation oder Sadomasochismus, 90 f.). Lediglich flüchtig beleuchtet wird die Sexualpolitik der Ulbricht-Ära mit ihren Sittlichkeits-Geboten, deren Kontrastierung mit der christlichen Sexualmoral im Westdeutschland der Adenauer-Ära interessant gewesen wäre, aber leider unterbleibt. Der repressive Umgang mit Prostitution oder die lebenswelt-kolonialisierende Nutzung von Sexualität durch die Stasi gleiten allzu knapp vorüber. Wichtiger erscheinen rassistische Rudimente im Umgang von Staat und Gesellschaft gegenüber Sexualkontakten mit in der DDR lebenden ausländischen Studenten oder Arbeitern. Vieles wird nur angedeutet, aber mit erfreulich differenzierender Grundeinstellung.
Das gilt auch für das Kapitel über Homosexualität in der DDR, in dem die Fortschritte wachsender Entkriminalisierung - namentlich durch die Strafrechtsreform von 1968 - angemessen gewürdigt werden, um aber ebenso deutlich die Persistenz gesellschaftlicher Vorurteils- und Diskriminierungsstrukturen zu benennen. Auch der Kampf selbstorganisierter homosexueller Gruppen um ihren Platz in der DDR-Öffentlichkeit wird treffend in seinem schrittweisen Erfolg beschrieben: Erst seit Mitte der 1980er Jahre gab es "wachsende Sichtbarkeit" (122), die in den gesundheits- und kulturpolitischen Sektoren des SED-Regimes auf Unterstützung stieß. So kam es 1987 zur Publikation des ersten DDR-Fachbuchs über Homosexualität, und im November 1989 hatte der von Politbüromitglied Kurt Hager tolerierte DEFA-Film "Coming Out" Premiere, die freilich in der Euphorie des Mauerfalls verpuffte. Die DDR-spezifischen "Grenzen der Liberalisierung" (138) erkennt McLellan nicht nur im Fortbestehen von Homophobie, sondern auch in der unangefochtenen Dominanz heterosexuell-monogamer Rollenmodelle, an denen schwul-lesbische Lebensweisen gemessen wurden.
Das Kapitel über die "nackte Republik" der DDR-Nudisten (144) vermag das DDR-Spezifische vom transnationalen Gesamttrend überzeugend zu unterscheiden: Die späte DDR-Gesellschaft zeichnete sich im internationalen Vergleich nicht nur durch einen besonders hohen Anteil von Nacktbadenden und durch eine entsprechend große gesellschaftliche Toleranz gegenüber der Freikörperkultur (FKK) aus, sondern vor allem durch die gezielte Vermischung (statt strikte Abtrennung) von Nacktbadenden und Bekleideten an den Stränden der DDR. Auch in diesem Falle war dem ein gravierender soziokultureller Bruch vorangegangen: In den 1950er Jahren hatte die SED-Politik noch dazu tendiert, nudistische Aktivitäten entweder zu ghettoisieren oder völlig zu untersagen - letzteres auch ein Reflex auf teils nationalsozialistische, teils sozialdemokratische Traditionen dieser lebensreformerischen Minderheitsbewegung. Empirisch gut fundiert kann McLellan demonstrieren, dass die kleine Nudisten-Gemeinde solche Repressionsversuche mit erfolgreicher Resistenz überwand. Seit den 1960er Jahren wurde Nacktbaden plötzlich modisch und schließlich zu einer Massenbewegung in der DDR; damit einher gingen Veralltäglichung und Entpolitisierung dieser ursprünglich lebensreformerisch inspirierten Aktivität. Am Ende der SED-Herrschaft paradierten zwei nackte "Badenixen" zur Freude Erich Honeckers 1987 problemlos im Ost-Berliner Festzug zum 750. Jubiläum der Stadt Berlin - welche von McLellan bei dieser Gelegenheit auf bloße 75 Jahre allzu drastisch verjüngt wird.
Schließlich widmet das Kapitel über "ostdeutsche Erotika" der schon seit den 1950er Jahren zugelassenen Erotikliteratur im SED-Staat interessante Analysen. Die These, diese Freigabe sei 1953 im Kontext des Juni-Aufstands und der nachfolgenden Beruhigungsstrategie der SED-Führung zu sehen, sähe man freilich gern empirisch belegt. Die wachsende Freizügigkeit erotischer Darstellungen wird hingegen anhand von Analysen des "Magazins", der führenden DDR-Zeitschrift dieses Genres, überzeugend nachgewiesen. Die von McLellan herausdestillierte Regel, DDR-Nacktmodelle seien tendenziell als jung, weiblich, hübsch, schlank und sexualisiert und folglich als sexuelle Objekte in einem höchst ungleichen Gender-Verhältnis präsentiert worden, ist in ihrem ersten Teil nicht zu bestreiten; doch fragt man sich, ob der behauptete Objekt-Charakter der sich präsentierenden Frauen zumindest für die späte DDR - im Zeitalter von "Solo Sunny" - nicht differenzierter bewertet werden müsste. Umso interessanter sind McLellans Beobachtungen zu den vergleichsweise seltenen Aktdarstellungen von Männern in besagtem "Magazin", unter denen 1985 eine passiv-effeminiert wirkende Darstellung kontroverse Leserbriefe provozierte.
Zusammenfassend benennt McLellan - wie angedeutet - als Hauptfaktoren dieser gravierenden sexuellen Transformationen in der DDR-Gesellschaft einen signifikanten Kurswechsel der SED-Politik, wachsende Liberalisierungsforderungen aus der Gesellschaft bei zunehmend selbstbestimmten Verhaltensmustern innerhalb derselben sowie übergeordneten transnationalen Strukturwandel - nicht nur in der westlichen Nachbarschaft. All das ist plausibel und überzeugend. Leider bleiben die Motivationen und Selbsteinschätzungen des SED-Regimes bei seinen Kurswechseln im Dunkeln und damit auch die wichtige Frage offen, wie sehr die Politik einer totalitären Diktatur getrieben wurde von gesellschaftlichen Prozessen oder wie sehr sie umgekehrt solche Prozesse womöglich verstärkte. Hier hat sich eine Forscherin, die ansonsten empirische Stichproben durchaus zu machen weiß, den Aktenstaub der gigantischen SED-Hinterlassenschaft dann doch erspart.
Michael Schwartz